Ärzteschaft
SARS-CoV-2: Impfschutz auch bei unzureichender natürlicher Immunität möglich
Donnerstag, 29. Oktober 2020
Berlin – Wie gut und wie lange eine SARS-CoV-2-Infektion – insbesondere bei milden Verläufen – vor einer erneuten Ansteckung schützt, ist noch ungeklärt. Doch selbst wenn eine natürliche Infektion keine anhaltende Immunität induzieren sollte – eine Impfung könnte dazu dennoch in der Lage sein, betonten Immunologen und Impfstoffforscher heute bei einer Online-Pressekonferenz des Science Media Center.
„Das Prinzip einer Impfung ist ein ganz anderes als das einer natürlichen Infektion“, erklärte Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung und Oberarzt an der Medizinischen Klinik für Infektiologie und Pneumologie der Berliner Charité.
Coronaviren sind auch deshalb so erfolgreich, weil sie dem Immunsystem zu einem gewissen Grad entkommen können und in der Folge keine dauerhaft sterilisierende Immunität hinterlassen. Bekannt ist dies auch von anderen Viren, etwa Herpes zoster oder HPV. Mit beiden Pathogenen kann man sich immer wieder anstecken, doch eine Impfung schützt.
„Bei der Impfung geben wir dem Immunsystem einmal kurz den Personalausweis des jeweiligen Pathogens, und das Immunsystem kann sich das einprägen“, erklärte Sander. „Bei einer natürlichen Infektion verhindert das Virus dies, weshalb sich das Immunsystem nicht hundertprozentig schützen kann.“
Dies sei auch einer der Gründe, weshalb für Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 keine Coronaviren verwendet würden, sondern andere Vektoren, von denen man wisse, dass sie langfristige Immunantworten induzieren können.
Strategie des Herdenschutzes ist „völlig absurd“
Für den Umgang mit der Coronapandemie haben sich mittlerweile zwei sehr gegensätzliche Ansätze herauskristallisiert: Auf der einen Seite stehen die Befürworter einer Strategie, die zum Ziel hat, eine Herdenimmunität unter den jüngeren Bevölkerungsschichten aufzubauen, während Risikogruppen durch spezielle (isolierende) Maßnahmen geschützt werden sollen. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die angesichts des ungewissen langfristigen Immunschutzes davor warnen, auf einen Herdenschutz zu hoffen.
Aber nicht nur die fragliche Immunität spricht gegen Ansätze, die auf eine Herdenimmunität setzen: Für Jacob Nattermann, Leiter der Arbeitsgruppe angeborene zelluläre Immunologie, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum Bonn, ist die Vorstellung, einen Herdenschutz anzustreben, „völlig absurd“, weil dadurch „der Tod von 200.000 oder 300.000 Menschen aller Altersgruppen“ riskiert werde.
COVID-19: Studie findet robuste Antikörperantwort über mindestens 5 Monate
New York – Wie lange der Immunschutz nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 anhält, gehört derzeit zu den bangen Fragen. Nachdem eine Studie aus England zuletzt auf ein rasches Sinken der Seroprävalenz hingedeutet hat, kommen US-Mediziner in Science (2020; DOI: 10.1126/science.abd7728) nun zu einer optimistischeren Einschätzung. Die Mehrzahl der untersuchten Patienten hatte eine robuste Immunantwort [...]
Denn, betonte er, „wir sehen jetzt auch verstärkt jüngere Patienten auf den Intensivstationen. Allein aus diesem Grund ist es ein Konzept, dass an seiner Absurdität kaum zu übertreffen ist.“
Auch Sander widerspricht einer Strategie, bei der man das Virus ungehemmt durch bestimmte Bevölkerungsschichten laufen lässt, um so einen Herdenschutz für die vulnerablen Bevölkerungsanteile zu erreichen. „Das ist meines Erachtens noch für keine Infektionskrankheit gelungen. Das ist nur mit Impfungen gelungen“, betonte er.
Auch jüngere Patienten können schwer erkranken
Außerdem könne er sich aufgrund der aktuellen Fallzahlen nicht vorstellen, wie die Gesellschaft so kompartimentalisiert werden sollte, dass das Virus tatsächlich nur durch die „erwünschten“ Bevölkerungsgruppen laufe.
Ganz zu schweigen davon, dass ein jüngeres Alter nicht immer vor schweren Erkrankungen schütze: Auf seinen Stationen lägen zurzeit auch relevant viele jüngere Patienten, die schwer erkrankt seien. „Das ist zwar seltener, aber es ist nicht ausgeschlossen", so Sander.
Ob die Impfstoffe, an denen momentan gearbeitet wird, eine sterilisierende Immunität vermitteln oder nur schwere Krankheitsverläufe verhindern, müsse sich erst noch zeigen, ergänzte er.
Aber „wenn wir Risikopopulationen impfen und so vor schweren Verläufen schützen könnten, dann einen Großteil der Bevölkerung impfen und dadurch mit sehr viel weniger schweren Verläufen zu tun hätten, wäre uns auch schon geholfen. Selbst wenn es dann zu einem weiteren endemischen Geschehen kommt.“ © nec/aerzteblatt.de

Nachrichten zum Thema


Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.