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Ausland

Großbritannien erteilt Notfallzulassung für Coronaimpfstoff von Biontech

Mittwoch, 2. Dezember 2020

/picture alliance, Laci Perenyi

London – Großbritannien hat heute die temporäre Notfallzulassung für den Coronaimpfstoff des Mainzer Pharmaunternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer erteilt. Es ist die weltweit erste Notfall­zu­lassung eines in einer Phase-III-Studie getesteten SARS-CoV-2-Vakzins.

Pfizer und Biontech haben nach eigenen Angaben mit London eine Lieferung von 40 Millionen Impf­stoff­dosen vereinbart. Die Dosen sollen schrittweise geliefert werden. Die beiden Unternehmen kündigten an, sofort mit der Auslieferung ihres Impfstoffs zu beginnen. Die ersten Lieferungen sollen in wenigen Tagen im Vereinigten Königreich eintreffen.

Großbritannien wird von einer Pfizer-Produktionsstätte in Belgien aus beliefert werden. Der mRNA-Impfstoff BNT162b2 muss bei minus 70 Grad Celsius gelagert und transportiert werden. Für den Versand wurden spezielle temperaturstabile Versandeinheiten entwickelt, die die empfohlenen Temperatur­bedin­gungen ohne zusätzliches Equipment bis auf Trockeneis aufrechterhalten können.

Die Behälter können ungeöffnet die empfohlene Temperatur für zehn Tage aufrechterhalten, was einen weltweiten Transport ermöglicht. Einmal geöffnet können die Impfzentren die Versandeinheit für die tem­poräre Aufbewahrung verwenden und die empfohlenen Lagerbedingungen (-70°C±10°C) für bis zu 30 Tage aufrechterhalten, indem sie den Behälter gemäß der Gebrauchsanweisung alle fünf Tage mit Eis auffüllen.

Jede Versandeinheit beinhaltet einen GPS-fähigen Temperatursensor, um den Standort und die Tempera­tur einer jeden Impfstofflieferung auf ihrer vorher festgelegten Route rund um die Uhr zu überwachen. Aufgetaut kann der Impfstoff bis zu fünf Tage bei zwei bis acht Grad Celsius im Kühlschrank gelagert werden.

Großbritannien ist damit das erste westeuropäische Land, welches Impfungen gegen SARS-CoV-2 er­laubt. Chief Business Officer und Chief Commercial Officer Sean Marett betonte bei einer Online-Presse­konferenz aber, dass nun nicht alle Impfstoffbestände an Großbritannien gehen würden. „Jedes Land wird einen fairen Anteil erhalten“.

„Die Notfallzulassung im Vereinigten Königreich ermöglicht es zum ersten Mal, dass Bürgerinnen und Bürger außerhalb von klinischen Studien die Möglichkeit haben, sich gegen COVID-19 immunisieren zu lassen“, sagte Ugur Sahin, CEO und Mitbegründer von Biontech.

Die Entscheidung der britischen Zulassungsbehörde MHRA basiert auf einem rollierenden Review, der auch Daten aus einer Phase-III-Studie umfasst. Sie zeigt bei Probanden ohne vorherige SARS-CoV-2-Infektion einen Impfschutz von 95 Prozent.

Wirksamkeit in allen Altersgruppen gezeigt

Die Wirksamkeit der Impfung sei über alle Alters- und Geschlechtsgruppen in der gesamten diversen Studienpopulation konsistent gewesen, so die Angaben von Biontech und Pfizer. BNT162b2 sei in der Studie generell gut vertragen worden. Bislang konnte das Data Monitoring Committee keine schwerwie­genden Nebenwirkungen feststellen.

Nach Angaben der beiden Unternehmen können noch in diesem Jahr weltweit bis zu 50 Millionen Impf­stoffdosen ausgeliefert werden, sowie bis zu 1,3 Milliarden Dosen bis Ende 2021.

Biontech und Pfizer haben ebenso wie das US-Unternehmen Moderna auch in den USA und der EU An­träge auf eine Notfallzulassung beziehungsweise bedingte Zulassung ihrer Impfstoffe gestellt. Sie rech­nen noch im Dezember mit Entscheidungen der beiden zuständigen Behörden in den USA und der EU.

Angesichts der erfolgten Notfallzulassung in Großbritannien verteidigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) heute die Zulassungsverfahren in der EU. „Es geht nicht darum, irgendwie Erster zu sein, es geht darum, dass wir sichere und wirksame Impfstoffe haben“, sagte Spahn heute nach einer Videokonfe­renz mit EU-Kollegen. Die Verfahren dabei müssten aber natürlich „schnellstmöglich“ vorangetrieben werden.

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), die für die Verfahren in der EU verantwortlich ist, strebt der­zeit eine Zulassung des Biontech-Impfstoffes frühestens Ende Dezember 2020 an, für das Moderna-Mit­tel ist Mitte Januar 2021 angepeilt. Beide Unternehmen hatten diese Woche offiziell eine EU-Zulassung beantragt.

„Warum gibt es diese Verzögerung?“, fragte bei der Ministerkonferenz der maltesische Regierungsver­tre­ter Chris Fearne. „Alle unsere Bürger werden darauf schauen, was im Vereinigten Königreich passiert und fragen, warum da diese Verzögerung ist.“

Es müssten die „verschiedenen Situationen“ in den USA und in Großbritannien in der Debatte „politisch, fachlich“ eingeordnet werden, sagte Spahn. Die Zulassung von Impfstoffen „ist ein fachliches Thema“. Aber Äußerungen aus Großbritannien zeigten, dass es anscheinend auch ein politisches sei. In jedem Fall stünden die Standards und Verfahren aber fest.

Er gehe davon aus, dass die EMA „Tag und Nacht daran arbeitet“. Pflegekräfte, Ärzte und andere arbeite­ten in der Krise gerade Tag und Nacht und an jedem Wochenende, sagte der CDU-Politiker. Daher dürfe man auch von der EU-Zulassungsbehörde erwarten, dass sie schnellstmöglich zu einer Entscheidung komme.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides erläuterte, das Gutachten der EMA spiele für das Verfahren der Impfstoffzulassung eine besondere Rolle. Es gehe in der EU um eine „zentralisierte Marktzulassung“. Daran werde mit Hochdruck gearbeitet. Allerdings sei die Impfstoffsicherheit „oberste Priorität“, sagte sie. Wenn die Empfeh­lung der EMA vorliege, könne eine Zulassung innerhalb der EU in wenigen Tagen erfolgen.

Deutliche Kritik

Der deutsche EU-Abgeordnete und gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion Peter Liese kriti­sierte das Vorpreschen Großbritanniens bei der Impfstoffzulassung heute. „Ich halte diese Entscheidung für problematisch und empfehle den EU-Mitgliedstaaten, diesem Beispiel nicht zu folgen“, sagte der CDU-Politiker. Einige Wochen gründlicher Prüfung durch die EMA seien besser als eine überhastete Not­fallzulassung.

Die Behauptung des britischen Gesundheitsministers, die schnelle Zulassung in Großbritannien habe etwas mit der größeren Flexibilität seines Landes durch den Brexit zu tun, wies Liese zurück. Alle EU-Mitgliedstaten hätten die Möglichkeit, in bestimmten Fällen national eine Notfallzulassung zu erteilen.

„Deutschland und andere Länder machen nicht von der Notfallzulassung Gebrauch, weil sie glauben, dass eine sorgfältige Prüfung durch die Europäische Arzneimittelagentur besser als eine überhastete Zulassung ist“, so Liese. Großbritannien hat die Europäische Union zwar bereits verlassen, ist aber noch bis Ende des Jahres an EU-Regeln gebunden. © nec/dpa/afp/may/aerzteblatt.de

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