Vermischtes
„Verschwörer machen Bill Gates für die Pandemie verantwortlich“
Mittwoch, 28. Oktober 2020
Berlin – Eine Ostafrikareise zu ihrer Verlobung 1993 öffnete Microsoft-Gründer Bill Gates und seiner Frau Melinda einst die Augen für extreme Armut – so erzählte es das Paar über die Jahre immer wieder. Damals beschlossen sie, den Großteils des Geldes, das der Technologiekonzern abwarf, in wohltätige Zwecke zu investieren. Die nach dem Paar benannte Stiftung finanziert heute weltweit die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen und deren Verbreitung. Genau aus diesem Grund gilt Bill Gates vielen Verschwörungstheoretikern als Staatsfeind Nummer eins.
Zum 65. Geburtstag des Microsoft-Gründers hat das Deutsche Ärzteblatt mit Michael Butter darüber gesprochen, warum Bill Gates für viele ein Feindbild und sein Engagement für Impfkampagnen so ein Reizthema für Verschwörungstheoretiker ist.
5 Fragen an Michael Butter, Professor für amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen und führender Experte auf dem Gebiet der Forschung zu Verschwörungstheorien
DÄ: Bill Gates wird heute 65 Jahre alt. Nur wenige Menschen auf der Welt können von sich behaupten, so viel Geld in Prävention und Impfschutz rund um den Globus investiert zu haben. Warum ist er für viele Verschwörungstheoretiker gerade in der Coronapandemie so ein Fixpunkt?
Michael Butter: Ich glaube dafür gibt es mehrere Gründe. Einer ist beispielsweise, dass seine Stiftung im vergangenen Jahr eine Pandemie simuliert hat. Dabei hatte das simulierte Virus seinen Ursprung in China, war von Tieren auf den Menschen übergesprungen und hat sich dann im Rest der Welt ausgebreitet.
Dieser Ablauf galt schon vor Corona als realistische Möglichkeit für den Beginn einer Pandemie, solche Simulationen gab es von vielen Institutionen. Aber nur wenige haben ein so prominentes Gesicht wie die Bill und Melinda Gates Stiftung. Verschwörer unterstellen Bill Gates ein Vorwissen oder machen ihn sogar für die Pandemie verantwortlich.
Es gab ja auch schon vor der Coronakrise Verschwörungstheorien um die Stiftung und seine Person. Er investiert weltweit in Impfkampagnen, die vielen nicht recht sind. Ein Großteil der hohen Beträge, die er auch an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spendet, sind zweckgebunden und fließen in Impfkampagnen. Teilweise ist das auch bei Menschen umstritten, die nicht an Verschwörungstheorien glauben, beispielsweise, weil die Kampagnen für nicht kultursensibel gehalten werden. Verschwörungstheoretiker verzerren das natürlich alles in ihrem Sinne.
DÄ: Was werfen Verschwörungstheoretiker Bill Gates konkret vor?
Butter: Er soll der Strippenzieher hinter verschiedenen Verschwörungen sein. Einige denken, dass er mit der Coronapandemie einen globalen Impfzwang durchsetzen will, dass er persönlich an Impfungen verdient. Andere denken, dass er ihnen mithilfe der Impfungen Chips einpflanzen will, um die Menschen gefügig zu machen. Wieder andere, dass er die Weltbevölkerung reduzieren will und dafür Corona gezielt in die Welt gesetzt hat.
DÄ: Warum polarisiert das Thema Impfen bei Verschwörungstheoretikern so sehr?
Butter: Verschwörungstheorien, die sich ums Impfen drehen, sind gar nicht so viel populärer als andere − aber es ist ein Thema, zu dem sich jeder positionieren muss. Es betrifft den eigenen Körper und ob bei sich selbst oder den Kindern, jeder muss irgendwann entscheiden, wie er dazu steht.
Bei einer Verschwörungstheorie wie etwa der, dass Echsenmenschen heimlich die Welt regieren, ist das anders. Man kann aber sagen, dass verschwörungsgläubige Impfgegner die militantesten und die aggressivsten sind, das kann ich aus den E-Mails, die ich so bekomme, ableiten.
Schon als im 17. Jahrhundert erstmals Impfungen auftauchten, waren die Kontroversen groß. Dass Toten etwas entnommen und Lebenden gespritzt werden sollte, schürte Angst und war natürlich damals auch noch nicht so sicher wie heute. Damals hat sich ein bestimmtes Bild verfestigt, das sich in Teilen bis heute gehalten hat.
Dieses Bild wurde immer wieder auch durch gefälschte Studien gefestigt, wie beispielsweise durch die Studie von Andrew Wakefield, die 1998 im Lancet veröffentlicht wurde. Er stellte damals einen Zusammenhang zwischen Autismus und der Mumps-Masern-Röteln-Impfung her. Nachforschungen zeigten später, dass er und seine Mitautoren Geld von Anwälten erhalten hatten, die die Eltern von autistischen Kindern vertraten und Impfstoffhersteller verklagen wollten.
Auch das Internet und soziale Medien tragen viel dazu bei, dass sich das Bild hält. Zum Beispiel tauchen mittlerweile, egal wo auf der Welt man danach im Internet sucht, immer die gleichen Seiten mit Fehlinformationen über Impfungen auf. Kollegen und ich haben das untersucht, unserer Meinung nach investiert jemand viel Geld, damit diese Seiten immer weit oben erscheinen.
DÄ: Auch Bill Gates zählt zu den reichsten Menschen der Welt. Ohne Frage könnte er vieles tun, ohne dafür belangt oder hinterfragt zu werden. Die Beteiligungen seiner Stiftung sind kaum zu überblicken. Obwohl er kein gewählter Volksvertreter ist, hat er große Macht, die er weltweit einsetzt. Verschwörungstheoretiker deuten diese Fakten in ihrem Sinne um. Was kann man ihnen entgegenhalten?
Butter: Mit überzeugten Verschwörungstheoretikern kann man nicht diskutieren. Argumentiert man mit Fakten, sorgt das oft nur dafür, dass sie noch stärker an die Verschwörung glauben. Man kann nur Offenheit zeigen und nachfragen, nach Gründen oder Quellen.
Manchmal regt das einen Prozess der Selbstreflexion an, doch häufig gibt es relativ wenig Aussicht auf Erfolg. Bei Menschen, die zwar schon einmal von einer Verschwörungstheorie gehört haben, aber noch nicht fest daran glauben, ist das anders. Strukturell gibt es zwischen verschiedenen Verschwörungstheorien gar nicht so große Unterschiede, der liegt eher darin, wie stark Menschen daran glauben.
DÄ: Unter den Menschen, die angeblich im Zentrum verschiedener Verschwörungen stehen, sind fast ausschließlich Amerikaner. Was ist der Grund dafür und gibt es noch andere Menschen, auf die Verschwörungstheoretiker ähnlich fixiert sind?
Butter: Verschwörungstheorien sind oft Machttheorien. Es geht um Geld, Politik, die Lenkung der Welt. Und in den USA sitzen viele mächtige Menschen, sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft. Teils sind es aber auch nationale Verschwörungsglauben.
Unter Trumpanhängern sind Verschwörungen um Hilary Clinton und Joe Biden populär. Für sie gilt Trump als der Messias, dem diese beiden schaden wollen. Sie werden als Gegner gesehen, denen man unterstellt, sie seien Teil einer gigantischen Verschwörung, die schlimmer ist, als alles was man vorher hatte. In Deutschland wiederum ist Angela Merkel für viele Verschwörungsgläubige ein Feindbild. © alir/aerzteblatt.de

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