Politik
STIKO-Impfempfehlungen liegen vor: Medizinisches Personal wird nicht gleichermaßen priorisiert
Montag, 7. Dezember 2020
Berlin – Ärzte und medizinisches Personal sollen nicht gleichermaßen als prioritär für die Impfung gegen SARS-CoV-2 eingestuft werden. Das geht aus einem Entwurf einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) hervor, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Der Entwurf ist heute ins Stellungnahmeverfahren mit den Verbänden gegangen, offenbar um den Abstimmungsprozess zu beschleunigen.
Eine „sehr hohe“ Priorität für eine Impfung hat darin Personal in medizinischen Einrichtungen, das ein besonders hohes Expositionsrisiko hat. Dazu gehören dem Entwurf zufolge das Personal in Notaufnahmen, in der medizinischen Betreuung von COVID-19-Patienten, im Rettungsdienst sowie Beschäftigte aus Bereichen in denen infektionsrelevante aerosolgenerierende Tätigkeiten durchgeführt werden (etwa eine Bronchoskopie).
Ebenso mit „sehr hoch“ wird die Impfpriorität für das medizinische Personal gesehen, das in engem Kontakt zu vulnerablen Gruppen steht – etwa in Altenpflegeheime, Stationen für Geriatrie, der Transplantationsmedizin, der Hämatoonkologie, der Geburtshilfe und der Neonatologie.
Für die STIKO haben ein „hohes Expositionsrisiko“ und somit eine „hohe“ Priorität für eine Impfung Infektionsstationen, hausärztliche und pädiatrische Praxen, die KV-Notdienste, der Patiententransport von Notfallpatienten, HNO-, Augen-, Zahn-Klinik oder Praxis. Andere niedergelassene Ärzte, etwa aus der Dermatologie, Orthopädie; Reinigungspersonal in Kliniken und Praxen haben ein „moderate“ Priorität für eine Impfung.
Die STIKO betont, dass eine Priorisierung „aufgrund begrenzter Impfstoffverfügbarkeit“ notwendig ist. Dem Entwurf für die Empfehlungen nach soll die Impfung zunächst Personengruppen angeboten werden, die ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe einer COVID-19 Erkrankung haben oder die beruflich entweder besonders exponiert sind oder engen Kontakt zu vulnerablen Personengruppen haben, schreibt die STIKO.
Priorität haben demnach Bewohner von Senioren- und Altenpflegeheimen, Personen im Alter von 80 Jahren und älter, Personal mit besonders hohem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen, Personal in medizinischen Einrichtungen mit engem Kontakt zu vulnerablen Gruppen, Pflegepersonal in der ambulanten und stationären Altenpflege und andere Tätige in Senioren- und Altenpflegeheimen mit Kontakt zu den Bewohnern. Es seien etwa 8,6 Millionen Menschen in Deutschland betroffen, heißt es vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG).
Bei zunehmender aber weiterhin limitierter Impfstoffverfügbarkeit sollen weitere von der STIKO definierte Personengruppen mit besonderen Risiken vorrangig geimpft werden, schreibt die STIKO. Dazu hat die Kommission eine Tabelle erstellt.
Danach folgen die Gruppen, die mit einer „hohen“ Priorität gekennzeichnet sind. Darunter fallen Menschen zwischen 75 und 80 Jahren, Personal mit hohem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen, Personen mit einer Demenz oder geistigen Behinderung in Institutionen, Tätige in der ambulanten oder stationären Versorgung von Personen mit Demenz oder geistiger Behinderung.
Weitere Gruppen hat die STIKO in „moderat“, „erhöht“, „gering erhöht“ und „niedrig“ in Bezug auf die Priorität für eine Impfung zusammengefasst. Personen mit Vorerkrankungen werden in die Gruppe „moderat“ eingestuft. Das gilt ebenso für enge Kontaktpersonen von Schwangeren.
Da die Impfstoffe zumindest initial nicht für Schwangere zugelassen sein werden, sollte in Erwägung gezogen werden, enge Kontaktpersonen von Schwangeren insbesondere deren Partner zu impfen, um die Schwangeren indirekt zu schützen, heißt es in dem Papier. „Bei einer Geburtskohorte von 778.100/Jahr (abzüglich der Mehrlingsgeburten (117)) bestünde für etwa 750.000 enge Kontaktpersonen zu Schwangeren eine Impfindikation.“ Lehrer, Erzieher und Personal mit niedrigem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen werden in die Gruppe mit erhöhter Priorität eingestuft.
Eine Empfehlung für Kinder ist in der STIKO-Empfehlung nicht enthalten. Martin Terhardt, Kinder- und Jugendarzt und Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO), hatte vorgestern in der rbb-Abendschau gesagt, Kinder unter 16 Jahren seien voraussichtlich ausgeschlossen. Ob Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren geimpft werden sollten, sei noch nicht entschieden.
Wie die STIKO schreibt, wird die Evidenz zu diesen Risikogruppen „fortlaufend neu bewertet“. Mittelfristig sei es das Ziel, allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu einer Impfung gegen COVID-19 anbieten zu können. „Für die Impfung gegen COVID-19 wird die Zulassung und Verfügbarkeit eines ersten Impfstoffs (BNT162b2 der Firma BioNTech) in Europa Ende 2020 oder Anfang 2021 erwartet. Für eine vollständige Impfserie sind bei diesem mRNA-Impfstoff zwei intramuskulär (i.m.) zu applizierende Impfstoffdosen im Abstand von 21 Tagen notwendig“, schreibt die STIKO weiter.
Sobald zusätzliche Impfstoffe in Deutschland zugelassen und verfügbar seien oder neue relevante Er-kenntnisse mit Einfluss auf diese Empfehlung bekannt würden, will die STIKO ihre COVID-19-Impfempfehlung aktualisieren und gegebenenfalls die Zielgruppen anpassen. „Die Publikation jeder Aktualisierung erfolgt im Epidemiologischen Bulletin und wird auf der RKI-Webpage bekanntgegeben.“
Disclaimer: Vorläufige Empfehlungen
In einem Disclaimer weist die STIKO darauf hin, dass die Daten zur Effektivität und Sicherheit möglicher COVID-19-Impfstoffe noch nicht vollumfänglich bewerten worden seien, da noch keine Publikationen solcher Daten vorlägen. Das Bundesministerium für Gesundheit habe der STIKO aber vertraulich den klinischen Phase-3-Studienbericht für den ersten Impfstoff, dessen Zulassung für Europa in Kürze erwartet wird (BNT162b2 der Firma BioNTech), zur Verfügung gestellt.
Die STIKO habe die Daten gesichtet und die vom Unternehmen öffentlich mitgeteilten Informationen zur Wirksamkeit und Sicherheit bestätigt. Dieser Entwurf der Empfehlungen enthalte aber „noch nicht die vollständige Auswertung der STIKO zu BNT162b2“. Eine weitere detailliertere Prüfung durch die STIKO erfolge noch.
Zur rechtzeitigen Information der Bundesländer und der betroffenen Fachkreise über die Priorisierung von Risiko- und Indikationsgruppen bei eingeschränkter Impfstoffverfügbarkeit sei entschieden worden, diesen Entwurf – vorbehaltlich der weiteren Prüfung der zur Verfügung gestellten Dokumente – bereits jetzt ins Stellungnahmeverfahren zu geben.
Man werde „in der endgültigen Fassung der wissenschaftlichen Begründung der COVID-19-Impfempfehlung ihre Nutzen-Risiko-Abwägung öffentlich machen. Zukünftig wird sie in gleicher Weise die anderen Impfstoffe bewerten, die sich im Zulassungsprozess befinden.“
Ziel sei zunächst, Menschen mit hohem Risiko für schwere und tödliche Verläufe einer Infektion zu schützen, hatte der STIKO-Vorsitzende Thomas Mertens heute im Deutschlandfunk bekräftigt. Dies hatten der Deutsche Ethikrat, die Ständige Impfkommission und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina im November in einem gemeinsamen Papier zur Priorisierung der Coronaimpfungen empfohlen. Ein epidemiologischer Effekt, also eine Änderung in der Dynamik der Infektionsübertragung, werde sich dagegen erst nach Monaten einstellen.
Die abschließende Empfehlungen der STIKO sollen am Ende in die Impfverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) Eingang finden. Diese ist aber nicht bindend für die Bundesländer. „Die Empfehlung wird dann für alle Länder und Gesundheitsbehörden verfügbar sein“, sagte Mertens. Damit hätten sie alle Informationen, die sie für ihre Vorbereitungen bräuchten.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte bei einer Onlinediskussion am vergangenen Samstag in Berlin, er rechne mit emotionalen Diskussionen. „Es wird ja nicht umsonst an Konzepten gearbeitet, bis hin zu polizeilichem Schutz der Impfzentren“, so der Minister. Möglicherweise werde es Situationen geben, in denen Leute sagten: „Ich will jetzt aber“, aber noch nicht an der Reihe seien. Dann rechne er aber mit einer Entspannung. „Wir reden hier nicht über Jahre, sondern wir reden hier über Monate, in denen wir eine absolute Priorisierung brauchen.“
Der Kinder- und Jugendmediziner Terhardt geht davon aus, dass man zunächst weniger Impfstoff erhalten werde als man sich wünsche. Es könne sein, dass es eine Million Dosen je Woche seien. Dann könne man auch nur rund sechs bis sieben Millionen Menschen in den ersten drei Monaten des nächsten Jahres schützen. Ab dem Sommer könne man damit rechnen, dass man genügend Impfstoff auch für den Rest der Bevölkerung haben werde, die nicht zu den Priorisierungsgruppen gehören. © may/aerzteblatt.de

Carlos

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