Medizin
Kaiserschnitt: Antibiotikaprophylaxe in Kohortenstudie auch nach Abnabelung sicher
Mittwoch, 13. Januar 2021
Bern – Die Antibiotikaprophylaxe, die bei den meisten Operationen vor der Hautinzision erfolgt, kann bei einem Kaiserschnitt auf den Zeitpunkt nach der Abnabelung des Kindes verlegt werden, ohne dass es zu einem deutlichen Anstieg der Infektionen kommt. Dies zeigen die in über 10 Jahren an zahlreichen Schweizer Kliniken gemachten Erfahrungen, die jetzt in Antimicrobial Resistance and Infection Control (2020; DOI: 10.1186/s13756-020-00860-0) publiziert wurden.
Eine Antibiotikaprophylaxe senkt das Risiko von Wundinfektionen und Endometritis und ist deshalb bei der Sectio caesarea nicht umstritten. Umstritten ist allerdings, wann die Antibiotika gegeben werden sollen. Viele Geburtshelfer warten bis zur Abnabelung, um das Neugeborene nicht unnötig mit Antibiotika zu belasten, die die Entwicklung der Darmflora stören könnten (zusätzlich zu den Verzögerungen der bakteriellen Besiedlung im Darm, die sich aus der fehlenden Exposition mit der vaginalen Flora ergeben können).
Diese Haltung steht jedoch im Widerspruch zu den aktuellen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die sich eindeutig dafür ausgesprochen hat, die Antibiotikaprophylaxe vor dem Hautschnitt durchzuführen. Die deutschsprachigen Fachgesellschaften haben sich dieser Empfehlung angeschlossen.
Zur Begründung werden die Ergebnisse aus Metaanalysen, beispielsweise der Cochrane-Collaboration angeführt, nach denen die Antibiotikagabe vor dem Hautschnitt die Häufigkeit von Wundinfektionen und Endometritis um etwa 2/3 senkt (Cochrane Database of Systematic Reviews 2014; DOI: 10.1002/14651858.CD007482.pub3).
Ein Team um Andreas Widmer vom Inselspital Bern hält dem entgegen, dass viele der Studien, die den Meta-Analysen zugrunde liegen, in ärmeren Ländern durchgeführt wurden, in denen die Infektionsrisiken für Mutter und Kind weitaus höher sind als in der Schweiz.
Das Team hat deshalb die Erfahrungen aus 75 Schweizer Kliniken aus den Jahren 2008 bis 2019 zusammengetragen. Sie konnten dabei auf die Daten von Swissnoso zurückgreifen: Das Nationale Zentrum für Infektprävention der Schweiz sammelt seit vielen Jahren erfolgreich Daten zu Krankenhausinfektionen. Die Nachverfolgungsquote nach Kaiserschnitt lag bei über 89 %.
Da auch der Zeitpunkt der Antibiotikagabe genau festgehalten wird, konnten die Forscher die Auswirkungen auf das Infektionsrisiko bei insgesamt 55.901 Frauen nach Kaiserschnitt untersuchen, von denen 26.405 die Antibiotika vor und 29.496 nach dem Abklemmen der Nabelschnur erhalten hatten.
Zunächst fällt auf, dass es in den Schweizer Kliniken sehr viel seltener zu Infektionen kommt, als nach den Ergebnissen der Metaanalysen zu erwarten war. In den klinischen Studien hatte die Infektionsrate bei 4 bis 5 % gelegen – in einer kürzlich in den USA durchgeführten Studie sogar bei 6 bis 12 % (NEJM 2016; DOI: 10.1056NEJMMoa1602044).
An den Schweizer Kliniken erkrankten dagegen nur 846 Frauen an einer chirurgischen Infektion. Darunter waren 550 oberflächliche Wundinfektionen, die in der Regel wenig Probleme verursachen. Eine Endometritis wurde nur bei 226 Patientinnen und eine tiefe Wundinfektion nur bei 70 Patientinnen registriert.
Von den Patientinnen, die die Antibiotika vor dem Hautschnitt erhalten hatten, erlitten 379 (1,6 %) eine chirurgische Infektion. Von den Patientinnen, die die Antibiotika erst nach dem Abklemmen der Nabelschnur erhalten hatten, erlitten 449 (1,7 %) eine Infektion.
Die Schweizer Geburtshelfer ermitteln eine adjustierte Odds Ratio von 1,14, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,96 bis 1,36 nicht signifikant war. Die Zahl ist zwar mit einem tendenziellen Anstieg der Infektionen vereinbar und das 95-%-Konfidenzintervall schließt einen Anstieg um 36 % nicht aus. Aber auch in diesem Fall wäre – vor dem Hintergrund der insgesamt niedrigen Infektionsrate – ein Verschieben der Antibiotikaprophylaxe auf den Zeitpunkt nach dem Abklemmen der Nabelschnur wohl vertretbar.
Ob sich die Leitlinien dieser Haltung anschließen werden, bleibt abzuwarten. Da es sich um eine Kohortenstudie handelt, lassen sich Verzerrungen nicht ausschließen. Es ist vorstellbar, dass die Geburtshelfer bei Frauen mit einem günstigen Ausgangsrisiko eine späte Antibiotikagabe wagten, während sie bei Frauen mit einem erhöhten Risiko eher auf Nummer sicher gingen.
Dies lässt sich in einer Kohortenstudie auch bei der Kenntnis der Patienteneigenschaften nicht immer ausschließen. Aufschlussreich wäre auch eine Analyse der Gründe, warum es in der Schweiz offenbar seltener zu chirurgischen Infektionen kommt als in anderen Ländern. © rme/aerzteblatt.de
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