Medizin
Zweiter Rezeptor für SARS-CoV-2 erklärt breites Symptomspektrum von COVID-19
Mittwoch, 21. Oktober 2020
Bristol/Helsinki/München – Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 nutzt anders als sein Vorgänger SARS-CoV-1 neben ACE2 einen weiteren Rezeptor zum Eintritt in die Zellen. Die Bindung an Neuropilin-1, die 2 Forscherteams in Science (2020; DOI: 10.1126/science.abd3072 und abd2985) aufzeigen, erklärt das breite Symptomspektrum von COVID-19. In den Studien würden auch Ansatzpunkte für neue Therapien in Laborexperimenten getestet.
Bisher gingen die Forscher davon aus, dass Coronaviren mit ihren Spike-Proteinen am ACE2-Rezeptor binden und dann nach einer „Aktivierung“ durch die Serinprotease TMPRSS2 in die Zellen eindringen. Inzwischen ist bekannt, dass ein weiterer Faktor eine Rolle spielt.
Im Spike-Protein von SARS-CoV-2 (nicht aber bei SARS-CoV-1) gibt es eine Spaltstelle für die Furinprotease, einem in den Atemwegen vorkommenden Enzym. Durch die Spaltung entstehen die Proteine S1 und S2. Ein Ende von S1 hat bei SARS-CoV-2 Ähnlichkeit mit einem Peptid, das an Neuropilin 1 bindet. Dies könnte SARS-CoV-2 den Eintritt in Zellen erleichtern, die neben ACE2 noch einen Rezeptor für Neuropilin 1 auf ihrer Oberfläche haben.
Neuropilin 1 wird in vielen menschlichen Geweben einschließlich der Atemwege, Blutgefäße und Neuronen gebildet. Dies könnte erklären, warum SARS-CoV-2 sich im Körper rasch ausbreiten kann, während eine Infektion mit SARS-CoV-1 weitgehend auf die unteren Atemwege beschränkt bleibt.
Auch die höhere Infektiosität könnte mit der Bildung von Neuropilin 1 zusammenhängen, da Neuropilin 1 auf vielen Zellen der oberen Atemwege gebildet ist. Eine besonders hohe Konzentration findet sich im Riechepithel. Die Infektion dieser Zellen könnte erklären, warum Riechstörungen zu den häufigsten Symptomen von COVID-19 gehören.
Ein Team um Yohei Yamauchi von der Universität Bristol konnte die Bindung von S1 an Neuropilin 1 durch eine Röntgenkristallografie sowie durch biochemische Experimente belegen.
In Zellkulturen konnten die Forscher das Eindringen des Virus durch monoklonale Antikörper oder mit einem Neuropilin-1-Antagonisten verhindern. Damit könnten die Forscher 2 neue Mittel zur Behandlung von COVID-19 gefunden haben. Deren Sicherheit und Effektivität müsste aber erst noch durch präklinische und klinische Studien belegt werden.
zum Thema
- Abstract der deutsch-finnischen Arbeitsgruppe
- Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen
- Pressemitteilung der TU München
- Pressemitteilung der Universität Helsinki
- Abstract der britischen Arbeitsgruppe
- Pressemitteilung der Universität Bristol
- Pressemitteilung von Science
aerzteblatt.de
Ein Team um Giuseppe Balistreris von der Universität Helsinki und Mikael Simons von der Technischen Universität München kommen in ihren Experimenten ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Anwesenheit von Neuropilin 1 auf den Zellen die Infektiosität von SARS-CoV-2 fördert. Die Forscher haben ebenfalls einen Antikörper entwickelt, der den Eintritt der Viren in die Zellen verhindert.
An 6 Patienten, die an COVID-19 verstorben sind, konnten sie zeigen, dass die Viren auch das Riechepithel infizieren können. Die Viren wurden hier auch in neutralen Vorläuferzellen gefunden. Dies weist auf eine mögliche Infektion des Gehirns hin, zu dem es über das Riechepithel eine direkte Verbindung gibt.
In weiteren Experimenten konnten die Forscher an Mäusen zeigen, dass Neuropilin 1 den Transport winziger, virusgroßer Partikel von der Nasenschleimhaut zum zentralen Nervensystem ermöglicht.
In den letzten Wochen hatten andere Forscher herausgefunden, dass die Viren das Gehirn erreichen. Ob sie den direkten Weg über das Riechepithel nehmen, ist jedoch unklar. Simons bleibt bei der Bewertung der Studienexperimente zurückhaltend. Es sei sehr wahrscheinlich, dass dieser Transportweg bei den meisten Patienten durch das Immunsystem unterdrückt werde, meint der Forscher in der Pressemitteilung. © rme/aerzteblatt.de

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