Politik
Wut auf Gesundheitspolitik, Krawall vor dem Reichstag
Montag, 31. August 2020
Berlin – Das Vordringen von Demonstranten auf die Treppe des Reichstagsgebäudes in Berlin vom vergangenen Samstagabend ist heute erneut scharf verurteilt worden. Die Proteste richteten sich auch gegen Gesundheitspolitiker und medizinische Berater etwa von Robert Koch-Institut (RKI) und der Charité Berlin.
Nach Schätzungen der Polizei vom Samstag hatten zunächst knapp 40.000 Menschen aus ganz Deutschland weitgehend friedlich auf der Straße des 17. Juni gegen die Coronapolitik demonstriert. Insgesamt waren laut Polizei noch deutlich mehr weitere Demonstranten bei anderen Veranstaltungen in der Innenstadt unterwegs. Zu sehen war eine breite Mischung von Bürgern, darunter Junge und Alte sowie auch Familien mit Kindern.
In der Bilanz nannte die Polizei keine konkrete Zahl, sondern sprach nur von mehreren zehntausend Personen auf der Straße des 17. Juni. Die Polizei war mit rund 3.000 Beamten aus verschiedenen Bundesländern und von der Bundespolizei im Einsatz.
Nachdem die Polizei ursprünglich die Demonstrationen verboten hatte, gaben erst Gerichte die Erlaubnis. Den ersten Demonstrationszug am Samstagmittag ließ die Polizei nicht starten, weil die Mindestabstände zum Infektionsschutz nicht eingehalten wurden.
Auf Transparenten forderten die Protestler den Rücktritt der Bundesregierung sowie ein Ende der Schutzauflagen und Alltagsbeschränkungen wegen der Pandemie. Immer wieder skandierte die Menge unter anderem „Wir sind das Volk“. Die Wut auf die Gesundheitspolitik von Bund und Ländern zeigte sich deutlich.
Auf Schildern der Demonstranten wurden Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach in Sträflingskleidung dargestellt. Darunter stand „schuldig“. Auf einem anderen Plakat wurde dazu aufgefordert, Merkel, Spahn, aber auch den Chef des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, und den Virologen Christian Drosten von der Charité „endlich“ wegzusperren.
AfD-Gesundheitspolitiker unter den Demonstranten
Diese Plakate wurden unter anderem von Robby Schlund, AfD-Bundestagsabgeordneter und Orthopäde in Gera, gezeigt. Auf mehreren Social-Media-Accounts, darunter auch sein eigener, hält er die Plakate mit den Gesichtern von Drosten sowie Lauterbach in die Kamera. Dazu seine eigene Kommentierung: „AfD Kv Greiz-Altenburger Land vor Ort in Berlin Allen einen schönen Tag". Der thüringische Kreis ist Schlunds Wahlkreis.
Andere Bundestagsabgeordnete zeigten sich auf Twitter entsetzt über Schlunds Auftritt und Fotos zur Demo: „Einfach nur schäbig, wie der Kollege der AfD aus dem Gesundheitsausschuss da unterwegs ist", schreibt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, dazu auf Twitter.
Auch Karl Lauterbach (SPD) kommentiert: „Der AfD-Bundestagsabgeordnete Robby Schlund hetzt hier. Schlund ist selbst Arzt und protestiert auf einer Demo ohne Abstand und Masken gegen die Maßnahmen, denen tausende Bürger ihr Leben und noch mehr ihre Gesundheit verdanken.“
Regierungssprecher: Impfen ist ein Segen für die Menschheit
Auch Impfkritiker waren wieder unter den Demonstranten. So setzt Microsoftgründer Bill Gates, der sich mit privaten Mitteln sehr beim Thema Impfen engagiert, Spahn eine Spritze in den Hintern. „Alle in Berlin zuerst und dann abwarten, was passiert“, war auf einem Plakat zu lesen.
Regierungssprecher Steffen Seibert betonte in Bezug auf Impfgegner werde es immer auch die Aufgabe der Bundesregierung sein, darzulegen, welch enormer Segen die Verfügbarkeit von Impfstoffen für die ganze Menschheit sei. Er verwies etwa auf die Nachricht der Weltgesundheitsorganisation, dass in Afrika der Wildtyp des Poliovirus' ausgerottet werden konnte.
Dass ganz Afrika kinderlähmungsfrei sei, sei ein „wunderbarer Fortschritt“, sagte er. Es sei ihm persönlich „schwer verständlich“, warum sich Menschen gegen das Impfen positionierten. Man könne immer nur Argumente dagegen setzten. „Das müssen auch die Ärzte tun. Das muss auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung tun. Und das geschieht ja“, erklärte Seibert.
Es gebe immer Punkte, über die man in eine sachliche und respektvolle Auseinandersetzung gehen könne. Aber am Wochenende seien auch Menschen – und zwar nicht ganz so wenige – zu sehen gewesen, die eine respektvolle Auseinandersetzung „überhaupt nicht“ anstrebten. Seibert betonte zudem, man dürfe angesichts der Ereignisse nicht vergessen, dass die meisten Mehrheit im Land nicht auf Seiten der Protestler stehen.
Er wolle, der „überwiegenden Mehrheit der 83 Millionen Menschen“ in Deutschland danken. All denen, die sich in der Pandemie vernünftig, umsichtig und rücksichtsvoll verhielten – und die die Regeln einhielten. „Die Szenen der Demonstration sollten nicht den Blick darauf verstellen, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland anders denkt und anders handelt als die Demonstranten von Berlin“, sagte der Regierungssprecher.
Sturm auf den Reichstag
Am Samstagabend war es zu einem Sturm auf den Reichstag gekommen. Etwa 300 bis 400 Demonstranten hatten Absperrgitter am Reichstagsgebäude in Berlin überwunden, wie die Polizei in ihrer Bilanz mitteilte. Sie stürmten die Treppe hoch und bauten sich triumphierend und lautstark vor dem verglasten Besuchereingang auf.
Dabei waren auch die von den sogenannten Reichsbürgern verwendeten schwarz-weiß-roten Reichsflaggen zu sehen, aber auch andere Fahnen. Anfangs standen nur drei Polizisten der lauten Menge entgegen. Nach einer Weile kam Verstärkung. „Ein Eindringen in den Reichstag war den Personen daher nicht möglich.“
Videos, die im Internet kursieren, zeigen, wie weit mehr als hundert jubelnder und grölender Menschen minutenlang auf und oberhalb der großen Treppe direkt vor der Tür des Reichstags stehen. Drei Polizisten versuchen, die Menge mit dem Schwenken von Schlagstöcken auf Abstand zu halten. Im Hintergrund ruft ein Mann: „Wir sind friedlich, wir sind friedlich.“ Ein anderer Mann schreit ständig: „Wahnsinn, Wahnsinn.“
Der Berliner Polizeisprecher Thilo Cablitz versuchte noch am Abend eine Erklärung: „Wir können nicht immer überall präsent sein, genau diese Lücke wurde genutzt, um hier die Absperrung zu übersteigen, zu durchbrechen, um dann auf die Treppe vor dem Reichstag zu kommen.“
Die Polizei drängte die Menschen auch mit Hilfe von Pfefferspray zurück. Wie genau es zu der Panne kam, wurde nicht erläutert. Die Polizei sei zu dem Zeitpunkt an der südlichen Seite des Reichstags zusammengezogen worden, hieß es. Diese Phase sei ausgenutzt worden.
Der Initiator der großen Demonstration, Michael Ballweg von der Stuttgarter Initiative Querdenken, distanzierte sich von den Randalierern. „Die haben mit unserer Bewegung nichts zu tun.“ Querdenken sei eine friedliche und demokratische Bewegung, Gewalt habe da keinen Platz. Er verstehe aber nicht, warum der Berliner Innensenator „nicht entsprechende Polizeikräfte aufwartet, um solchen Aktionen zu begegnen“ – zumal diese vorher bekannt gewesen seien, meinte Ballweg. „Warum ist er nicht in der Lage, das Gebäude zu schützen?“
Breite Welle der Kritik
„Die Vorfälle am Sonnabend auf den Stufen des Reichstags sind nicht hinnehmbar“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer. „Das Parlamentsgebäude darf nicht als Bühne für Extremisten missbraucht werden – ganz gleich, aus welcher politischen Ecke sie stammen.“
„Nach diesen Szenen sollte der Letzte verstanden haben, dass es auch Grenzen des Anstands gibt, wie weit man mitträgt, wer mit einem mitläuft. Der Verantwortung, sich bei seinem Protest nicht von Extremisten instrumentalisieren zu lassen, kann sich niemand entziehen“, sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Dass es überhaupt zu diesem Angriff kommen konnte, „muss schnell und umfassend aufgearbeitet werden“.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach in der Bild am Sonntag vom symbolischen der freiheitlichen Demokratie. „Dass Chaoten und Extremisten es für ihre Zwecke missbrauchen, ist unerträglich.“ Außenminister Heiko Maas (SPD) twitterte: „Reichsflaggen vorm Parlament sind beschämend.“
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schrieb: „Nazisymbole, Reichsbürger- & Kaiserreichflaggen haben vor dem Deutschen Bundestag rein gar nichts verloren.“ Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zeigte sich „richtig wütend“. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel nannte die Vorfälle „inakzeptabel“.
SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider kündigte an: „Ich werde morgen eine Sondersitzung des Ältestenrates beantragen, um die Pläne zur Errichtung einer Sicherheitszone zu überprüfen und für eine schnelle Umsetzung zu sorgen.“ Bundestagspräsident Schäuble müsse mit dem Berliner Senat über das Sicherheitskonzept sprechen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte: „Unsere Demokratie lebt.“ Wer sich über die Coronamaßnahmen ärgere oder ihre Notwendigkeit anzweifele, könne das tun, auch öffentlich, auch in Demonstrationen. „Mein Verständnis endet da, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen.“
„Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie. Das werden wir niemals hinnehmen“, sagte er. Er dankte den Polizisten, „die in schwieriger Lage äußerst besonnen gehandelt haben“. Heute traf sich Steinmeier mit am Einsatz beteiligten Beamten in seinem Amtssitz Schloss Bellevue.
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) dankte der Polizei, „dass sie diesen Spuk schnell beendet hat und auch den drei Polizisten, die sich zuerst den Demonstranten in den Weg gestellt hätten. „Das war sehr mutig.“ Am Samstagabend hatte Geisel berichtet, über den Tag verteilt seien rund 300 Menschen festgenommen worden, allein bei den Angriffen vor der russischen Botschaft etwa 200.
Bei künftigen Demonstrationen in Berlin soll nach dem Willen Geisels generell eine Maskenpflicht gelten. Auf Twitter teilte Geisel mit, er werde in Absprache mit der Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) morgen dem Senat vorschlagen, die Infektionsschutzverordnung entsprechend anzupassen: „Mund-Nasen-Schutz tragen soll auf Versammlungen verpflichtend werden.“ Die aktuelle Infektionsschutzverordnung schreibt das bisher nicht vor. © dpa/may/bee/aerzteblatt.de

Adolar am Montag, 31. August 2020, 22:36

Der Herr Ballweg
Man kann keinen Mob zusammenrufen, sich dann "distanzieren", und damit sauber raus sein. Das war klar, daß dieser Schwachsinn so endet. Deswegen wollte die Stadt ihn ja verbieten lassen. Die meisten Teilnehmer sind therapiebedürftige Kranke, Verfolgungswahnsinnige, Traumatisierte, Internetsüchtige , oder alles zusammen, abgesehen von den Faschisten mit ihren Fahnen des Deutschen Reichs. Alles Irre. In USA könnte ein Sheriff solche Leute in Wüstencamps einsperren lassen, weil sie von der Großartigkeit des Landes anscheinend nicht überzeugt sind und daher schwachsinnig sein müssen = Gefahr für die Allgemeinheit. Fertig.
Es hat mit Meinungsfreiheit NICHTS zu tun.

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