Medizin
COVID-19: Remdesivir und Interferon bleiben in WHO-Studie ohne Wirkung
Freitag, 16. Oktober 2020
Oxford – Das Virustatikum Remdesivir, das in den USA und Europa zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingesetzt wird, hat in einer internationalen Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ebenso wie drei weitere Mittel (Hydroxychloroquin, Ritonavir/Lopinavir und Interferon-beta 1a) die Sterblichkeit nicht senken können, wie die jetzt in medRxiv (2020; DOI: 10.1101/2020.10.15.20209817) veröffentlichten Ergebnisse zeigen.
Die SOLIDARITY-Studie war im Februar auf einem Wissenschaftsforum der WHO beschlossen worden. Das Ziel war, vier bekannte Wirkstoffe mit möglicher virustatischer Wirkung bei möglichst vielen Patienten zu testen.
Zwischen dem 22. März und dem 4. Oktober wurden an 405 Kliniken in 30 Ländern insgesamt 11.330 Patienten auf eine Behandlung mit einer der vier Substanzen randomisiert. Zu den Einschlusskriterien gehörte eine nachgewiesene Infektion mit SARS-CoV-2, die zu einer schweren Erkrankung geführt hatte. Bei den Patienten musste die Sauerstoffsättigung auf mindestens 94 % abgefallen sein oder es musste ein akutes Lungenversagen mit der Notwendigkeit einer Sauerstoffgabe oder einer mechanischen Beatmung vorliegen.
Die Teilnehmer der Studie waren bereits so schwer erkrankt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten: 63 % erhielten Sauerstoff, weitere 8 % wurden mechanisch beatmet. Bei 78 % waren beide Lungen erkrankt. Die häufigsten Risikofaktoren für einen ungünstigen Verlauf waren ein Alter über 70 Jahre (19 %; plus 45 % im Alter von 50 bis 69 Jahren), ein Diabetes mellitus (25 %), Herzerkrankungen (21 %) und chronische Lungenerkrankungen (6 %).
Unter diesen Voraussetzungen war die Prognose für viele Patienten ungünstig. Bis zum 28. Tag nach Behandlungsbeginn starben 1.253 Patienten (11,8 %). Unterschiede zwischen den vier Behandlungsarmen gab es nicht.
Nach den von Hongchao Pan vom Nuffield Department of Population Health der Oxford Universität und Mitarbeitern mitgeteilten Ergebnissen betrugen die relativen Sterberisiken für Remdesivir 0,95 (95-%-Konfidenzintervall 0,81 bis 1,11), für Hydroxychloroquin 1,19 (0,89 bis 1,59), für Lopinavir/Ritonavir 1,00 (0,79 bis 1,25) und für Interferon-beta 1a 1,16 (0,96 bis 1,39).
Für Hydroxychloroquin und Lopinavir/Ritonavir waren die Ergebnisse keine Überraschung. Das frühere Malariamittel hatte bereits in mehreren früheren Studien enttäuscht. Eine kürzlich durchgeführte Meta-Analyse auf der Basis von 27 kleineren randomisierten Studien mit 167 Todesfällen kommt zu einem relativen Sterberisiko von 1,00 (0,71 bis 1,42).
Der Protease-Inhibitor Lopinavir/Ritonavir war in der britischen RECOVERY-Studie ohne Wirkung geblieben, nachdem zuvor in einer chinesischen Studie ein tendenzieller Rückgang der Sterblichkeit beobachtet wurde.
Für Remdesivir gab es dagegen Hinweise auf eine Wirkung: Die Evidenz basierte auf den Ergebnissen aus der ACTT-1-Studie (136 Todesfälle auf etwa 1.000 Patienten) und zwei kleineren Studien (41 Todesfälle). In der ACTT-1-Studie war es bei Patienten mit niedrig-dosierter Sauerstoff-Gabe („low flow“) zu einem Rückgang der Todesfälle um 70 % gekommen (Rate Ratio 0,30; 0,11 bis 0,81), bei schwereren Erkrankungen blieb Remdesivir dagegen ohne Wirkung.
In der SOLIDARITY-Studie konnte jetzt jedoch auch für die Patienten mit „low flow“-Sauerstoffgabe kein sicherer Vorteil gezeigt werden (Rate Ratio 0,85; 0,66 bis 1,09). Auch in der Meta-Analyse aller vier Studien bleibt die Reduktion des Sterberisikos mit einer Rate Ratio von 0,80 bei einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,63 bis 1,01 knapp unterhalb des Signifikanzniveaus.
Die Ergebnisse bestätigen die Ansicht von Experten, nach der Remdesivir kein “knockout”-Medikament (Anthony Fauci) ist. Es bleibt allerdings die Möglichkeit, dass es im Frühstadium der Erkrankung die Virusreplikation hemmt und dadurch den Verlauf der Erkrankung verlangsamen kann.
Wenn es erst einmal zu einer systemischen Immunreaktion gekommen ist, scheint der Einsatz von Remdesivir nicht mehr sinnvoll zu sein. Ein Hindernis besteht darin, dass Remdesivir als Infusion gegeben werden muss. Diese parenterale Behandlung wird bei leicht erkrankten Patienten vermieden. Auch die hohen Therapiekosten von etwa 2.000 Euro für eine fünftägige Behandlung könnten hier zu einer Zurückhaltung bei einer Patientengruppe führen, die auch ohne Behandlung eine gute Chance auf eine Erholung hat.
Für Interferon-beta 1a gab es bisher keine Ergebnisse aus großen Mortalitätsstudien. Die Erwartung war, dass das Interferon als wichtiges Zytokin in der angeborenen Immunabwehr das Sterberisiko senken kann. Das war jetzt allerdings weder in der Gesamtgruppe noch bei Patienten der Fall, die gleichzeitig Lopinavir/Ritonavir erhalten hatten.
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Auch eine Begleitbehandlung mit Steroiden hat sich nach den jetzt publizierten Ergebnissen nicht als günstig erwiesen. Die Gabe von Interferon-beta 1a erfolgte an den meisten Kliniken subkutan. Es könnte deshalb sein, dass bei einer intravenösen Gabe eine bessere Wirkung aufgetreten wäre. Wie bei Remdesivir spricht allerdings einiges dafür, dass eine Behandlung nur im Frühstadium erfolgreich sein kann, solange die Replikation der Viren im Vordergrund steht.
Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg erwartet nicht, dass die Ergebnisse der DisCoVeRy-Studie die Anwendung von Remdesivir rasch ändern wird. Eine klinische Wirksamkeit sei vorhanden. Alle bisherigen Studien hätten in die gleiche Richtung gewiesen.
Unter der Behandlung mit Remdesivir könne eine raschere Verbesserung des klinischen Zustands auf der Ordinalskala der WHO erzielt werden. Auch in der SOLIDARITY-Studie könnte es in diesem Endpunkt eine Wirkung gegeben haben. Der Infektiologe rät dazu die weitere Auswertung der Studienergebnisse abzuwarten.
Salzberger vermisst eine Auswertung zu den Patienten, bei denen Remdesivir mit Dexamethason kombiniert wurde. Für die Steroidbehandlung war in der DisCoVeRy-Studie eine signifikante Wirkung nachgewiesen worden. Überraschend ist für den Experten, dass die Behandlung mit Interferon-beta 1a keine Wirkung erzielte, sondern eher einen negativen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hatte. © rme/aerzteblatt.de

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