Politik
Härtefallfonds für Behandlungsfehler umstritten
Donnerstag, 5. November 2020
Berlin – Die Einrichtung eines Härtefallfonds für Opfer von Behandlungsfehlern ist unter Experten für Medizinrecht umstritten. Das zeigte die gestrige Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestages unter Leitung von Erwin Rüddel (CDU/CSU) zu Vor- und Nachteilen eines Fondsmodells.
Skeptisch äußerte sich die Bundesärztekammer (BÄK), die vor unerwünschten Auswirkungen auf das Haftungssystem warnte, wenn die Präventivwirkung verloren ginge. Ungeklärt sei auch die Frage, wie ein Fonds schnell und unbürokratisch Hilfe leisten könne, wenn er zugleich nur in Anspruch genommen werden solle, sofern kein regulärer Haftungsanspruch bestehe.
Müsste der Patient zunächst versuchen, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen, wäre das nicht schnell. Müsste er das nicht, würde der Fonds auch dann greifen, wenn reguläre Ansprüche bestünden.
Das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) beklagte hingegenbei der juristischen Aufarbeitung von Behandlungsfehlern eine „erhebliche Gerechtigkeitslücke“, die geschlossen werden müsse. So liege die Beweislast größtenteils oder vollständig bei den Patienten, die Beweismittel hingegen bei den Behandelnden.
Von 100 geschädigten Patienten erhielten nur zwischen einem und fünf Prozent eine finanzielle Entschädigung. Patienten und Angehörige müssten besser vor vermeidbaren psychischen und physischen Schäden nach dem eigentlichen Vorfall geschützt werden.
Bei vermeidbaren Patientenschäden gehe es weniger darum, den Schuldigen zu suchen, als Verantwortung zu übernehmen. Daher sollte ein erweiterter Härtefallfonds rasch umgesetzt werden.
Nach Ansicht des Medizinrechtlers Christian Katzenmeier von der Universität Köln ist in den vergangenen Jahrzehnten ein effektives Patientenschutzrecht entstanden. Auch Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen leisteten einen wertvollen Beitrag zur Befriedung von Konflikten auf einem schwierigen Gebiet.
Das Kernproblem im Arzthaftpflichtprozess sei die Beweisführung und häufig die Beweisnot des Patienten. Die Bedeutung eines Entschädigungsfonds könne darin bestehen, dass besondere Härtefälle gelöst würden, für die sich eine Haftung nicht überzeugend begründen lasse. Gleichwohl stelle sich die Frage der Legitimation, weil Patienten dann gegenüber anderen Unfallopfern privilegiert würden.
Der Rechtsexperte Gerhard Wagner von der Humboldt-Universität zu Berlin riet von einem Härtefallfonds ab, weil damit die Präventionswirkung des Haftungsrechts untergraben und die Patientensicherheit geschwächt würde. Schadenverhütung sei besser als Schadenvergütung.
Ein Anreiz zur Schadenverhütung bestehe nur, wenn Fehler aufgeklärt und Schäden zugerechnet würden. Ein aus Steuermitteln finanzierter Fonds sei dazu nicht in der Lage. Ein großzügig ausgestatteter Fonds könne zudem viele Anspruchsteller anziehen. Die internationalen Erfahrungen mit Fonds zur Kompensation von Personenschäden zeigten jedoch, dass ein vollumfänglicher Schadenersatz nicht finanzierbar sei.
Stefan Gronemeyer, Leitender Arzt und stellvertretender Geschäftsführer des MDS, sprach sich im Zusammenhang mit der Anhörung für ein verbessertes Fehlermonitoring aus. Dabei sollten die „Never Events“ im Fokus stehen – klar definierte Schadensereignisse, die meist zu gravierenden Schäden führen, obwohl sie vermeidbar sind.
Die Schaffung einer nationalen Never-Event-Liste, verbunden mit einer anonymen Meldepflicht für diese Ereignisse, habe sich in zahlreichen Ländern bereits bewährt und sollte daher auch in Deutschland umgesetzt werden. © hib/aerzteblatt.de

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