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Politik

Gesellschaft für Virologie warnt vor Herdenimmunität als Ziel

Dienstag, 20. Oktober 2020

/Inna, stock.adobe.com

Erlangen - Die Deutsche Gesellschaft für Virologie (GfV) warnt davor, zur Bekämpfung der Coronapandemie Herdenimmunität anzustreben. „Mit Sorge nehmen wir zur Kenntnis, dass erneut die Stimmen erstarken, die als Strategie der Pandemiebekämpfung auf die natürliche Durchseuchung großer Bevölkerungsteile mit dem Ziel der Herdenimmunität setzen“, heißt es in einer gestern veröffentlichten Stellungnahme, an der auch der Berliner Virologe Christian Drosten beteiligt war.

Für eine eben solche Strategie hatten kürzlich die Unterzeichner der sogenannten Great Barrington Declaration – drei Forscher aus den USA und Großbritannien - plädiert. Sie schlugen unter anderem die sofortige Aufhebung aller Schutzmaßnahmen vor, einschließlich Abstandsregeln und Maskenpflicht. Um auch ohne Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens vulnerable Gruppen zu schützen, sollen diese Personen angehalten werden, besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die bis hin zu einer Quasi-Isolierung gehen. Ein Beispiel: Ältere Menschen sollten nicht mehr einkaufen gehen, sondern sich Lebensmittel nach Hause liefern lassen.

Laut einer eigenen Webseite haben bereits viele 100.000 Menschen die Erklärung unterzeichnet. In dem Text der Declaration heißt es unter anderem: „Der einfühlsamste Ansatz, bei dem Risiko und Nutzen des Erreichens einer Herdenimmunität gegeneinander abgewogen werden, besteht darin, denjenigen, die ein minimales Sterberisiko haben, ein normales Leben zu ermöglichen, damit sie durch natürliche Infektion eine Immunität gegen das Virus aufbauen können, während diejenigen, die am stärksten gefährdet sind, besser geschützt werden.“ Die Verfasser befürchten, dass die harten Maßnahmen „irreparablen Schaden verursachen, wobei die Unterprivilegierten unverhältnismäßig stark betroffen sind“.

Haltbarkeit der Immunität noch immer unbekannt

Die deutschen Virologen lehnen eine solche Strategie „entschieden“ ab, wie es in der Stellungnahme heißt. Eine unkontrollierte Durchseuchung würde zu einer eskalierenden Zunahme an Todesopfern führen, schreiben sie. Denn selbst bei strenger Isolierung älterer Menschen gebe es noch weitere Risikogruppen, die viel zu zahlreich, zu heterogen und zum Teil auch unerkannt seien, um aktiv abgeschirmt werden zu können: „Ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf ergibt sich beispielsweise bei Übergewicht, Diabetes, Krebserkrankungen, einer Niereninsuffizienz, chronischen Lungenerkrankungen, Lebererkrankungen, Schlaganfall, nach Transplantationen und während einer Schwangerschaft.“

Laut der Gesellschaft für Virologie weiß man noch nicht zuverlässig, wie lange eine durch eine Infektion erworbene Immunität anhält. Das Anstreben der Herdenimmunität ohne Impfung sei unethisch sowie medizinisch, gesellschaftlich und damit auch ökonomisch hochriskant.

Vor etwa einer Woche hatte bereits die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davor gewarnt, bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie auf eine Herdenimmunität durch massenweise Ansteckungen zu setzen. „Niemals in der Geschichte des Gesundheitswesens wurde Herdenimmunität als eine Strategie gegen einen Ausbruch eingesetzt, geschweige denn gegen eine Pandemie“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Kontrolle über das Infektionsgeschehen könnte verloren gehen

Die Gesellschaft für Virologie spricht mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen in Deutschland vom „Beginn einer exponentiellen Ausbreitung“. Weiter heißt es: „Aufgrund der explosiven Infektionsdynamik, die wir in allen Hotspots quer durch Europa feststellen, steht zu befürchten, dass ab einer bestimmten Schwelle auch in bisher unkritischen Regionen die Kontrolle über das Infektionsgeschehen verloren geht.“

Bei Überschreiten dieses Schwellenwerts sei die Nachverfolgung einzelner Ausbrüche und strikte Isolationsmaßnahmen nicht mehr zu machen. Eine unkontrollierte Ausbreitung in alle Bevölkerungsteile sei dann nicht mehr zu verhindern. „Es steht zu erwarten, dass dies zu einer raschen Überlastung der Gesundheitssysteme führen würde, was zum Beispiel in Deutschland allein schon wegen des Mangels an Intensivpflegekräften bereits bei weit unter 20.000 Neuinfektionen pro Tag der Fall sein könnte.“

Erst kürzlich hatte ein von Wissenschaftlern aus dem Saarland entwickelter Online-Simulator vorhergesagt, dass Deutschland bereits in zwei bis drei Wochen eine Zahl von 20.000 Neuinfektionen pro Tag erreichen könnte. © dpa/nec/aerzteblatt.de

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