Medizin
Was COVID-19 von der saisonalen Influenza unterscheidet
Mittwoch, 16. Dezember 2020
St. Louis/Missouri – Während eine Influenza oft auf die Lungen beschränkt ist, kann bei COVID-19 fast jedes Organ des Körpers erkranken. Entsprechend höher ist die Komplikations- und Sterberate, wie eine vergleichende Kohortenstudie im britischen Ärzteblatt (BMJ, 2020; DOI: 10.1136/bmj.m4677) zeigt.
Die Influenzaviren und SARS-CoV-2 befallen zunächst die Atemwege. Schwere Erkrankungen beginnen häufig mit einer Pneumonie. Dies mag erklären, warum beide Erkrankungen häufig miteinander verglichen und in der Öffentlichkeit manchmal auch als gleich gefährlich eingestuft werden.
Tatsächlich unterscheidet sich die Pathogenese bei beiden Erkrankungen. Bei der Influenza bleibt die Infektion auf die Lungen beschränkt. Zur Gefahr werden hier häufig erst die bakteriellen Superinfektionen. Extrapulmonale Komplikationen wie Myositis, Rhabdomyolyse und Myoglobinurie sind bei der Influenza möglich, sind aber in der Regel nicht für den Ausgang der Erkrankung entscheidend.
Bei COVID-19 ist die Situation anders. Das Virus infiziert und zerstört die Endothelien, was im ganzen Körper zu Erkrankungen führen kann. Über den Riechnerven kann es vermutlich direkt das Gehirn erreichen.
Welche unterschiedlichen Folgen dies für die Patienten hat, zeigt eine Analyse der US-Veteranen-Behörde, deren Ergebnisse ein Team um Ziyad Al-Aly von der Washington University in St. Louis jetzt vorstellt. Die Forscher stellten 3.641 Patienten mit COVID-19 insgesamt 12.676 Patienten gegenüber, die zwischen 2017 und 2019 an einer saisonalen Influenza erkrankt waren.
Im Gegensatz zur Influenza waren bei COVID-19 fast alle Organe im Körper betroffen. Die Patienten erkrankten häufiger an einem akuten Nierenversagen (Odds Ratio 1,52; 95-%-Konfidenzintervall 1,37 bis 1,69), und sie mussten häufiger dialysiert werden (Odds Ratio 4,11; 3,13 bis 5,40). Sie benötigten häufiger Insulin (Odds Ratio 1,86; 1,62 bis 2,14) und erlitten häufiger einen schweren septischen Schock (Odds Ratio 4,04; 3,38 bis 4,83).
Ihr Kreislauf musste häufiger mit Vasopressoren gestützt werden (Odds Ratio 3,95; 3,46 bis 4,51). Es kam häufiger zu Lungenembolien (Odds Ratio 1,50; 1,18 bis 1,90) und tiefen Venenthrombosen (Odds Ratio 1,50; 1,20 bis 1,88). Weitere Komplikationen waren Schlaganfall (Odds Ratio 1,62; 1,17 bis 2,24), akute Myokarditis (Odds Ratio 7,82; 3,53 bis 17,36), Arrhythmien und ein plötzlicher Herztod (Odds Ratio 1,76; 1,40 bis 2,20).
In den Laborwerten waren Troponin (Odds Ratio 1,75; 1,50 bis 2,05), Aspartataminotransferase (Odds Ratio 3,16; 2,91 bis 3,43) und Alaninaminotransferase (Odds Ratio 2,65, 2,43 bis 2,88) häufiger erhöht und es wurde häufiger die Diagnose einer Rhabdomyolyse (Odds Ratio 1,84; 1,54 bis 2,18) gestellt.
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Das Sterberisiko war bei COVID-19 fast 5-fach höher als bei der saisonalen Influenza (Hazard Ratio 4,97; 4,42 bis 5,58). Die Patienten mussten 4-fach häufiger mechanisch beatmet werden (Hazard Ratio 4,01; 3,53 bis 4,54) und zweieinhalb Mal häufiger auf einer Intensivstation behandelt werden (Hazard Ratio 2,41; 2,25 bis 2,59). Die Behandlungszeiten waren um 3,00 Tage länger (2,20 bis 3,80).
Von 100 Veteranen, die im Krankenhaus behandelt wurden, starben 5,3 an der Influenza und 18,6 an COVID-19. Dies ergibt auf 100 Patienten 16,85 zusätzliche Todesfälle (14,85 bis 18,99).
Die Zahlen dürften den Erfahrungen entsprechen, die Intensivmediziner derzeit bei der Behandlung von Patienten mit COVID-19 machen. Neu ist vielleicht die Erkenntnis, dass viele Patienten in der Klinik einen insulinpflichtigen Diabetes entwickeln (immerhin 9,35 auf 100 Patienten mehr als bei einer Influenza). Wie viele von ihnen später dauerhaft an einem Diabetes leiden, geht aus der Untersuchung nicht hervor. © rme/aerzteblatt.de

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