Medizin
Wie SARS-CoV-2 das Gehirn infiziert
Montag, 30. November 2020
Berlin – Das Coronavirus SARS-CoV-2 gelangt möglicherweise über das Riechepithel direkt von der Nase ins Gehirn. Darauf deuten neurohistologische Befunde in Nature Neuroscience (2020; DOI: 10.1038/s41593-020-00758-5) hin. Den Forschern gelang es im Riechepithel intakte Viren mit dem Elektronenmikroskop abzubilden.
Die Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 beruht darauf, dass es anders als beispielsweise Grippeviren nicht nur die Lungen befällt. Wissenschaftler haben das Virus in den letzten Monaten in verschiedenen anderen Organen nachgewiesen, darunter auch im Gehirn.
Wie es dorthin gelangt, ist bisher unklar. Eine mögliche Verbindung führt vom Riechepithel direkt ins Gehirn. Die Schädelbasis enthält im vorderen Teil zahlreiche Öffnungen (nach denen das dort gelegene Siebbein benannt ist). Durch die Öffnungen der Lamina cribrosa ziehen die Fortsätze des Nervus olfactorius nach unten zur Nasenhöhle.
Sie empfangen dort die Signale von den Sinneszellen des Riechepithels. Vom Bulbus olfactorius, der bereits Teil des Gehirns ist, besteht eine Verbindung zum Tuberculum olfactorium, der nächsten Station auf der Riechbahn des Gehirns.
Ein Team um Frank Heppner von der Berliner Charité hat in diesen Strukturen gezielt nach SARS-CoV-2 gesucht. Sie konnten dazu postmortal 33 Patienten untersuchen, die an COVID-19 gestorben waren. Zunächst haben die Forscher im Nasenepithel nach den Viren gesucht.
Die Virusgene waren bei den meisten Patienten im Riechepithel in größerer Menge nachweisbar. Bei drei Verstorbenen konnten die Forscher die Viren auch im Bulbus olfactorius identifizieren. Bei einem Patienten war der Gentest auch im Tuberculum olfactorium positiv.
Diese Befunde könnten die Ausbreitung von SARS-CoV-2 im Gehirn nachzeichnen. Die Viren würden zunächst das Epithel der Nasenschleimhaut infizieren. Von dort würden sie an die Fasern des Nervus olfactorius weitergegeben. Im Bulbus olfactorius würden sie mit dem nächsten Neuron weiter zum Tuberculum olfactorium gelangen.
Die Forscher konnten die Viren an der Kontaktstelle zwischen Epithel und Nervenfasern identifizieren. Zunächst färbten sie in Gewebeschnitten die Antigene der Coronaviren mit immunhistochemischen Methoden an.
Dann gelang es ihnen, intakte Viren mit einem Elektronenmikroskop abzubilden: Sie fanden die Viren sowohl im Inneren von Nervenzellen als auch auf den Fortsätzen der dort ansässigen Deckzellen. Ein weiteres Glied der Beweiskette, nämlich den Nachweis der Viren entlang der Nervenfasern, gelang ihnen allerdings nicht.
Die Virusgene waren bei den Verstorbenen nicht nur im Nasenepithel und in der Riechbahn vorhanden. Auch andere Strukturen wie das Ganglion trigeminale oder der Hirnstamm wurden von SARS-CoV-2 infiziert. Diese Bereiche des Gehirns haben keine direkte Verbindung zur Riechbahn.
zum Thema
- Abstract der Studie in Nature Neuroscience
- Pressemitteilung der Charité
- DÄ-Meldung: SARS-CoV-2 kann auch Gehirnzellen angreifen
- DÄ-Bericht: Beteiligung der Neuroglia könnte häufige neurologische Symptome erklären
- DÄ-Bericht: Studie beschreibt breites Spektrum neurologischer Komplikationen
aerzteblatt.de
Die Forscher vermuten deshalb, dass es noch einen zweiten Weg ins Gehirn gibt. Dies könnte die Blutbahn sein. Andere Forscher hatten bereits gezeigt, dass SARS-CoV-2 in anderen Regionen des Körpers die Endothelien infiziert, die die Blutgefäße auskleiden.
Das Team um Heppner kann dies jetzt bestätigen. Bei einem Patienten wurde das S-Protein des Virus in den Endothelzellen nachgewiesen. Es befand sich an einer Stelle, an der sich ein Mikrothrombus gebildet hatte. Die pathologische Blutgerinnung in den kleinen Blutgefäßen war bereits anderen Forschern aufgefallen.
Ein denkbarer Ablauf ist, dass die Viren die Endothelien infizieren und zerstören. Dadurch wird das darunter liegende Bindegewebe freigelegt. Dies führt zur Aktivierung der Blutgerinnung. Ein Thrombus verlegt das Blutgefäß. Das umgebende Gewebe kann nicht mehr mit Sauerstoff versorgt werden und stirbt ab.
Die Mikrothromben und Mikroinfarkte könnten einen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung haben. Wenn sie im Hirnstamm die Steuerungszentren von Atmung und Kreislauf schädigen, könnte dies an der Störung der Atem- und Kreislauffunktion beitragen. © rme/aerzteblatt.de

P.s. - Hinweis zum angegebenen Link

@2haeschen -Antwort
bezüglich Ihrer Frage "...wie wäre anhaltende kogn. Dysfunktion erklärbar? ..."
Untersuchungen des UKE in Hamburg darauf hin, das nicht das neuartige Corona-Virus selbst das Gehirn schädigt, sondern wie bei der Influenza ebenfalls, die neurologischen Symptome vermutlich eine indirekte Folge der Virusinfektion sind. >>> https://www.thelancet.com/journals/laneur/article/PIIS1474-4422(20)30308-2/fulltext
Bezüglich der Influenza untersuchte eine Arbeitsgruppe um Martin Korte von der TU Braunschweig und Klaus Schughart vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung,dazu den Hippocampus, der eine wichtige Rolle beim Lernen und für das räumliche Gedächtnis spielt und zudem besonders anfällig für Entzündungsprozesse ist. Tatsächlich ließen sich durch zwei der drei Viren noch 30 Tage nach der Infektion Veränderungen im Hippocampus nachweisen. So war die Zahl der dendritischen Dornen an den Nervenzellen deutlich reduziert – und damit die Zahl jener Zellen, von denen sie Signale empfangen. Auch sind in der betroffenen Hirnregion noch nach 30 Tagen wesentlich mehr Mikroglia aktiv, die an Entzündungsprozessen beteiligt sind. Entsprechend ist die Langzeitpotenzierung, also die zelluläre Basis von Erinnerungen, in solchen Fällen gestört.
Bemerkenswerterweise ist es für diesen Effekt anscheinend nicht wichtig, ob ein Grippevirus Nervenzellen infiziert oder nicht: Nur einer der zwei ins Gehirn vorgedrungenen Subtypen verursachte die beobachteten Langzeitfolgen. Wie die Genanalyse zeigt, aktivierte die Infektion vor allem Gene, die im Zusammenhang mit Entzündungen und dem Immunsystem stehen. Das spricht dafür, dass die Wechselwirkung zwischen Viren und Immunsystem für die langfristigen Störungen im Gehirn bedeutender ist als direkte Angriffe der Viren auf Nervenzellen. >>> https://www.jneurosci.org/content/38/12/3060
Ich hoffe ich konnte vielleicht ein wenig zur "Aufklärung" beitragen, auch wenn dahingehend noch sehr viel an Forschungsarbeiten notwendig sein wird.
Mit freundlichen Grüßen
André B.

@Andre B.
Das Zentrum f. Vasom. Funktionen liegt wohl im Gehirn (medulla obl.).
Die sichtbare Symtomatik verschwindet irgendwann, wie wäre anhaltende kogn. Dysfunktion erklärbar?
In Bezug auf COV gibt es so viele neue Erkenntnisse, die bisher nicht so gut erklärbar waren...
Liebe Grüße und lieben Dank

Eine Grippe hinterläss auch Spuren im Gehirn
Ich zitiere dazu erneut aus dem Orignaltext:
"Die Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 beruht darauf, dass es anders als beispielsweise Grippeviren nicht nur die Lungen befällt. Wissenschaftler haben das Virus in den letzten Monaten in verschiedenen anderen Organen nachgewiesen, darunter auch im Gehirn."
>>> https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/89489/Wie-die-Grippe-dem-Gehirn-schadet
>>> https://www.internisten-im-netz.de/krankheiten/grippe/risikofaktoren-komplikationen-todesfaelle/
>>> https://infekt.ch/2014/04/gehaeufte-und-schwere-neurologische-manifestationen-bei-influenza-infektionen/
>>> https://www.kgu.de/einrichtungen/institute/zentrum-der-hygiene/medizinische-virologie/diagnostik/leistungsverzeichnis/klinische-manifestationen-bei-virusinfektionen/
>>> https://www.spektrum.de/news/eine-grippe-hinterlaesst-spuren-im-gehirn/1547415
>>> https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/medizin/wie-grippe-langfristig-das-gehirn-veraendert-13372546
>>> https://magazin.tu-braunschweig.de/pi-post/grippe-mit-langzeitfolgen/
>>> https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Schaedigen-Grippe-Viren-das-Gehirn,grippe258.html
>>> https://www.coliquio.de/wissen/Praxis-Wissen-kompakt-100/Grippespezial-2-100

Nachrichten zum Thema

Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.