Politik
Hälfte der Coronainfizierten in Neustadt hat keine Antikörper gebildet
Montag, 24. August 2020
Neustadt/Jena – In dem im März wegen gehäufter Coronainfektionen für zwei Wochen komplett abgeriegelten 900-Einwohner-Ort Neustadt am Rennsteig hat rund die Hälfte der mit dem SARS-CoV-2-Virus Infizierten keine Antikörper gegen den Erreger entwickelt. Dies hat eine seit Mai laufende Studie ergeben, deren Ergebnisse zu Antikörpertests heute vorgestellt wurden.
Für die Neustadt-Studie des Universitätsklinikums Jena wurden nach Angaben des Krankenhauses jeder Einwohner des Thüringer Ortes auf das Coronavirus untersucht – sowohl per Abstrich auf akute Infektionen als auch per Antikörpertests auf vergangene Infektionen. Bereits Anfang Juli hatte das Klinikum mitgeteilt, dass in dem Ort keine SARS-CoV-2-Viren mehr kursierten.
Nach dem Ende der Quarantäne im März seien in dem Ort 49 Coronainfektionen bekannt gewesen, darunter zwei Todesfälle. Doch überraschenderweise habe die Hälfte der Infizierten, bei denen das Virus sechs Wochen zuvor nachgewiesen worden war, keine Antikörper im Blut gehabt, berichten die Wissenschaftler um Mathias Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena.
„Dieses überraschende Ergebnis wirft viele neue Fragen auf. Offenbar kann man auch bei einem negativen Antikörpertest nicht wirklich ausschließen, dass es vorher eine COVID-Infektion gab“, erklärt der Infektiologe.
Ob die fehlende Antikörperbildung nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 mit dem Fehlen einer Immunität gleichzusetzen sei, wisse man bislang noch nicht, ergänzte Thomas Kamradt vom Institut für Immunologie des Universitätsklinikums.
Deshalb soll bei den Studienteilnehmern, die trotz Infektion keine Antikörper gebildet haben, zusätzlich noch nach spezifischen Abwehrzellen gesucht werden. © dpa/aerzteblatt.de

Die Risiken durch Ausreißer
Also, was haben wir? Ein 900-Seelen Dorf in Thüringen, 49 PCR-bestätigte Fälle, 2 Todesfälle. Da alle Einwohner mittels PCR untersucht wurden und das lokale Geschehen beendet ist, sind Letalität und Fallsterblichkeit identisch und liegen in einer sicher überalterten Dorfbevölkerung bei ca. 4%. Das wäre ein Sondereffekt den man beachten muss, wenn ein abgelegenes Dorf betrachtet.
Der andere Sondereffekt besteht darin, dass in einem derartigen Dorf etliche Einwohner miteinander verwandt sind. Leider fehlt in diesem Artikel ein Hinweis, wie viele Verwandtschaftscluster bei dem Ausbruch betroffen waren und in welchem Verwandtschaftsverhältnis die Nonresponder zueinander standen.
Auch wenn 6 unterschiedliche Testsysteme verwendet wurden, bedeutet dies nur, dass keine Antikörper gegen die üblichen Zubereitungen der häufigsten Antigene nachweisbar waren. Diese Nonresponder haben durchaus die Chance mit anderen Antigenen und anderen Zubereitungen zu reagieren. Diese Nonresponder müssten mit linearen Epitopen und Konfirmationsepitopen aller Virusproteine getestet werden, also mit Western-Blots und Proteinarrays. Da es sich hier um sehr aufwendige Versuche handelt, dürfte es noch einige Zeit bis zu entsprechenden Ergebnissen dauern.
Trotzdem bleibt die überraschend hohe Rate an Nonrespondern. Wenn sich diese Nonresponder auf wenige familiäre Cluster zurückführen lassen, dann kann diese Zahl an Nonrespondern mit Besonderheiten der Immunreaktion in wenigen Familien erklärt werden. Dies bedeutet auch nicht, dass diese Personen sich nicht mit dem Virus auseinandergesetzt haben, sondern nur, dass wir das Ergebnis mit unseren gängigen Methoden nicht messen können. Bevor diese Frage nicht sauber geklärt ist, kann es sich um lokale Ausreißereffekte handeln, die zwar wissenschaftlich spannend sind, die aber nicht unkritisch extrapoliert werden dürfen.
Noch ein paar Worte zu T-Zell Testen. Ich persönlich kenne nur ein Beispiel aus der Infektionsdiagnostik, wo regelmäßig mit kommerziellen Testen die T-Zell Immunität bestimmt wird, und das sind die Teste zum Nachweis der (latenten) Tuberkulose.
https://www.quantiferon.com/wp-content/uploads/2020/01/L1083163-R06-QF-TB-Gold-Plus-ELISA-IFU-CE.pdf
Der Quantiferon-Test ist hier der Marktführer. Obwohl dieser Test über viele Jahre optimiert wurde, gibt es etliche Probleme damit. Ersten gibt es Kreuzreaktionen z.B. mit M. marinum und einigen anderen atypischen Mykobakterien. Zweitens sind Sensitivität und Spezifität wie bei allen immunologischen Testen begrenzt. In der Packungsbeilage sind die Herstellerangaben für die Sensitivität bei 95% und die Spezifität bei 97%. Die Proben müssen innerhalb kürzester Zeit ins Labor gebracht werden, der Test geht mit viel Handarbeit mindestens über 2 Tage. Dies sind die Eckdaten für einen über viele Jahre optimierten kommerziellen Test.
Bei Sars-CoV-2 gibt es keinen validierten kommerziellen Test, alle Testungen sind in house Teste in Forschungslaboren. Der Arbeitsaufwand je Einzelprobe ist ein Vielfaches im Vergleich zum Quantiferontest. Die verwendeten Antigene müssen erst noch validiert werden, sichere Aussagen zu Sensitivität und Spezifität sowie zur Reproduzierbarkeit sind zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich, wahrscheinlich aber deutlich schlechter als beim Quantiferontest.
Wer kann seine T-Zell Reaktion gegen Sars-CoV-2 testen lassen? Nur jemand, der erstens in der Nähe eines derartigen Forschungslabors wohnt und der zweitens über eine Kooperation den Laborleiter für diese Untersuchung motivieren kann. Also Messung der T-Zell-Reaktion gegen Sars-CoV-2? Für die Forschung ja, für die Routine ein 100%-iges Nein.

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