Medizin
Kasus: SARS-CoV-2 könnte Typ-1-Diabetes ausgelöst haben
Donnerstag, 3. September 2020
Kiel – Kann das SARS-CoV-2 die Betazellen zerstören und dadurch einen Typ-1-Diabetes auslösen? In vielen Ländern haben Diabetologen während der ersten Welle der COVID-19-Pandemie ungewöhnliche Neuerkrankungen am Typ-1-Diabetes beobachtet, wie einen Fall, über den jetzt in Nature Metabolism (2020; DOI: 10.1038/s42255-020-00281-8) berichtet wurde.
Der zuvor gesunde 19-jährige Mann litt seit Anfang April unter Abgeschlagenheit, Polydipsie (6 Liter pro Tag), Nykturie (2–3 Mal pro Nacht) und einem Gewichtsverlust von 12 kg, den typischen Initialsymptomen eines Insulinmangels.
Bei der Notaufnahme im Campus Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) hatte er eine schwere diabetische Ketoazidose mit einem Blut-pH-Wert von 7,1, einem Blutzucker von 552 mg/dl und einem HbA1c-Wert von 16,8 %. Das C-Peptid war auf 0,62 µg/l (Normalbereich 1,1–4,4 µg/l) abgefallen. Der Patient musste 3 Tage auf einer Intensivstation behandelt werden, bis sich sein Stoffwechsel unter der Gabe von Insulin normalisiert hatte.
Die Befragungen ergaben, dass beide Elternteile nach den Ferien in Österreich Mitte März an COVID-19 erkrankt waren. Der Sohn blieb ohne Symptome. Ein Antikörper-Test 6 Wochen Matthias Laudes vom Campus Kiel vermutet, dass die Infektion und der Beginn des Typ-1-Diabetes in einem kausalen Zusammenhang stehen. Beweisen lässt sich dies durch einen Einzelfall nicht. Es ist jedoch bekannt, dass die Betazellen, die im Körper Insulin produzieren, auf ihrer Membran den ACE2-Rezeptor haben, über den SARS-CoV-2 in die Zellen eintritt und diese zerstört, was den Ausbruch des Typ-1-Diabetes erklären könnte.
Ungewöhnlich an dem Patienten ist, dass er keine Autoantikörper gegen Inselzellen, Glutaminsäure-Decarboxylase, Tyrosinphosphatase, Insulin oder den Zinktransporter 8 hatte, die bei den meisten Patienten mit Typ-1-Diabetes teilweise schon Jahre vor Ausbruch der Erkrankung gefunden werden.
Der Typ-1-Diabetes wird zu den Autoimmunerkrankungen gezählt, und die Autoantikörper gelten als die Auslöser für die Zerstörung der Betazellen. Auch eine genetische Prädisposition lag bei dem Patienten nicht vor. Er hatte ein HLA-Merkmal (DR1-DR3-DQ2), das nur mit einem leichten Anstieg des Erkrankungsrisikos verbunden ist.
Laudes vermutet deshalb, dass eine Infektion der Betazellen mit dem neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) für die Erkrankung verantwortlich ist. Bewiesen ist dies nicht. Der Kieler Endokrinologe ist jedoch nicht allein mit seinen Vermutungen.
Auch in anderen Ländern ist es zu einer Häufung von ungewöhnlichen Neuerkrankungen am Typ-1-Diabetes gekommen. Endokrinologen des King's College London haben deshalb ein Patientenregister (CoviDIAB) eingerichtet, das die Fälle sammelt und den möglichen Zusammenhang mit SARS-CoV-2 weiter untersuchen soll. © rme/aerzteblatt.de

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