Medizin
Typ-2-Diabetes: Adipositas erhöht schon vor der Diagnose Risiko auf spätere Mikroangiopathie
Donnerstag, 11. Februar 2021
Potsdam – Menschen, die bereits vor der Diagnose eines Typ-2-Diabetes fettleibig waren, erkranken später häufiger an den mikrovaskulären Komplikationen der Stoffwechselstörung. Dies ergab eine Analyse der EPIC-Studie in Diabetologia (2021; DOI: 10.1007/s00125-020-05362-7).
Die Diagnose eines Typ-2-Diabetes wird in der Regel erst gestellt, wenn die Stoffwechselstörung bereits seit mehreren Jahren besteht. Der Gesundheitszustand in den Jahren vor der Diagnose kann deshalb die sogenannten Spätkomplikationen beeinflussen, zu denen Schäden an den kleinen Blutgefäßen (Mikroangiopathie an Augen, Nieren und Extremitäten), an den großen Blutgefäßen (Makroangiopathie) und an den Nerven (Neuropathie) gehören.
Eine Adipositas gehört zu den wichtigsten Risikofaktoren der Stoffwechselstörung. Ein Team um Prof. Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke hat jetzt untersucht, ob sich die Gewichtsentwicklung vor der Diagnose auf die Spätkomplikationen auswirkt.
Grundlage der Untersuchung waren die Daten der EPIC-Studie („European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition“), einer europaweiten Beobachtungsstudie, an der auch 27.548 Erwachsene aus Deutschland teilnahmen. Die Erstuntersuchungen fanden zwischen 1994 und 1998 statt. Damals waren auch Daten zu Körpergröße und Körpergewicht erhoben worden, aus denen der Body-Mass-Index (BMI) errechnet werden kann.
Bis zum Dezember 2009 war bei 1.601 Teilnehmern der EPIC-Potsdam-Kohorte ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert worden. Die Forscher kontaktierten die Hausärzte und werteten die Krankenakten aus. Die Analyse wurde auf 1.083 Patienten beschränkt, die zum Zeitpunkt der Diagnose noch keine Spätkomplikationen der Erkrankung hatten. In den folgenden Jahren wurden die Ärzte erneut befragt.
Ergebnis: Der BMI vor Beginn der Diagnose hatte einen Einfluss auf die Spätkomplikationen. Am deutlichsten war dies bei den Nierenschäden. Bei Teilnehmern, die vor der Diagnose eine Adipositas vom Grad 1 hatten (BMI 30,0 bis 34,9), wurde später doppelt so häufig eine Nephropathie diagnostiziert wie bei normalgewichtigen Personen, die später am Typ-2-Diabetes erkrankten.
Die Hazard Ratio betrug nach Berücksichtigung von Blutdruck und Fettwerten 2,02 (95-%-Konfidenzintervall 1,02 bis 3,97). Bei Patienten mit einem „prädiabetischen“ BMI von 35 oder höher (Adipositas Grad 2 oder 3) stieg die Hazard Ratio sogar auf 3,57 (1,72 bis 7,41).
Auch die Mikroangiopathie trat häufiger auf, wenn die Patienten vor der Diagnose fettleibig waren: Die Hazard Ratio betrug bei einer Adipositas vom Grad 1 1,69 (1,00 bis 2,85) und bei einer Adipositas vom Grad 2 oder 3 2,70 (1,53 bis 4,76). Für die Neuropathie war ein Zusammenhang erst ab einer Adipositas vom Grad 2 sicher nachweisbar (Hazard Ratio 2,14; 1,04 bis 4,43).
Der Zusammenhang war „dosisabhängig“, was in epidemiologischen Studien auf eine Kausalität hinweist: Jeder Anstieg des BMI um 5 Einheiten war mit einem Anstieg der mikrovaskulären Komplikationen um 21 % verbunden (Hazard Ratio 1,21; 1,07 bis 1,36).
Einzig für die Makroangiopathie, die zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führen kann, war kein signifikanter Zusammenhang erkennbar.
Das Forschungsteam hat auch die Auswirkungen der Gewichtsveränderungen nach der Diabetesdiagnose untersucht. Adipösen Patienten wird bei der Diagnose eines Typ-2-Diabetes routinemäßig zu einer Gewichtsreduktion geraten, um die Stoffwechsellage zu verbessern. Das Ziel ist eine Reduktion des BMI um 5 Einheiten. Für einen 80 Kilogramm schweren Menschen bedeutet das eine Abnahme um vier Kilogramm.
Nach den Ergebnissen der Studie könnte sich die Gewichtsabnahme nach der Diagnose ebenfalls günstig auf die Entwicklung der Mikroangiopathie auswirken. Diabetiker, die ihren BMI um 1 % senkten, reduzierten ihr Risiko auf eine Nephropathie um 43 % (Hazard Ratio 0,57; 0,40 bis 0,81). Bei der Mikroangiopathie kam es zu einem Rückgang um 38 % (Hazard Ratio 0,62; 0,47 bis 0,80).
Zum Einfluss der Gewichtsabnahme auf die Entwicklung nach der Diagnose gibt es allerdings bereits Ergebnisse aus einer randomisierten klinischen Studie, die eine höhere Evidenz für sich beanspruchen kann.
Die Ergebnisse der „Look AHEAD“-Studie waren ernüchternd: Eine intensive Lebensstilintervention konnte die Typ 2-Diabetiker nicht vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen (NEJM, 2013; DOI: 10.1056/NEJMoa1212914). Erst bei einer massiven Gewichtsabnahme um mehr als 10 % war in einer nachträglichen Analyse ein günstiger Effekt erkennbar (Lancet Diabetes Endocrinology, 2016; DOI: 10.1016/S2213-8587(16)30162-0).
Diabetologen führen die enttäuschenden Ergebnisse der „Look AHEAD“-Studie auf den späten Beginn der Intervention zurück. Die Diagnose des Typ-2-Diabetes lag bei den Teilnehmern im Durchschnitt bereits 5 Jahre zurück. Der Konsens der Diabetologen besagt, dass eine Intervention nur erfolgversprechend ist, wenn sie möglichst früh begonnen wird. Nach den jetzt vorliegenden Ergebnissen der EPIC-Studie sollte dies am Besten bereits vor der Diagnose geschehen. © rme/aerzteblatt.de
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