Politik
Studie: Welche Vorteile Geburten unter Hebammenleitung bieten
Mittwoch, 26. August 2020
Düsseldorf – Kreißsäle, in denen Hebammen alleinverantwortlich Geburten durchführen, sind ebenso sicher wie ärztlich geleitete. Operative Eingriffe und Schmerzmittel kommen bei Frauen, die ihre Geburt dort beginnen, seltener zum Einsatz.
Darauf deuten die Ergebnisse eines mehrteiligen Forschungsprojekts des Universitätsklinikums Bonn (UKB) hin, das der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann Anfang der Woche vorgestellt hat. Für Deutschland gab es nach Angaben der Autoren dazu bislang keine Daten.
Die Studie habe darüber hinaus gezeigt, dass das Konzept der hebammengeleiteten Kreißsäle (HGK) nicht nur Vorteile für Gebärende bietet, die sich möglichst wenig Intervention bei der Geburt wünschen. Auch die Hebammen selbst empfinden die Arbeit in HGK als Bereicherung.
Baustein um Berufszufriedenheit für Hebammen zu erhöhen
Damit könnte das Konzept „ein Baustein sein, um die Attraktivität der Berufsausübung im Kreißsaal für die Hebammen zu erhöhen“, sagte Studienautorin Waltraut Merz, Oberärztin am Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde des UKB, dem Deutschen Ärzteblatt.
Derzeit gebe es zu wenige Hebammen, die in geburtshilflichen Abteilungen und Kreißsälen tätig seien. Grund ist ein hohes Maß an Berufsunzufriedenheit aufgrund hoher Arbeitsbelastung, vieler Fremdaufgaben und geringer Einkommen, wie ein vom Bund beim Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) beauftragtes Gutachten 2019 zeigte.
Ziel der HGK sind Geburten ohne operative Eingriffe und Schmerzmittel unter kontinuierlicher Aufsicht einer oder mehrerer Hebammen. Durch die Ansiedlung in einer Klinik kann aber auf Wunsch oder bei medizinischer Notwendigkeit jederzeit ein Arzt hinzugezogen werden. In Deutschland gibt es bislang 23 solcher Kreißsäle, den ersten seit 2003 am Klinikum Bremerhaven Reinkenheide.
Im Rahmen der Studie zeigten sich im HGK Vorteile für möglichst natürliche Geburtsverläufe. In die retrospektive Analyse flossen die Erkenntnisse aller am UKB unter Leitung von Hebammen durchgeführten Geburten in den Jahren 2010 bis 2017 ein.
Ein Team um Waltraut Merz verglich die Daten mit denen einer ärztlich betreuten Kontrollgruppe aus dem gleichen Zeitraum. Die finalen Ergebnisse einer prospektiven Analyse der hebammengeleiteten Geburten am UKB und fünf weiteren HGK in NRW in den Jahren 2018 bis 2020 stehen noch aus.
Den vorliegenden Ergebnissen zufolge verkürzte sich die Geburtszeit in HGK im Vergleich zu ärztlich betreuten Geburten im Schnitt. Zudem wurden im HGK begonnene Geburten weniger häufig vaginal-operativ beendet.
Bei rund sechs Prozent der Frauen wurde dafür laut Studie ein Arzt hinzugezogen. Bei den Gebärenden, die die Geburt schon unter ärztlicher Aufsicht begonnen hatten, kam es den Angaben zufolge bei knapp zehn Prozent zu einem vaginal-operativen Eingriff.
Große Unterschiede bei Einsatz von Periduralanästhesie
Große Unterschiede zeigten sich bei dem Wunsch nach einer Periduralanästhesie (PDA). Aus dem HGK wurden knapp 19 Prozent der an der Studie beteiligten Frauen für die Gabe einer PDA in ärztliche Betreuung überstellt. Von den Gebärenden, die sich von vornherein für eine ärztliche Betreuung entschieden hatten, nahmen rund 41 Prozent eine PDA in Anspruch.
Dammschnitte wurden bei rund vier Prozent der Frauen durchgeführt, die eine Geburt im HGK begonnen hatten. Bei den von Beginn an auch ärztlich betreuten Frauen waren es laut Studie knapp acht Prozent.
Bei den Frauen, die aus dem HGK in einen ärztlich geleiteten Kreißsaal weitergeleitet wurden, ergaben sich laut Studie weder bei den Müttern noch bei den Neugeborenen mehr Komplikationen als bei den Frauen der Kontrollgruppe.
Nur 1,5 Prozent der Geburten hebammengeleitet
Obwohl HGK viele Vorteile für Schwangere bieten, die eine interventionsarme Geburt wollen, nutzen laut Studie bislang nur sehr wenige Frauen das Angebot. Das Konzept ist nach jetzigem Stand ein ergänzendes Betreuungskonzept für gesunde Schwangere, die nach einer unauffälligen Schwangerschaft eine unkomplizierte Geburt erwarten können.
„Bei konservativer Schätzung liegt dieser Anteil bei 20 Prozent“, sagte Merz. Aktuell kommt das Konzept laut Studie jedoch nur bei 1,5 Prozent der Geburten zum Einsatz.
„Daher bin ich der Auffassung, dass sich das Angebot nicht nur auf einzelne Kliniken beschränken, sondern möglichst großflächig vielen werdenden Müttern angeboten werden sollte“, sagte Laumann bei der Vorstellung des mit rund 380.000 Euro vom Landeszentrum Gesundheit NRW geförderten Projekts.
Auch könnte das Konzept künftig noch einer breiteren Gruppe von Schwangeren zur Verfügung stehen – etwa über 35-Jährigen, die laut Mutterpass obligatorisch unter Risikoschwangerschaft fallen.
Auch über 35-Jährige sollen Wahlmöglichkeit haben
So erfassten die Forschenden des UKB in einem weiteren Projektteil alle Hebammenkreißsäle in NRW und entwickelten mit den dort tätigen Hebammen und Ärzten ein „Best-Practice“-Modell. Darin findet sich auch ein verschlankter Kriterienkatalog für infrage kommende Frauen, der den Zugang zum Hebammenkreißsaal künftig erleichtern könne, heißt es in einem Faktenpapier zu der Studie.
Andrea Ramsell, Präsidiumsmitglied im Deutschen Hebammenverband, begrüßt diesen Vorstoß. „Der Risikokatalog aus dem Mutterpass ist ein anderer als der Kriterienkatalog des Hebammenkreißsaals. Auch wenn eine Frau über 35 ist oder eine Allergie hat, sollte sie die Möglichkeit haben, diesen Geburtsort zu wählen“, so Ramsell. Wichtig sei ein individuelles Assessment.
Auch sie sieht hebammengeleitete Kreißsäle als Möglichkeit für ihre Kolleginnen, sich selbst in ihrer Arbeit wieder zu finden und mehr Berufszufriedenheit zu erlangen. „Wir brauchen grundsätzlich eine Entlastung von fachfremden Tätigkeiten. Im regulären Kreißsaalablauf verbringen viele Hebammen ein Drittel ihrer Zeit mit anderen Tätigkeiten, wie etwa nach der Geburt die Betten abzuziehen, den Kreißsaal zu reinigen und neu zu befüllen“, so Ramsell.
Konzept ermöglicht eine Eins-zu-eins-Betreuung
Innerhalb des Konzepts hebammengeleiteter Kreißsaal könnten die Hebammen ihren originären Tätigkeiten nachgehen und eine Gebärende intensiv Eins zu Eins betreuen. Auch die Autoren der Studie nennen „originäre Hebammenarbeit und selbstständiges Arbeiten“ als Gründe für die höhere Zufriedenheit.
Dieser Effekt wirke sich auch auf die ärztlich geleiteten Modelle aus. Zudem hätten im Rahmen der Studie sowohl Hebammen als auch Ärzte ein besseres gegenseitiges Verständnis sowie Zusammenarbeit erwähnt. Unterschiede in der tariflichen Entlohnung gebe es zwischen hebammen – und ärztlich geleiteten Kreißsälen nicht.
Wie prekär die Lage in der konventionellen Geburtshilfe ist, zeigen aktuelle Daten aus Hessen. Das Deutsche Krankhausinstitut hat hierzu gemeinsam mit der Hochschule für Gesundheit Bochum im Auftrag des hessischen Sozialministeriums ein Gutachten erstellt. Demnach ist die Anzahl der Krankenhäuser mit einer Geburtshilfe in den vergangenen knapp zehn Jahren von 67 auf 44 zurückgegangen.
Gesetzentwurf soll Hebammenmangel beheben
Von diesen 44 habe derzeit jede zweite offene Stellen für Hebammen und sei überdies defizitär. Für nahezu alle Leistungsangebote von Hebammen bestehe in Hessen ein Nachfrageüberbedarf. Für das Gutachten befragte Mütter hätten in ihrer Schwangerschaft sechs bis sieben Hebammen kontaktieren müssen, bevor sie eine Zusage für die Betreuung erhielten.
Auch deutschlandweit steigt der Bedarf an Hebammenleistungen während immer mehr Hebammen aufgrund der Arbeitsbedingungen in Teilzeit arbeiten oder darüber nachdenken, den Beruf aufzugeben, wie das IGES-Gutachten 2019 zeigte.
Ein aktueller Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums will die Problematik mithilfe eines Förderprogramms für Hebammenstellen angehen. Beim Deutschen Hebammenverband und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) stieß das Papier jedoch auf heftige Kritik.
In einer in dieser Woche veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahme kritisieren die beiden Organisationen den Entwurf als nicht geeignet, um strukturelle Probleme in der Geburtshilfe zu lösen und fordern eine Überarbeitung. © alir/aerzteblatt.de

Autisten müssen nicht vermieden werden

DGGG-Präsident Prof. Anton J. Scharl kommentiert:
Wichtig ist zudem, dass eine Geburt im Hebammenkreißsaal eine Geburt in der Klinik ist, wo unverzügliches ärztliches Einschreiten möglich ist. Die Ergebnisse zur Sicherheit für Mutter und Kind können nicht auf die außerklinische Geburtshilfe übertragen werden.
Schließlich ist die Bonner Studie aus Sicht der DGGG immens wichtig und liefert endlich konkrete Zahlen zur Bedeutung von Frauenärzten und Hebammen für eine sichere Geburtshilfe. Sie zeigt, welche Bedeutung die ausreichende Ausstattung der Geburtskliniken mit Hebammen hat. Eine 1:2-Betreuung, noch besser eine 1:1-Betreuung durch Hebammen ist nämlich kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit! Da der Großteil der Geburten aber Ärzte erfordert, muss die ärztliche Geburtshilfe genauso gefördert werden! Andernfalls ist für die Mehrzahl der Gebärenden keine sichere Geburt möglich.
Aus aktuellem Anlass hat die DGGG – gemeinsam mit dem Deutschen Hebammenverband (DHV) – zum Entwurf für das Versorgungsverbesserungsgesetz kritisch Stellung bezogen. Darin konkretisieren wir in einem Apell die Vorschläge zur dringend nötigen Verbesserung der Rahmenbedingungen in der deutschen Geburtshilfe. Ohne eine entsprechende Reform besteht die ernsthafte Sorge, dass der Bundesgesundheitsminister die Schwangeren in den deutschen Kliniken durch eine einseitige Vernachlässigung der Ärzte gefährden könnte!
Mit der Bitte um Veröffentlichung sowie
mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. med. Anton J. Scharl
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V.

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