Vermischtes
Gutachten beurteilt Besuchsbeschränkungen in Heimen als verfassungswidrig
Mittwoch, 11. November 2020
Bonn – Die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen in Pflegeheimen im Rahmen der Coronapandemie verstoßen nach einem Rechtsgutachten in weiten Teilen gegen das Grundgesetz.
Es gebe begründete Zweifel daran, dass das Infektionsschutzgesetz in seiner geltenden Fassung eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die gravierenden Eingriffe in die Grundrechte von Menschen in Pflegeeinrichtungen darstelle, teilte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) heute in Bonn mit. Sie hatte das Gutachten bei dem Mainzer Verfassungsrechtler Friedhelm Hufen in Auftrag gegeben.
Die BAGSO forderte Politik, Behörden sowie die Verantwortlichen in der stationären Pflege auf, die Grundrechte der Betroffenen zu wahren. Vielerorts hätten Pflegeeinrichtungen Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen angesichts gestiegener Infektionszahlen wieder verschärft.
Konkretere Vorgaben notwendig
Laut Gutachten müssen auch die Coronaverordnungen der Bundesländer konkretere Vorgaben machen. Sofern die Verordnungen tägliche Besuchsmöglichkeiten vorsehen, sei dies für die Heimleitungen verbindlich. Die zuständigen Behörden hätten eine Schutzpflicht, die sich nicht nur auf das Vermeiden einer Ansteckung, sondern auch auf die Wahrung der Grund- und Freiheitsrechte der Bewohner und ihrer Angehörigen beziehe, heißt es.
Wie die BAGSO weiter mitteilte, müssen dem Gutachten zufolge die negativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesundheit der Bewohner bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung viel stärker in den Blick genommen werden. Das Leiden von Demenzkranken unter einer für sie nicht begreifbaren Isolation sei dabei besonders zu berücksichtigen. Dass Menschen aufgrund von Besuchsverboten einsam sterben müssten, sei eine niemals zu rechtfertigende Verletzung der Menschenwürde.
Die BAGSO appellierte an die Politik, die Ermessensspielräume für Behörden, Heimträger und Heimleitungen deutlich stärker zu beschränken als bislang. Heimbewohner müssten regelmäßig und in angemessener Form Besuch erhalten können – in jedem Fall über eine kurze Begegnung hinter Plexiglas hinaus.
Von Heimträgern und Heimleitungen verlangt die BAGSO, dass sie nur solche Einschränkungen anordnen, für die es eine eindeutige Rechtsgrundlage gibt. Außerdem müssten sie die Spielräume der Rechtsverordnungen im Sinne der Betroffenen ausschöpfen. Die Bewohnervertretungen müssten einbezogen werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich zuletzt mehrfach dafür ausgesprochen, pflegebedürftige Menschen auch in der Coronapandemie nicht allein zu lassen. Wichtig sei es, „Spielräume für soziale Kontakte und Besuche auszuschöpfen“, sagte sie in einer heute ausgestrahlten Videobotschaft an den Deutschen Pflegetag in Berlin.
„Der Schutz der Gesundheit von Pflegebedürftigen hat höchste Priorität, aber Schutz allein kann nicht die einzige Antwort sein, denn gerade ältere Menschen leiden unter Einsamkeit, pflegebedürftige Menschen brauchen neben Schutz vor allem auch Zuwendung.“
Zum Schutz vor Infektionen in Pflegeheimen und Kliniken war in den vergangenen Tagen der Einsatz neuer Antignschnelltests angelaufen. Für November hatte der Bund zunächst neun Millionen Tests über Abnahmegarantien bei Herstellern gesichert, damit die Länder oder Einrichtungen sie kaufen können.
Merkel dankte den Pflegekräften „von Herzen“. Sie gäben besonders in der Pandemie „ihr Bestes“. Sie sagte: „Gute Pflege braucht natürlich auch gute Rahmenbedingungen.“ Merkel betonte: „Pflege ist Ausdruck gelebter Menschlichkeit.“ © kna/afp/aerzteblatt.de

Nachrichten zum Thema


Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.