Politik
Nach Berliner Demo: Forderungen nach härterer Gangart gegen Verstöße
Montag, 3. August 2020
Berlin – Die Bundesregierung hat die Missachtung von Hygieneregeln bei der Demonstration gegen Corona-Auflagen am Wochenende in Berlin scharf kritisiert. „Die Bilder, die wir da am Wochenende sehen mussten, sind inakzeptabel“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin.
„Das Verhalten von vielen Demonstrierenden ist in keinster Weise gerechtfertigt und nutzt das hohe Gut der Demonstrationsfreiheit aus.“ Es sei dabei nicht nur zu „gravierenden Verstößen gegen die Hygieneregeln“ gekommen, sondern es seien nach aktuellem Kenntnisstand auch „menschenverachtende Äußerungen“ gemacht und die Arbeit von Journalisten behindert worden, sagte Demmer.
Teilnehmer sollten sich zudem fragen, was es bedeute, Seite an Seite mit Menschen zu demonstrieren, die rechtem Gedankengut und Verschwörungstheorien anhingen. „Darüber hinaus ist es natürlich eine Sache, sich selbst zu gefährden. Aber es ist nicht hinnehmbar, dass Demonstrierende sich ihrer Verantwortung gegenüber anderen, möglicherweise Schwächeren in der Gesellschaft, nicht bewusst sind oder diese bewusst ignorieren und deren Gesundheit und Leben riskieren.“
In Berlin hatten sich am vergangenen Samstag nach Polizeiangaben bis zu 17.000 Menschen einem Demonstrationszug gegen die Auflagen in der Coronakrise angeschlossen und deren Abschaffung gefordert. An einer anschließenden Kundgebung nahmen demnach 20.000 Menschen teil.
„Demonstrationen wie am vergangenen Wochenende beobachtet sind mit Blick auf den Infektionsschutz eine Gesundheitsgefahr für uns alle und in dieser Form nicht akzeptabel“, sagte Steve Alter als Sprecher des Bundesinnenministeriums. Gleichwohl sei das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ein hohes Gut. Auch Demmer betonte: „Friedliche Demonstrationen sind natürlich auch in dieser sehr schwierigen Zeit wichtig, um Meinungen öffentlich vertreten zu können. Kritik muss in der Demokratie immer möglich sein.“
Entscheidungen zu Rahmenvorgaben zum Ablauf von Demonstrationen träfen grundsätzlich die Behörden vor Ort, betonte Alter. Dabei spiele auch der Infektionsschutz eine Rolle. Es sei im Vorfeld schwer abzusehen, ob Auflagen auch eingehalten würden. Die Bundespolizei war nach seinen Angaben am Wochenende zwar in Berlin im Einsatz, allerdings nicht zur Unterstützung der Berliner Kräfte, sondern im Rahmen ihrer normalen Aufgaben, an Bahnhöfen und bei der An- und Abreise von Teilnehmern.
Ruf nach härterer Gangart
Nach der Berliner Großdemonstration mehrten sich Forderungen nach einer härteren Gangart bei Missachtung von Mindestabstand und Maskenpflicht. CSU-Chef Markus Söder riet im ARD-Sommerinterview dazu, „bei solchen Demos nicht nur körperlichen Abstand zu halten, sondern auch geistigen“.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte, Demonstrationen müssten zwar auch in Coronazeiten möglich sein. „Aber nicht so. Abstand, Hygieneregeln und Alltagsmasken dienen unser aller Schutz“, schrieb er auf Twitter.
SPD-Chefin Saskia Esken twitterte: „Tausende Covidioten feiern sich in Berlin als ,die zweite Welle', ohne Abstand, ohne Maske. Sie verwies zudem darauf, dass „Rechtsextreme mit Reichsbürgern, Pegida-Angehörige mit QAnon-Anhängern“ demonstriert hätten. „Demokratie und Rechtsstaat werden sich mit allen Mitteln gegen die Feinde der Demokratie wehren“, erklärte Esken.
Söder sagte in der ARD, dass bei den Demonstrationen „Weltverschwörungstheoretikern mit der extremen Rechten und auch Linken“ zusammen marschierten: „Da bündelt sich etwas zusammen, was eigentlich gar nicht zusammengehört.“
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte in der RBB-„Abendschau“, es ärgere ihn maßlos, dass Menschen aus anderen Teilen Deutschlands nach Berlin kämen, um ein Demonstrationsrecht auf Grundlage von Hygieneregeln wahrzunehmen, die sie dann missachteten.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte der Süddeutschen Zeitung: „Mir fehlt jedes Verständnis für Demonstranten, die sich hierüber selbstherrlich hinwegsetzen.“ Es sei gut, dass die Polizei „konsequent durchgegriffen“ habe.
Die Polizei hatte die Demonstration am späten Nachmittag aufgelöst, nachdem die Teilnehmer der Aufforderung zur Einhaltung der Auflagen nicht folgten. Die Auflösung zog sich bis in die Nacht hinein. Zu der bundesweiten Demo hatte unter anderem die Stuttgarter Initiative Querdenken 711 aufgerufen. Neben Corona-Leugnern und Impfgegnern waren auch viele Teilnehmer mit eindeutig rechtsgerichteten Fahnen oder T-Shirts in der Menge.
Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) sagte den Funke-Zeitungen, die Ordnungsbehörden sollten stärker detaillierte Hygienekonzepte vorlegen und auf deren Umsetzung drängen. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte „dreistellige Bußgelder“ bei Verstößen gegen Maskenpflicht und Abstand.
Linkenchefin Katja Kipping kritisierte die Demonstrationen als „Aufruf zur Rücksichtslosigkeit“. Durch die Aufforderung zum Verzicht auf die Masken gefährdeten die Initiatoren sich selbst und andere, sagte sie im ZDF-Sommerinterview.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Menschen in Deutschland angesichts steigender Infektionszahlen davor gewarnt, in der Pandemie leichtsinnig zu werden. „Die Verantwortungslosigkeit einiger weniger ist ein Risiko für uns alle“, sagte er in einer am heute veröffentlichten Videobotschaft. „Wenn wir jetzt nicht besonders vorsichtig sind, dann gefährden wir die Gesundheit vieler.“ Das gelte auch für Gesellschaft, Wirtschaft und Kulturleben.
Jeder stehe in der Verantwortung, einen zweiten Lockdown zu verhindern, sagte Steinmeier weiter. „Der Weg zur Normalität, die wir uns doch alle wünschen, geht nicht über Leichtsinn, Sorglosigkeit und Ignoranz.“ Normalität sei nur zu erreichen, „wenn wir die Zeit bis zur Verfügbarkeit wirksamer Medikamente überbrücken mit Disziplin und Vernunft“. © dpa/afp/kna/aerzteblatt.de

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