Politik
„Unsere Schwäche in der Pandemie ist das operative Krisenmanagement“
Freitag, 4. Dezember 2020
Berlin – Vor wenigen Wochen war Oberarzt Janosch Dahmen noch in der Pandemiebekämpfung tätig, jetzt sitzt er bis zum Ende der Legislaturperiode für die Grünen im Bundestag. Dahmen will in der Gesundheitspolitik nun mitsprechen. Der Beginn seiner Zeit im Parlament war dabei schon ungewöhnlich, erzählt er dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ).
5 Fragen an Janosch Dahmen, Oberarzt der Ärztlichen Leitung des Rettungsdienstes der Feuerwehr Berlin und neuer Bundestagsabgeordneter der Grünen
DÄ: Herr Dahmen, Sie waren bis vor wenigen Wochen Oberarzt der Ärztlichen Leitung des Rettungsdienstes der Feuerwehr Berlin – und wechseln nun als Nachrücker in den Bundestag in die Fraktion der Grünen und werden im Gesundheitsausschuss sitzen. Wie haben Sie von Ihrem Mandat sowie dem kurzfristigen Wechsel gehört?
Janosch Dahmen: Der Anruf kam an einem Abend, als ich im Krisenstab der Berliner Feuerwehr gerade damit beschäftigt war, die Evakuierung eines Pflegeheims vorzubereiten. Durch die Wahl der Grünen Katja Dörner zur Oberbürgermeisterin von Bonn, wurde ein Mandat im Bundestag frei. Da wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, kurzfristig das Mandat zu übernehmen.
Ich hatte damit nicht gerechnet, habe mit meiner Familie gesprochen und mich dann innerhalb von wenigen Stunden entschieden. Die Entscheidung ist mir sehr schwergefallen, da ich in der Pandemie auch in der Versorgung gebraucht wurde. Aber gleichzeitig ist es in diesen Monaten besonders wichtig, dass Erfahrungen aus der Praxis in die aktuelle Gesundheitspolitik einfließen. Deshalb lautete mein Entschluss: Ich gehe von der Coronafront ins Parlament, um Stimme für die Menschen im Gesundheitswesen und die Patienten zu werden.
DÄ: Von der Medizin in die Politik: Was waren die ersten Schwierigkeiten?
Dahmen: Als Arzt war ich es gewohnt, dass sich Menschen über meine Anwesenheit grundsätzlich freuen. Mein erster Tag auf dem Weg ins Parlament war dann ganz anders: Mir wurde vor die Füße gespuckt, Kopf-ab-Gesten auf der Straße gezeigt. Es war der Tag der Entscheidung über das Infektionsschutzgesetz Mitte November, bei dem es wütende Proteste vor dem Bundestag gab. Wenn man neun Monate lang in der Pandemiebekämpfung gearbeitet hat, fehlt einem dafür das Verständnis.
Aber trotzdem denke ich darüber nach, wie man die Gesellschaft in dieser Situation zusammen halten kann. Die gemeinsame Herausforderung der Pandemie sollte uns als Gesellschaft zusammenbringen, nicht spalten. Solidarität ist für mich das Gebot der Stunde.
DÄ: Wenn Sie aus ärztlicher Sicht die Pandemiebekämpfung sehen und dagegen die politische Reaktion: Wie „gut“ ist Deutschland derzeit wirklich?
Dahmen: In Deutschland hat sich die Erzählung etabliert, dass das Pandemiemanagement der Bundesregierung und des Gesundheitsministers sehr erfolgreich seien. Ich sehe das mittlerweile anders. Deutschland ist vom Vorreiter zum Verschlepper der Pandemie geworden. Bei Spahn sehe ich mehr Schein als Sein in seiner Coronabilanz.
DÄ: Was sehen Sie als dringendste Aufgabe von Politik momentan?
Dahmen: Grundsätzlich sind wir in Deutschland gut in der Grundlagenforschung, in der Virologie und in der Epidemiologie. Doch es fehlt an einem operativen Krisenmanagement. Der Bund hat bislang immer nur die Rahmenbedingungen geschaffen und dann die einzelnen Verantwortungsträger, wie etwa die rund 400 Gesundheitsämter mit den Organisationsaufgaben, alleine gelassen.
Es muss zwischen Bundesgesundheitsministerium und dem örtlichen Gesundheitsamt eine mittlere Verantwortungsebene geben, die beispielsweise eine Schnellteststrategie, einheitliche Risikostufen oder eine Impfstrategie verantwortet. Unsere Schwäche ist das operative Krisenmanagement.
DÄ: Für zehn Monate in die Bundespolitik: Was haben Sie vor und wird dies eher ein kurzer Ausflug sein oder kandidieren Sie dann auch für die nächste Legislaturperiode?
Dahmen: Das muss sich in den nächsten Monaten zeigen, momentan hat die akute Pandemiebekämpfung als Parlamentarier allerhöchste Priorität. Zuvor war ich auch zehn Jahre im Landesvorstand und anderen Ämtern bei den Grünen in Nordrhein-Westfalen. Für mich persönlich ist klar, dass ein politisches Mandat immer ein Auftrag auf Zeit ist. Mein Herz schlägt weiterhin für die Patientenversorgung. © bee/aerzteblatt.de

Die Ursachen der Schwäche ?
Betrachtet man die Abläufe in diesem Jahr, dann möchte man diese Ansicht teilen - jedenfalls bezüglich einiger Komponenten des Krisenmanagements. Beispiel : generalisiertes digitales Erfassungskonzept der Personen, Standard-Schema zur Erfassung und Gewichtung der Symptome als Grundlage für politische Entscheidungen. Jedoch erhebt sich die Frage, ob das nur ein Versagen von Verantwortlichen ist oder nicht doch auch eine Folge dessen, was wie eine Monstranz durch alle Instanzen und Regionen getragen wird - die demokratische Teilhabe. Und damit ist nicht nur die föderalistische Kleinststruktur gemeint. Wir vergessen nämlich, daß Demokratie bestimmte Voraussetzungen erfordert : ausreichende Bildung in der Breite, ausreichendes Verantwortungsbewußtsein der Individuen, aber auch eine gewisse Kontinuität der Prozesse. Wann immer die zu steuernden Prozesse einen hohen zeitlichen Gradienten haben, gerät,die Demokratie in Schwierigkeiten. Allerdings nicht unabweislich. Denn es gibt ja die Regierung, die exakt diese Schwäche ausgleichen soll - nämlich durch stringentes, sachbezogenes, schnelles Entscheiden und Handeln. Offenbar vergißt der Souverän, das Volk, manchmal, daß es diese Regierung selbst gewählt hat. Jedenfalls mehrheitlich. Ihr nun Knüppel zwischen die Beine zu werfen kann Ausdruck von Dummheit, aber auch Ausdruck von Reue hinsichtlich der eigenen Wahl sein - demontiert aber de facto die verfassungsmäßige Aufgabe. Vielen Bürgern scheint das nicht so ganz klar zu sein - und Janosch Dahmen hat ja bei seinem ersten Gang zum Bundestag schon einen Vorgeschmack bekommen.

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