Politik
Corona: Hat die EU bei den Impfstoffen an der falschen Stelle gespart?
Montag, 11. Januar 2021
Brüssel – Mittlerweile 2,7 Milliarden Euro hat die Europäische Kommission investiert, um den EU-Mitgliedstaaten den Zugriff auf ausreichend viele Impfstoffdosen gegen SARS-CoV-2 für ihre Bevölkerung zu ermöglichen. „Zu wenig“, heißt es von einigen Politikern, Wissenschaftlern und vielfach auch in den Medien. Die Kommission habe am falschen Ende gespart, ihr Geiz bei den Verhandlungen im vergangenen Sommer käme die Europäer nun teuer zu stehen.
Teils liegt diesen Aussagen jedoch eine falsche Annahme zugrunde. Denn die 2,7 Milliarden Euro, die die Kommission aus einem Soforthilfefond zahlte, sind nicht für die Impfstoffdosen geflossen. Die Zahlungen sicherten den Mitgliedstaaten „das Recht, innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu einem bestimmten Preis eine bestimmte Anzahl von Impfstoffdosen kaufen zu können“, erklärt die Kommission auf ihrer Webseite.
Die Impfstoffhersteller erhielten das Geld demnach, um ihre Vorlaufkosten zu decken und beispielsweise Produktionskapazitäten auszubauen. Die bereitgestellten Mittel seien als Anzahlung für die Impfstoffe zu betrachten. Den Betrag für die bestellten Impfstoffdosen übernahm die EU jedoch nicht, diesen muss am Ende jeder Mitgliedsstaat selbst zahlen – abhängig davon, wie viele Dosen er in Anspruch nimmt.
Die Entscheidung, wie viele Impfstoffdosen bei welchem Hersteller vorbestellt werden sollten, trafen die Mitgliedstaaten selbst. Ein Lenkungsausschuss aus Vertretern aller 27 Mitglieder unter dem Vorsitz der Kommission und Österreichs entschied darüber, welche Impfstoffe in das Portfolio aufgenommen werden sollten.
Ein Gemeinsames Verhandlungsteam aus Vertretern der Kommission, Deutschland, Spanien, Polen, Italien, Frankereich, Schweden und den Niederlanden führten Gespräche mit verschiedenen Unternehmen und berichteten an den Lenkungsausschuss. Dieser versuchte, basierend auf diesen Angaben, eine ausgewogene Auswahl zu treffen.
Wichtige Kriterien waren auch die Produktionsfähigkeit in großem Maße, Liefersicherheit für den europäischen Markt sowie der Nachweis, dass die verwendete Technologie funktioniert. Alle drei Punkte waren bei den Herstellern Biontech und Moderna, von denen das Verhandlungsteam zunächst weniger Dosen als von anderen Herstellern orderte, nach Angaben der Kommission zunächst nur schwer abschätzbar.
Beide gehören außerdem zu den teuersten Vakzinen. Darauf lässt eine im Dezember versehentlich von der belgischen Politikerin Eva DeBleeker bei Twitter veröffentlichte Preisliste schließen. Da die Kommission selbst von den Kaufpreisen jedoch gar nicht betroffen ist, ist nicht davon auszugehen, dass Sparpotenziale auf EU-Ebene hier eine Rolle gespielt haben.
Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass die weniger wohlhabenden EU-Mitglieder, die im Lenkungsausschuss mit über die Auswahl entschieden, darauf drängten, größere Kontingente der günstigeren Impfstoffe zu ordern, damit auch sie in der Lage sein würden, ihre Einwohner ausreichend mit Impfstoff zu versorgen.
Reicheren Ländern wie Deutschland und Frankreich blieb die Möglichkeit, nicht von anderen Mitgliedern in Anspruch genommene Kontigente aufzukaufen. So geschehen im Fall des Moderna-Impfstoffs. Hier hatte die Verhandlungsgruppe der Kommission 160 Millionen Dosen für die gesamte EU geordert.
Doch mehrere Staaten nahmen den ihnen zustehenden Anteil des teuersten Impfstoffs im Portfolio nicht in Anspruch. Deutschland sicherte sich daraufhin mit 50 Millionen Dosen fast ein Drittel des gesamten bislang vertraglich gesicherten Angebots.
Welchen Betrag die Bundesregierung dafür bezahlte, wurde bislang nicht öffentlich gemacht. Im November wurde bekannt, dass das Bundesfinanzminiterium in diesem Jahr drei Milliarden Euro für die Finanzierung der Impfstoffe einplant.
Wie hoch die Kosten für alle von der EU bestellten Impfstoffdosen am Ende sein werden, lasse sich momentan gar nicht beziffern, heißt es aus Kommissionskreisen. Das hänge auch davon ab, wie viel Impfstoff die einzelnen Länder am Ende überhaupt in Anspruch nehmen. Zudem ist bislang unklar, ob alle Hersteller, mit denen Abnahmeverträge geschlossen wurden, am Ende auch eine Impfung bereitstellen können.
Ob es überhaupt eine Gesamtkostenübersicht für den EU-Raum geben wird, ist fraglich. Dazu müsste jedes Land die für die eigene Bevölkerung bestellte Menge an Impfstoff sowie den dafür bezahlten Betrag publik machen.
Auf Wunsch der Hersteller hält die EU die Abnahmeverträge und die darin vereinbarten Preise für Impfstoffdosen bislang geheim. Es ist davon auszugehen, dass auch die Nationalstaaten sich daran halten müssen.
Einzige Ausnahme ist das deutsche Unternehmen Curevac. Der Abnahmevertrag über den bisher noch nicht zugelassenen Impfstoff werde den Abgeordneten des Europa-Parlaments ab morgen zugänglich gemacht, erklärte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides heute im Kurzbotschaftendienst Twitter. © alir/aerzteblatt.de

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