Medizin
Genfunde in europäischen Grabstätten: Syphilis kam wohl nicht aus der Neuen Welt
Montag, 7. September 2020
Zürich – Der Nachweis der Gene von Treponema pallidum, dem Erreger von Syphilis, Frambösie und Bejel, in den Knochen von Menschen aus dem 15. bis 18. Jahrhundert spricht in Current Biology (2020; DOI: 10.1016/j.cub.2020.07.058) gegen eine weit verbreitete Annahme, nach der die Lues mit Christoph Kolumbus und seiner Mannschaft aus der Neuen Welt nach Europa eingeschleppt wurde.
Die ersten einigermaßen glaubhaften historischen Belege zur Syphilis stammen aus dem Italienischen Krieg von 1494/98. Wenige Jahre zuvor hatte Kolumbus Amerika entdeckt. Die Vermutung, die Besatzung habe die „Lustseuche“ auf der Rückreise aus Amerika mitgebracht, lag deshalb nahe. Sie ist bis heute verbreitet, obwohl es keine sicheren Hinweise auf die Erkrankung im präkolumbischen Amerika gibt.
Zuverlässiger als historische Quellen aus einer Zeit, in der die Existenz von Bakterien noch nicht einmal vermutet wurde, ist heute der Nachweis von Erreger-Genen, die sich mittels moderner Verfahren in den Überresten aufspüren lassen.
Bei Treponema pallidum war dies lange nicht gelungen, da das Bakterium im chronischen Stadium der Erkrankung nur in sehr geringer Menge im Körper vorhanden ist. Selbst heute gelingt der Erregernachweis im fortgeschrittenen Stadium der Syphilis nur selten.
Umso erstaunlicher ist es, dass ein europäisches Forscherteam um Verena Schünemann von der Universität Zürich die Gene von Treponema pallidum jetzt in den Knochen von Menschen entdeckt hat, die vor mehreren Jahrhunderten auf zwei Friedhöfen in Finnland und jeweils einem Friedhof in Estland und den Niederlanden beigesetzt wurden.
2 der 4 Personen waren mit Treponema pallidum pallidum infiziert, dem Erreger der Syphilis. Bei der dritten Person wurde T. pallidum pertenue gefunden, der Erreger der Frambösie. Die vierte Person war mit einer Variante von Treponema pallidum infiziert, die sich keiner der heutigen Treponema-Spezies zuordnen lässt. Es könnte sich um den Erreger einer heute ausgestorbenen Treponematose handeln.
Mindestens eine der 4 Knochenproben könnte aus der Zeit vor der ersten Reise von Kolumbus nach Amerika (1492) stammen. Eine Radiokarbon-Untersuchung datierte den Fund auf den Zeitraum zwischen 1434 und 1635. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Person vor dem Jahr 1492 beerdigt wurde, liegt bei 27,8 %. Dies schließt die Einschleppung der Erkrankung aus Amerika nicht sicher aus.
Ein weiteres Argument gegen die Herkunft aus Amerika ist jedoch die genetische Diversität von Treponema pallidum in den Knochenfunden. Der Erreger hätte sich kurz nach der Ankunft in Europa in mehrere Arten aufspalten müssen, was sehr unwahrscheinlich ist.
Der Syphilis-Erreger könnte zwar im 12. bis 16. Jahrhundert entstanden sein. Die gesamte Familie der Treponema-Arten muss aufgrund der genetischen Unterschiede jedoch älter sein. Die Forscher schätzen, dass der gemeinsame Vorfahr vor mehr als 2.500 Jahren entstand und zwar eher in der Alten Welt.
Heute sind die 3 Treponematosen geografisch getrennt. Die Syphilis hat ihre Hauptverbreitungsgebiete in den Städten. Die Frambösie tritt vor allem in den ländlichen tropischen Regionen Afrikas, Asiens und Südamerikas auf. Bejel ist in trockeneren Regionen von Afrika und Arabien bei Nomaden endemisch. Frambösie und Bejel sind keine venerischen Infektionen. Die Übertragung erfolgt über die Haut.
Dass mehrere Arten von Treponema pallidum gleichzeitig in derselben geografischen Region auftraten, macht einen Austausch von Genen möglich. Dazu kann es kommen, wenn ein Patient gleichzeitig mit 2 Erregern infiziert wurde. In einer Rekombinationsanalyse von 32 Genomen aus Gegenwart und Vergangenheit fanden die Forscher Hinweise für einen solchen Genaustausch. © rme/aerzteblatt.de
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