Ärzteschaft
Reinhardt: Spahn bei Kommerzialisierung „zu gelassen“
Freitag, 31. Juli 2020
Berlin – Die zunehmende Kommerzialisierung der medizinischen Versorgung ist ein Thema, das die Bundesärztekammer (BÄK) auch auf lange Sicht weiterhin im Blick behalten wird. Das kündigte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt heute im neuen Podcast „Sprechende Medizin“ an.
Reinhardt unterscheidet dabei zwischen Kommerzialisierung und Ökonomisierung. Die Ärzteschaft habe sich lange schwer getan, die Wirksamkeit und Notwendig ökonomischer Regeln anzuerkennen, so Reinhardt.
Man könne aber nicht ohne Ökonomie handeln. „Man kann nicht mit Ressourcen aasen“, erklärte der BÄK-Chef im Podcast. Ärzte müssten die vorhandenen Ressourcen effizient einsetzen. Die Ökonomisierung sei für ihn als solche „kein Widerspruch zu denkbar gutem ärztlichen Handeln“.
Anders sei das bei der Kommerzialisierung oder Industrialisierung. Dabei gehe es darum, dass sich Fremdkapital im Gesundheitswesen breit mache, das aus einem regulierten Markt – der gesetzlichen Krankenversicherung – versuche, möglichst viel Rendite abzuschöpfen, die nicht in Strukturen oder Personal reinvestiert werde. Diese würde vielmehr von den Investoren „abgesaugt“, die unter Umständen nicht einmal in Deutschland sein müssten, erklärte Reinhardt.
Eine solche Entwicklung führt dem BÄK-Präsidenten zufolge dazu, dass Entscheidungen, die im Gesundheitswesen getroffen werden, und die Behandlungsqualität im Einzelfall davon nicht unberührt bleibt. Grund sei, dass sich die „Renditeerwartung eines Fremdinvestors“ auf eine Struktur auswirke. Diese Wirkungen seien „nicht zuträglich für ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis“.
Reinhardt betonte, dass diese Entwicklung sich bereits in der Zahnheilkunde, aber auch der operierenden Augenheilkunde, der Labormedizin oder auch der Radiologie zeige. Es betreffe Bereiche, in denen ein hoher Anteil an Investivkosten bestehe, ein hoher Technisierungsgrad vorhanden sei und durch Skalierungseffekte durch angestellte Ärzte „ein ertragreicher Mehrwert“ zu schöpfen sei.
Podcast „Sprechende Medizin“
Im neuen Podcast der Bundesärztekammer (BÄK) sprechen BÄK-Präsident Klaus Reinhardt und der Wissenschaftsjournalist Daniel Finger alle 14 Tage über Ärzte und Patienten, Medizin und Politik, Leiden und Linderung, Forschung und Fortschritt. Den Podcast gibt es auf der Seite der BÄK und auf allen gängigen Podcast-Plattformen.
Kommerzialisierung heißt laut Reinhardt auch, dass es von einer Einrichtung Konglomerate gebe. „Ich habe etwa ein MVZ, das geht von Flensburg bis nach Freiburg. Und das hat 158 Zahnärte an einem Band“, so Reinhardt. Diese müssten alle nach einem Guss handeln. Ihnen werde etwa gesagt, dass sie in bestimmten Fällen von Zahnersatz nur bestimmte Leistungen anbieten dürften.
So werde der „Handlungsspielraum von Ärzten beeinflusst“. Das führe davon weg, individuelle Entscheidungen zwischen Arzt und Patient herbeizuführen. Diese sei aber jedes Mal individuell erforderlich. Und das müsse auch künftig so bleiben. Medizin sei „nicht abhaken von Checklisten“ und der Versuch, möglichst den Maximalerlös zu produzieren, erklärte Reinhardt.
Wenn fremdes Kapital in solche Strukturen investiere und Manager dafür sorgten, dass große Einheiten nach einem Guss handelten und Leistungen produziert würden, die all die individuellen Aspekte nicht berücksichtigten, dann verändere sich ärztliches Verhalten unter dem Druck, bemängelte er weiter. Das habe Auswirkungen auf das Arzt-Patienten-Verhältnis und die Kultur des Gesundheitswesens.
Mit Spahn gesprochen
Reinhardt erklärte, er habe über das Thema bereits mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gesprochen. Große Differenzen habe man keine. „Ich glaube, dass er mir durchaus zustimmen würde, er aber in der Bewertung der Gefahr, die daraus resultiert, etwas gelassener ist, als ich“, sagte Reinhardt. Vielleicht sei der Gesundheitsminister da „zu gelassen“.
Spahn glaube, dass jeder Arzt eine Motivation habe, Gewinne zu erwirtschaften. Da habe er Recht, sofern der Arzt wirtschaftlich selbstständig sei, erläuterte der BÄK-Chef. Aber der Arzt in seiner Praxis oder einer Gemeinschaftspraxis habe natürlich „nicht nur das Gewinnstreben“ im Auge, sondern auch den Patienten vor sich. Er sei auch „nur sich und seinem Gewissen“ und seinem Patienten gegenüber verantwortlich. Das sei ein anderes Setting als das des großen Konglomerates.
Pünktlich zum Ferienende geht es in einer weiteren Podcastfolge um Schulunterricht in Zeiten der Pandemie. Der Podcast behandelt, wie Lehrer und Schüler gesund bleiben können, wie Klassenzimmer nicht zu Hotspots werden und warum die Schuleingangsuntersuchung, die in diesem Jahr ausfällt, unbedingt nachgeholt werden sollte. © may/aerzteblatt.de

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