Medizin
COVID-19: Protektive Antikörper auch nach Monaten noch in Blut und Speichel nachweisbar
Freitag, 9. Oktober 2020
Boston und Toronto – Die Befürchtung, dass die Immunität nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 nur von kurzer Dauer ist, scheint sich nicht zu bestätigen. In 2 Studien aus Kanada und den USA in Science Immunology (2020; DOI: 10.1126/sciimmunol.abe0367 und DOI: 10.1126/sciimmunol.abe5511) war die Antikörperkonzentration auch 3 Monate nach der Erkrankung noch nicht wieder abgefallen.
In den letzten Wochen hatte es mehrfach Berichte gegeben, wonach SARS-CoV-2 nur eine unzuverlässige Immunität hinterlässt, die nur von begrenzter Dauer ist. So hatten chinesische Forscher im Juni berichtet, dass nur 30 von 37 asymptomatischen Personen 3 bis 4 Wochen nach der Infektion IgG-Antikörper ausgebildet hatten, deren Konzentration rasch zurückging. Bei 12 Infizierten war es sogar zu einer Seroreversion gekommen: Die Antikörpertests fielen bei ihnen wieder negativ aus (Nature Medicine, 2020; DOI: 10.1038/s41591-020-0965-6).
Mediziner aus Kalifornien beobachteten auch in einer Gruppe von 34 Patienten, die an COVID-19 erkrankt waren, einen ungewöhnlich raschen Rückgang der Antikörpertiter (New England Journal of Medicine 2020; DOI: 10.1056/NEJMc2025179). Eine schnell nachlassende Immunität würde die Kontrolle der derzeitigen Pandemie sicherlich erschweren. Sie wäre auch ein schlechtes Omen für die Entwicklung von Impfstoffen, deren Effektivität auf der langfristigen Bildung von Antikörpern beruht.
Die beiden jetzt publizierten Studien, die auf einer bedeutend höheren Fallzahl basieren, kommen zu einer anderen Einschätzung. Das Team um Richelle Charles von Massachusetts General Hospital in Boston hat mehrfach die Blutproben von 343 Patienten untersucht, die schwer an COVID-19 erkrankt waren (93 % hospitalisiert; Letalität 13 %).
Ihre Ergebnisse zeigen, dass das Immunsystem auf SARS-CoV-2 ähnlich wie auf andere Viren reagiert, nämlich mit Bildung aller 3 wesentlichen Antikörpergruppen. Als erstes stiegen die IgM-Antikörper an, deren Nachweis auch bei anderen Erkrankungen als Hinweis auf eine kurz zurückliegende Infektion gelten. Diese Antikörper werden auch bei SARS-CoV-2 nur vorübergehend gebildet. Nach 49 Tagen waren sie bei der Hälfte der Patienten wieder verschwunden. Auch die IgA-Antikörper, die für eine Immunität auf den Schleimhäuten zuständig sind, waren median nach 71 Tagen nicht mehr im Speichel nachweisbar.
Bei den IgG-Antikörpern kam es zu einem deutlichen Anstieg, der regelmäßig mit einer Neutralisierung der Viren (in einem Labortest) verbunden war. Die IgG-Antikörper stiegen nach etwa einer Woche und erreichten nach 28 Tagen die höchste Konzentration. Danach kam es zu einem langsamen Abfall. Eine Seroreversion wurde bis zum 90. Tag jedoch bei 3 Personen nachgewiesen.
Eine Kreuzreaktivität mit den Antikörpern der 4 „harmlosen“ Coronaviren HKU1, 229E, OC43 und NL63, die in der Regel nur harmlose Infektionen verursachen, wurde übrigens nicht gefunden. Dies bestätigt die Beobachtungen anderer Forscher, wonach frühere Infektionen mit den Erkältungsviren nicht vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 schützen (vielleicht aber den Schweregrad beeinflussen).
Die Forscher haben auch Blutproben von 1.548 Personen aus der Zeit vor Beginn der Pandemie untersucht. Sensitivität und Spezifität der IgG-Antikörper waren hoch. Der AUC-Wert, der beides kombiniert, lag nach 14 Tagen und später bei 0,99 ( 95-%-Konfidenzintervall 0,99 bis 1,00), also sehr nahe am optimalen Wert von 1,0. Dies bedeutet, dass der PCR-Test zum Virusnachweis sehr gut mit einem späteren Antikörpertest kombiniert werden kann, um eine sichere Diagnose zu stellen. Der Antikörpertest dürfte sich auch für Seroprävalenzstudien eignen.
Ähnliche Erfahrungen hat ein Team um Jennifer Gommerman von der Universität Toronto gemacht, die 402 Patienten mit COVID-19 bis zu 105 Tage nach Auftreten der Symptome untersucht hat. Auch hier kam es mit einer Verzögerung von einigen Tagen zu einem Anstieg der Antikörper, die bei den IgG-Antikörpern nach 16 bis 30 Tagen den Höhepunkt erreicht hatten und dann langsam abfielen.
Die Antikörpertests blieben jedoch bis zum Ende der Nachbeobachtung nach 105 Tagen positiv, während es bei den IgM- und den IgA-Antikörpern zu einem raschen Abfall der Titer kam.
Die kanadischen Forscher haben zudem einen Speicheltest entwickelt, der sich in den Studien als zuverlässig erwiesen hat. Dieser Test könnte sich für Seroprävalenzstudien eignen, da die Teilnehmer dann keine Blutprobe abgeben müssten. © rme/aerzteblatt.de

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