Medizin
Herzstillstand: Vor-Ort-Versorgung könnte besser sein als schneller Transportversuch
Freitag, 2. Oktober 2020
Vancouver/Kanada – Das in Deutschland übliche Verfahren, Patienten mit einem plötzlichen Herzstillstand außerhalb der Klinik nach Möglichkeit vor Ort zu versorgen, hat sich in einer prospektiven Kohortenstudie im Amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2020; DOI: 10.1001/jama.2020.14185) als deutlich vorteilhafter herausgestellt als der Versuch, die Patienten möglichst rasch in die nächste Klinik zu transportieren, wo eine optimale Behandlung möglich ist, wie dies in vielen Orten in Nordamerika üblich ist.
Bei der Versorgung von Patienten, die außerhalb einer Klinik einen Herzstillstand (OHCA) erleiden, stehen sich 2 Strategien gegenüber. Die „Stay-and-play“-Strategie geht davon aus, dass der Rettungswagen alle Geräte und Medikamente enthält, die für eine Reanimation und für die Stabilisierung des Kreislaufs notwendig sind. Der Vorteil besteht im rascheren Beginn der Therapie.
Bei der „Scoop-and-run“-Strategie beschränkt sich die Reanimation auf das Notwendigste. Der Patient wird, ohne dass eine spontane Herztätigkeit erreicht ist, so schnell wie möglich in die Klinik transportiert, wo sich mehrere Spezialisten mit einem optimalen Equipment um den Patienten kümmern können.
Welche Strategie die bessere ist, wurde niemals in einer randomisierten Studie untersucht, die die Patienten nach dem Zufallsprinzip auf eine der beiden Strategien verteilt. Die zweitbeste Lösung ist eine prospektive Kohortenstudie, in der die Entscheidung zur Behandlung in den Händen der Ärzte (oder der Klinik) bleibt.
Um eine Verzerrung der Ergebnisse zu vermeiden, werden nachträglich in einer Propensity-Analyse nur Patienten mit den gleichen Eigenschaften verglichen. Da allerdings niemals alle Aspekte in den Krankenakten dokumentiert werden, bleibt eine gewisse Unsicherheit. Einige Faktoren wie Ausbildungsstand und Geschicklichkeit der Notfallmediziner oder die technische Ausrüstung lassen sich kaum bewerten.
Hinzu kommt ein möglicher „Bias“ bei den Ärzten. Diese könnten sich häufiger für ein „Stay-and-play“ entscheiden, wenn sie die Erfolgschancen als hoch einstufen, ohne dass sich dies in den Patientenakten niederschlägt. Die Patienten mit einer ungünstigen Prognose würden dann zunächst in die Klinik transportiert.
Das Team um Brian Grunau vom St. Paul’s Hospital in Vancouver konnte bei seiner Propensity-Analyse zahlreiche Faktoren berücksichtigen. Dazu zählten Alter und Geschlecht des Patienten, die Anwesenheit von Augenzeugen, eine Laienreanimation und die Dauer vom Notruf bis zur Ankunft des Rettungsdienstes.
Auch der anfängliche kardiale Rhythmus, die Ätiologie und eine erweiterte Reanimation vor Ort flossen in die Analyse ein. Ob damit alle möglichen Störfaktoren vermieden wurden, die zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen könnten, bleibt aber offen.
Die Analyse beruht auf den Daten des „Resuscitation Outcomes Consortium Cardiac Epidemiologic Registry“, zu den sich 10 Zentren in den USA und Kanada zusammengeschlossen haben. In einem Zeitraum von etwa 4 Jahren waren dort fast 44.000 Patienten im Alter von durchschnittlich 67 Jahre nach einem OHCA versorgt worden
Wie Grunau berichtet, hatten 22 % anfänglich einen „schockierbaren“ Rhythmus. Bei fast allen (97 %) wurde mit erweiterten lebenserhaltenden Maßnahmen begonnen, doch 26 % wurde ohne eine Etablierung eines spontanen Kreislaufs in die Klinik transportiert. In der Propensity-Analyse wurden 9.406 Patienten mit einem „Intra-Arrest-Transport“ mit 18.299 Patienten verglichen, die erst nach Etablierung einer spontanen Blutzirkulation ins Krankenhaus transportiert wurden.
Primärer Endpunkt der Studie war der Anteil der Patienten, die später lebend aus dem Krankenhaus entlassen werden konnten. Dieses Ziel erreichten nach einem Intra-Arrest-Transport („Scoop-and-run“) nur 4,0 % der Patienten. Bei einer abgeschlossenen Behandlung vor Ort („Stay-and-play“) betrug der Anteil 12,6 %.
In der Propensity-Analyse war der Unterschied geringer. Nach der „Scoop-and-run“-Strategie überlebten 4,0 % der Patienten bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus gegenüber 8,5 % in der „Stay-and-play“-Strategie. Die Risikodifferenz von 4,6 Prozentpunkten war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 4,0 bis 5,1 %punkten signifikant.
Ein günstiges neurologisches Ergebnis erreichten in der Propensity-Analyse nach der „Scoop-and-run“-Strategie 2,9 % der Patienten gegenüber 7,1 % nach einem „Stay-and-play“. Die Risikodifferenz von 4,2 Prozentpunkten (3,5 bis 4,9 %punkten) war ebenfalls statistisch signifikant.
Die Ergebnisse stellen die Strategie des „Scoop-and-run“ sicherlich infrage. Mit Gewissheit lässt sich ein Vorteil eines „Stay-and-play“ jedoch nicht konstatieren. Übersehene Störfaktoren können in epidemiologischen Studie schnell die Ergebnisse verfälschen. © rme/aerzteblatt.de
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