Politik
Keine Übersterblichkeit von Nicht-COVID-19-Patienten
Dienstag, 25. August 2020
Berlin – Zwischen Januar und Mai 2020 ging die Zahl der stationären Fälle in Deutschland um 15 Prozent zurück – während der akuten Phase der COVID-19-Krise zwischen Mitte März und Ende Mai um etwa 30 Prozent. Eine Übersterblichkeit von Nicht-COVID-19-Patienten im Vergleich zum Vorjahr hat es dennoch nicht gegeben.
Das geht aus dem Abschlussbericht des Beirats hervor, der die Auswirkungen des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes auf die Krankenhäuser untersuchen sollte. Basis der Untersuchungen sind Daten, die die Krankenhäuser dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) kurzfristig zur Verfügung gestellt haben.
Für den Bericht wurden die Krankenhausdaten des Zeitraums vom 1. Januar bis zum 31. Mai dieses Jahres mit dem Mittelwert der Jahre 2018 und 2019 verglichen. Die absolute Zahl der Fälle ging demnach um 15 Prozent von 8,1 Millionen auf 6,9 Millionen zurück.
Dabei verlief die Entwicklung der Fallzahlen bei den verschiedenen Indikationen – gemessen nach Hauptdiagnosen (Major Diagnostic Category, MDC) – sehr unterschiedlich.
Fallzahlrückgang bei dringenden Fällen weniger ausgeprägt
„Die vorliegende Auswertung konnte zeigen, dass der Rückgang bei Notfällen mit zehn Prozent nur halb so hoch wie bei den stationären Einweisungen mit 20 Prozent ausfällt und sich – zumeist auch gut erklärbar – unterschiedlich in den MDC zeigt (mit Geburten an einem Ende des Spektrums und HIV am anderen)“, schreibt Reinhard Busse von der Technische Universität Berlin, der die InEK-Daten hinsichtlich der medizinischen Entwicklung während der COVID-19-Pandemie im Auftrag des Beirats ausgewertet hat.
„Bei praktisch allen Diagnose(gruppen), bei denen die vorliegenden Routinedaten eine Einteilung in ‚dringend(er)‘ und ‚weniger dringend‘ beziehungsweise ‚vermeidbar‘ erlaubt, zeigt sich, dass der Rückgang bei ersten wesentlich weniger ausgeprägt war als bei letzteren.“
So sank die Zahl der stationär behandelten Krebserkrankungen in den ersten fünf Monaten des Jahres 2020 im Vergleich zu den Vorjahren zwar zumeist – jedoch nur relativ wenig. Beim kolorektalen Karzinom sank die Zahl der stationären Fälle um neun Prozent, beim Magenkarzinom um fünf Prozent, beim Mammakarzinom um vier Prozent und beim Speiseröhrenkarzinom um zwei Prozent. Beim Pankreaskarzinom nahm die Zahl der Fälle um zwei Prozent zu.
Rückgang bei Herzinfarkten nicht gut erklärbar
Die Zahl der Schlaganfälle ging dem Bericht zufolge um sechs Prozent zurück. Dabei sank die Zahl der Hirninfarkte um sechs Prozent, die Zahl der Stroke-Unit-Behandlungen um sieben Prozent und die Zahl der transitorisch-ischämischen Attacken um 13 Prozent.
Die stationär behandelten Herzinfarkte gingen in dem betrachteten Zeitraum um elf Prozent zurück. Bei den ST-Hebungs-Infarkten (STEMI), die mit einer höheren Sterblichkeit assoziiert sind, war der Rückgang mit neun Prozent allerdings geringer als bei den NSTEMI-Diagnosen, die um zwölf Prozent zurückgingen. Der Rückgang bei den Herzinfarktfällen sei auch durch diese Zahlen noch nicht gut erklärbar, betont Busse. Hier müssten mit detaillierteren klinischen Daten mögliche negative Auswirkungen überprüft werden.
Dennoch konnte mit den Daten des InEK keine Übersterblichkeit von Nicht-COVID-19-Patienten festgestellt werden. „Für die zehn Kalenderwochen zwischen dem 23. März und dem 31. Mai lag die Übersterblichkeit 2020 gegenüber dem Schnitt der vier Vorjahre bei insgesamt 8.850 Personen“, schreibt Busse in seinem Bericht. „Dies entspricht ziemlich genau der Zahl der an COVID-19 verstorbenen 8.511 Personen. Es gibt diesbezüglich daher keine Hinweise auf eine erhöhte Sterblichkeit an anderen Todesursachen.“
Schnelles „Wiederhochfahren“ bei Hüft- und Knieprothesen
In absoluten Zahlen gab es die größten Fallzahlrückgänge bei MDC 8 (Bewegungsapparate) mit -210.000 Fällen, gefolgt von MDC 5 (Kreislaufsystem) mit -180.000 Fällen, MDC 6 (Verdauungsorgane) mit -170.000 Fällen und MDC 4 (Atmungsorgane) mit -125.000 Fällen.
Knieprothesen-Implantationen gingen dem Gutachten zufolge um 23 Prozent zurück, Hüftprothesen-Implantationen um 17 Prozent. Andere Gutachten, die einen kürzeren Zeitraum im März und April untersucht hatten, hatten hier deutlich höhere Werte ergeben.
So hatten Analysen der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) sowie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) Rückgänge von etwa 80 Prozent gezeigt. „Da diese sich auf deutlich kürzere Zeiträume beziehen, sind die deutlich niedrigeren InEK-Zahlen vermutlich durch das relativ schnelle ‚Wiederhochfahren‘ zu erklären“, schreibt Busse.
Inanspruchnahme der Patienten wichtiger als OP-Verschiebungen
Auffällig ist der starke Rückgang der Sepsisfälle. Über alle Diagnosen betrachtet, gingen diese dem Bericht zufolge um 34 Prozent zurück, bei den Sepsis-DRGs sogar um 46 Prozent.
„Inwiefern diese deutlichen Rückgänge wie zu vermuten auf die – bei insgesamt geringeren Patientenzahlen – deutlich verbesserte (Pflege-)Personal-Patienten-Zahl und/oder auf die generell stärker beachteten Hygieneregeln zurückzuführen ist, bleibt detaillierteren Untersuchungen vorbehalten“, heißt es zur Erklärung in dem Bericht.
Busse geht davon aus, dass „das Inanspruchnahmeverhalten der Patienten bei der Fallzahlentwicklung eine größere Rolle als die Absage von Behandlungen durch die Krankenhäuser gespielt hat“. Das zeige sich zum Beispiel daran, dass die Rückgänge etwa bei Gastroenteritis deutlich ausgeprägter seien als bei den elektiven Operationen.
Belegung von Intensivbetten „beruhigend niedrig“
Als „beruhigend niedrig“ bezeichnet Busse die Belegung sowohl von Krankenhausbetten als auch von Intensivbetten mit COVID-19-Patienten. Denn im Betrachtungszeitraum seien im Durchschnitt weniger als zwei Prozent der gesamten Betten sowie vier Prozent der Intensivbetten für die Versorgung von COVID-19-Patienten benötigt worden.
Insgesamt wurden in deutschen Krankenhäusern 34.000 SARS-CoV-2-Erregernachweise kodiert. Das sind 0,5 Prozent aller Krankenhausfälle im Erhebungszeitraum. Daraus ergeben sich bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 14 Tagen dem Bericht zufolge knapp 500.000 Belegungstage.
Das seien weniger als drei Prozent der gesamten 14,5 Millionen Belegungstage zwischen der 12. und der 21. Kalenderwoche, heißt es. Pro Tag seien durchschnittlich 7.000 COVID-19-Patienten stationär behandelt worden, die dabei etwa 1,7 Prozent der stationären Bettenkapazitäten benötigt hätten.
72 Prozent aller COVID-19-Intensivpatienten wurden beatmet
Insgesamt 6.814 COVID-19-Patienten wurden bis zum Entlassungszeitpunkt 31. Mai auf Intensivstationen behandelt. Das sind etwa 20 Prozent aller stationären COVID-19-Fälle. 4.896 dieser Patienten wurden dabei beatmet (72 Prozent aller COVID-19-Intensiv-Patienten sowie 14 Prozent aller stationär behandelten COVID-19-Fälle).
Die intensivmedizinisch behandelten Fälle hatten dem Bericht zufolge eine mittlere Verweildauer von 21 Tagen – davon zwölf Tage auf einer Intensivstation. Das sind im Durchschnitt vier Prozent aller intensivmedizinischen Kapazitäten. „Die durchschnittliche Beatmungsdauer betrug 319 Stunden, also etwas über 13 Tage“, heißt es in dem Bericht.
„Daraus ergeben sich rund 64.000 Beatmungs-Belegungstage – und damit im Schnitt über die 70 Tage 900 pro Tag beziehungsweise vier Prozent der knapp 23.500 insgesamt verfügbaren ‚high care‘- und ECMO-Betten“, die im Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) gemeldet sind.
Fallzahlrückgang vor allem in kleinen Häusern
Dem Bericht zufolge ist die Zahl der stationären Fälle insbesondere in den kleineren Krankenhäusern zurückgegangen – die im Durchschnitt auch über weniger Intensivbetten verfügen. So ging die Fallzahl bei Krankenhäusern mit weniger als 150 Betten um 20 Prozent zurück.
Diese Häuser verfügen im Durchschnitt über 5,2 Prozent Intensivbetten. Bei Krankenhäusern mit 150 bis 299 Betten sank die Fallzahl um 18 Prozent (5,6 Prozent Intensivbetten), bei Krankenhäusern mit 300 bis 599 Betten um 15 Prozent (6,2 Prozent Intensivbetten) und bei Krankenhäusern mit 600 und mehr Betten ging die Fallzahl um 13 Prozent zurück (8,5 Prozent Intensivbetten). © fos/aerzteblatt.de

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