Politik
Zeitliche Streckung zweiter Coronaimpfung wird geprüft
Montag, 4. Januar 2021
Berlin – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) lässt die Möglichkeit prüfen, die beim Coronaimpfstoff von Biontech und Pfizer vorgesehene zweite Impfung zeitlich zu strecken, um mit der Impfung von mehr Menschen starten zu können. Die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts solle nach Sichtung entsprechender Daten dazu eine Empfehlung abgeben, heißt es in einem der Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) vom 3. Januar.
In dem Schreiben wird auf die in Großbritannien geübte Praxis verwiesen, den zeitlichen Abstand zwischen der ersten und der zweiten Impfung weit über die in der Zulassung maximal vorgesehenen 42 Tage hinaus zu verlängern. „Eine solche Entscheidung in Abweichung von der Zulassung bedarf einer vertieften wissenschaftlichen Betrachtung und Abwägung“, heißt es in dem Papier des Ministeriums.
Mit Blick auf die Maßnahmen in Großbritannien betont Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité, dass auch in Deutschland eine „Flexibilisierung des Impfintervalls diskutiert werden sollte“. Anders als im Vereinigten Königreich müssten aber „alle Personen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums zweimal geimpft werden“.
In der Phase-III Studie von Biontech und Pfizer betrug der Abstand zwischen den zwei Impfungen 19 bis 42 Tage. Immunologisch sei das Intervall von drei Wochen daher eher als eine Untergrenze zu verstehen, erklärte er. Man habe etwas Spielraum. Allerdings gibt es auch die Befürchtung, dass ein Hinauszögern der Boosterimpfung die Ausbreitung resistenter Varianten von SARS-CoV-2 begünstigen könnte.
Angesichts der derzeit unkontrollierten Ausbreitung des Virus – auch neuer SARS-CoV-2-Varianten wie in Großbritannien – klingt das etwa für Isabella Eckerle nach einer„ schlechten Idee“. „Die beste Strategie wäre gewesen, die Inzidenz vor den Impfungen auf ein sehr niedriges Niveau zu senken“, so die Leiterin der Forschungsgruppe Emerging Viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten der Universität Genf in einem Twitter-Beitrag.
Für Sander ist dies jedoch kein Argument: „Ich sehe die Resistenzproblematik als ein theoretisches oder allenfalls langfristiges Szenario, während das Szenario mit hohen Infektions- und Todeszahlen und limitiertem Impfstoff aktuell sehr real ist“, betont er.
Zum einen würde das Zeitfenster einer „Teilimmunisierung“ nur kurzfristig verlängert. Zum anderen werde durch die Impfung eine polyklonale Immunantwort ausgelöst, die verschiedenste Stellen im Spike-Protein angreife. Die Schwelle für eine echte Impfresistenz sei so sehr hoch – insbesondere angesichts der im Vergleich etwa zu Influenzaviren geringen genetischen Variabilität der Coronaviren.
Auch Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut, steht der Idee, die zweite Impfdosis später zu verabreichen, positiv gegenüber. „Da der Abstand zwischen beiden Impfungen mit großer Wahrscheinlichkeit in weiten Grenzen variabel sein kann und der Schutz auch nach einer Impfung schon sehr gut ist, ist es durchaus überlegenswert, bei Impfstoffmangel zunächst bevorzugt die erste Impfung zu verabreichen“, hatte er gesagt. Ähnlich hatte sich der Bonner Virologe Hendrik Streeck geäußert.
Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Klaus Cichutek, hatte hingegen erklärt, aus seiner Sicht sei die bisherige Vorgehensweise sehr vernünftig und richtig. Denn dazu lägen die entsprechenden Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten vor.
Tatsächlich dämpft in der Diskussion um ein Aufschieben der zweiten Impfdosis zugunsten mehr möglicher Erstimpfungen die europäische Zulassungsbehörde EMA die Erwartungen: Zwar sei eine Obergrenze für den zeitlichen Abstand zwischen den Dosen nicht explizit definiert, der Nachweis der Wirksamkeit basiere aber auf einer Verabreichung der Dosen im Abstand von 19 bis 42 Tagen erfolgt sei.
Eine Verabreichung etwa im Abstand von sechs Monaten stehe nicht im Einklang mit den Bestimmungen und wäre demnach als Off-Label-Anwendung zu werten, hieß es weiter. Konkret bedeute dies, dass eine solche Änderung eine Änderung der Zulassung sowie mehr klinische Daten zur Unterstützung einer solchen Änderung erfordern würde, „da es zurzeit keine Daten gibt, die einen Schutz nach der ersten Dosis über zwei bis drei Wochen hinaus zeigen“.
In dem Schreiben befürwortet das Ressort von Spahn zudem erneut die Möglichkeit, wegen der „Über-Füllung“ der Fläschchen mit dem Biontech-Impfstoffs daraus jeweils Dosen für sechs statt der zunächst vorgesehenen fünf Impfungen zuzulassen – soweit die Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
Biontech strebe eine Verdoppelung der Produktionskapazität an, heißt es in dem Schreiben weiter. Dazu diene insbesondere der Kauf und die Herrichtung eines Impfstoffwerkes in Marburg. „Das Land Hessen und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als Bundesoberbehörde begleiten und beraten das Unternehmen bestmöglich, um einen zügigen Produktionsstart noch im Februar 2021 möglich zu machen." © nec/afp/aerzteblatt.de

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