Politik
Krankenhäuser können Rechnungen nicht mehr bezahlen
Freitag, 20. November 2020
Stuttgart/Ludwigsburg – Das Freihalten von Betten für Coronapatienten hat die Krankenhäuser finanziell in die Bredouille gebracht. Nicht belegte Betten habe man bislang nicht abrechnen können, erläuterte eine Sprecherin der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) gestern in Stuttgart. „Den Häusern fehlt Liquidität. Sie können laufende Rechnungen für den Betrieb, Gehalt oder Weihnachtsgeld nicht bezahlen.“
Für manche Kliniken ist Hilfe in Sicht: Nach dem gestern in Kraft getretenen Dritten Bevölkerungsschutzgesetz werden die Freihaltepauschalen für Kliniken unter Bedingungen wieder eingeführt.
Entscheidend für die Förderung ist, dass die Intensivkapazitäten knapp sind und in dem Gebiet die Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche – über 70 liegt. Ausgleichszahlungen sollen insbesondere an Krankenhäuser gehen, die eine Versorgungsstruktur vor allem für intensivmedizinische Behandlung vorhalten.
In den vergangenen vier Wochen sind laut BWKG rund 1.000 Eingriffe verschoben worden. Ohne Hilfe hätten die Träger – die Kommunen, das Land bei den Unikliniken und Kirchen – einspringen oder die Kliniken Kredite aufnehmen müssen. Die Kliniken im Land leiden bereits seit Jahren an Unterfinanzierung. Mehr als 40 Prozent von ihnen schreiben laut BWKG rote Zahlen.
Auch aus den Kliniken selbst kommt der Ruf nach finanzieller Absicherung. Beim Uniklinikum Heidelberg etwa besteht „der Wunsch nach einer finanziellen Bundesregelung, so dass die Kliniken nicht in monetäre Engpässe kommen“. Die Kollegen im Uniklinikum Freiburg pflichten bei.
Auch die Freihaltepauschalen vom Frühjahr hätten nicht die Verluste durch freigehaltene Betten ausgeglichen, betont Klinikumssprecher Benjamin Waschow. Die jetzt beschlossenen Pauschalen werden für 90 Prozent der Patienten gezahlt, die weniger im Krankenhaus behandelt werden als im Durchschnitt des Vorjahres.
Die Kliniken machen vom Instrument der Verschiebung geplanter, nicht dringend notwendiger Operationen unterschiedlichen Gebrauch: Im Klinikum Stuttgart wurden im April 2.000 Eingriffe verlegt. „Seit wenigen Wochen reduzieren wir wieder – allerdings sehr moderat und eng gesteuert“, sagt Klinikvorstand Jan Steffen Jürgensen.
Unfallopfer würden unmittelbar versorgt, Patienten mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder einem schnell wachsenden Tumor ebenso. Auch Behandlungsserien würden fast immer fortgesetzt, beispielsweise in der Strahlentherapie. Termine für Hüft- und Knieoperationen, für Eingriffe an der Gallenblase, Magenverkleinerungen bei Fettsucht oder ästhetische Operationen werden dagegen abgesagt.
Großes Verständnis
Größtenteils reagieren die Menschen mit großem Verständnis, wie Jürgensen erläutert. „Wenige hatten ohnehin gemischte Gefühle und trotz der strikten Hygienekonzepte im Krankenhaus auch Sorge vor Ansteckung oder eingeschränkter Besuchsmöglichkeiten. Aber es gibt auch nachvollziehbare Enttäuschung.“
Jürgensen spricht von widerstreitenden Bedürfnissen: Es gelte, das Interesse an ausreichenden Behandlungskapazitäten für COVId-19-Patienten und den Wunsch nach mindestens etwas Sicherheitspuffer abzuwägen gegen den Behandlungswunsch und -anspruch aller anderen Patienten.
„Dieses drohende ethische Dilemma und die Verteilungskämpfe entschärfen wir, indem wir die Fallzahlen durch wirksame gesellschaftliche Maßnahmen auf ein beherrschbares Maß begrenzen“, resümiert der Stuttgarter Klinikumschef.
Auch die RKH-Kliniken in Ludwigsburg hatten im April deutlich mehr Absagen verzeichnet als derzeit – auch wegen der damaligen Vorgabe, die Belegung auf 50 Prozent herunterzufahren. Die Zahl der COVID-Patienten liegt mit 136 über dem bisherigen Höchstwert im April.
Auch die Kliniken Ostalb haben mit um die 50 Coronapatienten die Spitze des Frühjahres um etwa zehn Prozent überschritten und rechnen mit einer weiteren Zunahme. In Stuttgart sind es derzeit mit 70 COVID-Patienten bereits 50 Prozent mehr als im Frühjahr.
Trotz des hohen Patientenaufkommens ist die Situation an den RKH (Regionale Kliniken Holding)-Kliniken laut Sprecher Alexander Tsongas noch zu meistern, auch wenn ein paar Pflegekräfte und Ärzte wegen COVID-19-Infektionen und anderen Erkrankungen fehlten.
Die meisten Kliniken behelfen sich mit Anästhesie- und Intensivpflegekräften, die sie auf die Intensivstation beordern. Denkbar ist auch der Einsatz von Mitarbeitern mit der Fachweiterbildung Intensivpflege, die in anderen Bereichen arbeiten.
Das städtische Klinikum Karlsruhe befürchtet, eine weitere Intensivstation für COVID-19 Patienten bereitstellen zu müssen und gleichzeitig die Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit anderen Erkrankungen reduzieren zu müssen.
Der medizinische Geschäftsführer Michael Geißler plädiert wie RKH-Mann Tsongas für eine zentral gesteuerte Leitstelle mit Überblick über die Kapazitäten von der lokalen bis zur bundesweiten Ebene.
„Während sich in manchen Regionen die Pandemiefälle häufen, sind andere weniger betroffen“, erklärt Tsongas. Deshalb müsse es vollaufenden Kliniken wie dem Karlsruher Klinikum möglich sein, Patienten in andere Häuser in der Region oder auch in ganz Deutschland zu verlegen, um Patienten die beste Versorgung zukommen zu lassen.
Auch die Aufnahme von Patienten aus dem Ausland könne so gesteuert werden. Tsongas: „Es kann nicht sein, dass man stundenlang am Telefon hängt, bis man anderswo einen Platz ergattert.“ © dpa/aerzteblatt.de

Na sowas! Wer hätte denn das ahnen können 🧐
Jedem halbwegs vernünftig denkenden Arzt muss Ende März doch klar gewesen sein, daß das jetzt so kommen musste.
Und jeder rational denkende Mensch wird vermutlich auch jetzt schon ahnen, was weiter passieren wird...
Ich nehme Wetten ab sofort entgegen.

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