Medizin
Bayern: Sechsmal mehr Kinder mit SARS-CoV-2 infiziert als gemeldet
Donnerstag, 29. Oktober 2020
München – In einer Studie zur Früherkennung des Typ-1-Diabetes, die derzeit an Kindern in Bayern durchgeführt wird, wurden mit einem doppelten Antikörper-Test sechsmal mehr Infektionen mit SARS-CoV-2 nachgewiesen, als dies die öffentlichen Fallzahlen erwarten lassen. Auch perinatale Infektionen sind nach den jetzt in Med (2020; DOI: 10.1016/j.medj.2020.10.003) veröffentlichten Ergebnissen nicht ungewöhnlich.
Die meisten Kinder, die an Typ-1-Diabetes erkranken, haben in den Jahren zuvor bereits Antikörper gegen Insulin im Blut, die später am Angriff auf die Beta-Zellen beteiligt sind. Die Fr1da-Studie untersucht derzeit, ob ein Screening des Typ-1-Diabetes möglich und sinnvoll ist. Zwischen Januar und Juli 2020 hatten 11.884 Kinder im mittleren Alter von 3,2 Jahren an der Studie teilgenommen.
Ein Team um Anette-Gabriele Ziegler vom Helmholtz Zentrum München hat jetzt in den archivierten Blutproben nach Antikörpern gegen SARS-CoV-2 gesucht. Zum Einsatz kam ein eigens entwickelter Luciferase-Immunopräzipitations-Test (LIPS Assay), der auf einem ähnlichen Prinzip basiert wie der in der Studie eingesetzte Suchtest auf Insulinantikörper.
Der LIPS Assay weist sowohl Antikörper gegen das Spikes-Protein auf der Virusoberfläche als auch Antikörper gegen das Nukleokapsid in seinem Inneren nach. In einer ersten Testreihe erzielte er eine Sensitivität von über 95 % und eine Spezifität von 100 %. In keiner der 3.887 Kontrollen wurde ein falsch-positives Ergebnis gefunden.
Unter den 11.884 Blutproben gab es 82 positive Ergebnisse mit Antikörpern gegen beide Virusbestandteile. Der 1. Fall trat bereits im Januar auf, als in Bayern ein erster Ausbruch noch kontrolliert werden konnte. Im Februar gab es keine Infektion, im März dann erneut 1 Fall, im April waren es 9, im Mai 21, im Juni 25 und im Juli ebenfalls 25 positive Testergebnisse. Zwischen April und Juli waren damit im Schnitt 0,87 % der Kinder in dem Antikörpertests zweifach-positiv.
Das sind für April bis Juli sechsmal so hohe Zahlen wie die vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Ernährung gemeldeten Fälle bei Kindern. Dass die tatsächlichen Infektionszahlen höher sind als die amtlich erfassten liegt am milden Verlauf der Infektion. Auf Nachfragen konnten sich die Eltern nur bei der Hälfte der Kinder an Symptome erinnern, die in der Regel nicht mit SARS-CoV-2 in Verbindung gebracht wurden.
Die andere Hälfte der Kinder war asymptomatisch gewesen. Viele Infektionen ereigneten sich offenbar in den Familien. Rund ein Drittel der Kinder, die mit einem auf das Virus positiv getesteten Familienmitglied zusammenlebten, wiesen Antikörper auf. Die Studie weist auf deutliche geographische Unterschiede hin. Am meisten positive Antikörpertests gab es im Süden Bayerns.
Die Forscher haben auch untersucht, ob die Infektion mit SARS-CoV-2 eventuell das Risiko auf einen Typ-1-Diabetes beeinflusst, wie dies einige Wissenschaftler in den letzten Monaten vermutet hatten. Dafür fanden sich in der Studie keine Hinweise. Es gab keine Assoziationen zwischen dem Auftreten von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 und gegen Insulin.
In einer zweiten Studie, Freder1k, untersuchen die Forscher derzeit an Neugeborenen, ob es bereits bei der Geburt Hinweise auf ein erhöhtes Diabetesrisiko gibt. Ein Nachweis von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 würde eine Übertragung unter der Geburt anzeigen. Auch dies scheint vorzukommen. Die erste positive Probe wurde im April gefunden. Die Häufigkeit stieg bis zum Juni auf 1,3 % an. © rme/aerzteblatt.de

Insulin als Quelle der Antikörper?

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