Medizin
Soziopolitischer Stress: Nach US-Wahlen steigt die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle
Mittwoch, 28. Oktober 2020
Boston – Akuter Stress kann einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall auslösen. Zu den Triggern gehören laut einer Studie in den Proceedings of the National Academy of Sciences (2020; DOI: 10.1073/pnas.2012096117) auch Wahlen. In den ersten beiden Tagen nach der letzten Präsidentschaftswahl kam es bei einem Krankenversicherer in Kalifornien zu einem spürbaren Anstieg der Behandlungsfälle.
Dass akuter Stress einen Herzinfarkt auslösen kann, ist seit langem bekannt. Schon Anfang der 1990er-Jahre konnten Forscher der Freien Universität Berlin in einer Patientenbefragung ermitteln, dass Herzinfarktpatienten in den Stunden vor dem Infarkt häufiger körperlich anstrengenden Tätigkeiten nachgegangen waren (NEJM 1993; 329: 1584-90).
In anderen Studien wurden auch Atemwegsinfektionen, Alkohol oder koffeinhaltige Getränke, schwere Mahlzeiten, der Konsum von Marihuana oder Kokain, Stress am Arbeitsplatz, Wut und depressive Verstimmungen als Auslöser von Herzinfarkten beschrieben.
Weniger bekannt ist, dass in etwa die gleichen Trigger auch einen Schlaganfall auslösen können. Beide Erkrankungen treten zudem häufiger in den Morgenstunden auf, wenn die Produktion des Stresshormons Cortisol am höchsten ist.
Auch nach Erdbeben, Tsunamis und anderen Naturkatastrophen konnte ein Anstieg der Herz-Kreislauf-Ereignisse nachgewiesen werden. Ebenso nach den Terroranschlägen des 11. September. Das Ausscheiden der Fußballnationalmannschaft bei der Europameisterschaft 1996 war in den Niederlanden für viele Männer ein unerwarteter Stressor. Es kam zu einem Anstieg der kardiovaskulären Todesfälle.
Ein Team um David Williams von der Harvard School of Public Health in Boston hat jetzt einen soziopolitischen Trigger ermittelt. Die Analyse der Versichertendaten von Kaiser Permanente in Kalifornien ergab, dass unmittelbar nach den Präsidentschaftswahlen im November 2016 die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen kardiovaskulärer Notfälle anstieg.
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In den 2 Tagen vor den Wahlen wurden 58 Patienten behandelt, was einer Inzidenz von 353,75 pro 100.000 Personenjahre entspricht. In den beiden Tagen nach der Wahl waren es 94 Krankenhauseinweisungen oder 573,14 pro 100.000 Personenjahre. Die Rate Ratio von 1,62 war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,17 bis 2,25 statistisch signifikant, was einen Zufall weitgehend ausschließt.
Ein Anstieg wurde sowohl bei den Herzinfarkten (Rate Ratio 1,67; 1,00 bis 2,76) als auch bei den Schlaganfällen (Rate Ratio 1,59; 1,03 bis 2,44) gefunden. Betroffen waren laut Williams alle Bevölkerungsschichten. Für die Wahl am 2. November macht der Epidemiologe keine Vorhersagen.
Wegen der politischen Spaltung des Landes dürfte das Ergebnis jedoch für viele Wähler mit einem erheblichen soziopolitischen Stress verbunden sein. Ob es zu emotionalen Herzinfarkten oder Schlaganfällen kommt, wird sich in zukünftigen Analysen zeigen. © rme/aerzteblatt.de
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