Politik
Coronaimpfstoff: Astrazeneca kündigt Lieferreduktion an, EU erhöht Druck
Montag, 25. Januar 2021
Berlin/Brüssel – Nach Lieferengpässen beim Coronaimpfstoff von Biontech/Pfizer gibt es nun auch Probleme mit den geplanten Lieferungen des Vakzins des britischen Herstellers Astrazeneca in die Europäische Union (EU). Es könnten weniger Dosen als vorgesehen versendet werden, hatte eine Sprecherin von Astrazeneca zum Wochenende mitgeteilt. Grund seien Probleme in einer Produktionsstätte.
Wie groß die Ausfälle sein werden, sagte die Sprecherin des Unternehmens nicht. „Wir werden im Februar und März dutzende Millionen Dosen an die Europäische Union liefern, und wir erhöhen weiterhin die Produktionsmengen.“
Ob Astrazeneca auch in Großbritannien im ersten Quartal weniger Impfstoff ausliefern will als geplant, war zunächst nicht bekannt. Das britisch-schwedische Unternehmen hat sein Präparat zusammen mit der britischen Universität Oxford entwickelt. Er wird in Großbritannien bereits genutzt.
Der Impfstoff von Astrazeneca ist in der EU noch nicht zugelassen. Das Unternehmen hatte die Zulassung aber in der vergangenen Woche in der EU beantragt, in vielen anderen Staaten wird dessen Wirkstoff bereits verabreicht. Am 29. Januar könnte die EU-Arzneimittelbehörde EMA aber grünes Licht geben. In der EU sind bislang nur die beiden Impfstoffe von Pfizer/Biontech sowie Moderna zugelassen.
Trotz der Schwierigkeiten zeigte sich auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zuversichtlich, dass das Mittel von Astrazeneca schon im Februar in maßgeblichen Mengen verimpft werden könne.
Nach der Zulassung werde es „dann auch im Februar Lieferungen geben von Astrazeneca und zwar in einer Größenordnung, da bin ich weiterhin zuversichtlich, die schon im Februar einen Unterschied machen wird im Vergleich zu wenn wir Astrazeneca nicht hätten“ sagte Spahn in den ARD-„Tagesthemen“.
Der Minister betonte, das Impfangebot werde „Zug um Zug, Tag um Tag, Woche um Woche verlässlicher und besser“, da sei er „weiterhin optimistisch“. Gleichzeitig stecke das Land jetzt in einer Phase, die „nochmal besonders schwer ist“.
Nach Ansicht der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut sind Lieferengpässe nicht abzusehen gewesen. „Das ist sehr unerfreulich, gar keine Frage, aber das sind Dinge, die nicht in unserer Macht stehen“, sagte der STIKO-Vorsitzende Thomas Mertens heute im ZDF-„Morgenmagazin“. Die Herstellungsprobleme seien „letztlich nicht vorhersehbar“ gewesen.
Zu der Zeit, als Vorverträge mit Herstellern gemacht worden seien, habe man nichts über die wirkliche Wirksamkeit der Impfstoffe gewusst. „Man musste mehrere Katzen im Sack kaufen, weil man nicht wusste, welcher Impfstoff zuerst zur Zulassung kommt“, sagte Mertens.
Kritik aus der EU-Kommission
EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides kritisierte unterdessen den Hersteller. Sowohl die EU-Kommission als auch die Mitgliedsstaaten hätten „tiefe Unzufriedenheit“ gezeigt. Die Staaten seien für die Planung ihrer Impfkampagnen auf einen genauen Zeitplan der Produzenten angewiesen, schrieb sie auf Twitter.
Sie betonte, man habe bei der Sitzung des Lenkungsausschusses am vergangenen Freitag darauf bestanden, dass es einen genauen Lieferplan gebe, auf dessen Grundlage die Mitgliedstaaten ihre Impfprogramme planen könnten. Die EU-Kommission werde weiter auf mehr Zuverlässigkeit bei den Lieferungen dringen und auf eine beschleunigte Verteilung der Dosen.
Die Brüsseler Behörde geht eigentlich davon aus, dass die Mitgliedstaaten mit den von ihr eingekauften Impfstoffen bis Ende des Sommers mindestens 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung impfen können. EU-Ratspräsident Charles Michel räumte gestern nun ein, dass dieses Ziel nur schwer zu realisieren sein dürfte.
Das Vakzin von Astrazeneca bleibt anders als die Konkurrenzprodukte der Firmen Pfizer und Biontech sowie Moderna bei deutlich höheren Temperaturen stabil und könnte somit auch von Hausärzten verimpft werden.
Die EU warnt die Hersteller von Coronaimpfstoffen angesichts von Lieferverzögerungen am Wochenende auch vor möglichen Konsequenzen. „Wir erwarten, dass die von den Pharmaunternehmen bestätigten Verträge eingehalten werden“, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel dem französischen Sender Europe 1. Um die Einhaltung der Verträge zu gewährleisten, könne die EU auch „juristische Mittel“ nutzen.
Man verstehe, dass es Probleme geben könne, erklärte Michel. Es brauche aber Klarheit über die Gründe. So habe Pfizer anfangs Verzögerungen von Impfstofflieferungen von mehreren Wochen angekündigt. Nachdem man mit der Faust auf den Tisch gehauen habe, sei es dann aber nur noch um eine Woche gegangen.
„Wenn sich die Reduzierung der im ersten Quartal zu verteilenden Dosen um 60 Prozent bestätigt, würde das bedeuten, dass in Italien 3,4 Millionen Dosen statt acht Millionen geliefert würden“, schrieb Italiens Premierminister Giuseppe Conte. Gesundheitsminister Roberto Speranza habe mit Astrazeneca gesprochen.
Conte kündigte den Einsatz rechtlicher Instrumente an, wie man es bei Pfizer-Biontech schon tue. Rom wolle Druck machen zur Einhaltung der Verträge. „Diese Verlangsamungen der Lieferungen stellen schwere Vertragsverletzungen dar, die in Italien und anderen europäischen Ländern enorme Schäden verursachen“, so Conte.
Bereits in der vergangenen Woche hatte er US-Hersteller Pfizer mitgeteilt, seine Lieferungen für drei bis vier Wochen zu verringern. Grund seien Umbaumaßnahmen im Pfizer-Werk im belgischen Puurs. Pfizer hatte zudem erklärt, weniger Ampullen an die Bestellerländer zu liefern.
Der Konzern begründete dies mit einer Stellungnahme der EU-Arzneimittelbehörde EMA, wonach aus jedem Fläschchen bis zu sechs Impfdosen gezogen werden könnten. Bisher ging Pfizer von fünf Dosen pro Flakon aus – und berechnete entsprechend die Zahl der zu liefernden Ampullen.
Die französische Regierung mahnte Pfizer am vergangenen Freitag, unabhängig von der Zahl der Dosen die bestellte Menge an Ampullen zu liefern. „Die Lieferungen erfolgen in Fläschchen. Das Thema der Zahl an Dosen pro Fläschchen ändert für das Industrieunternehmen nichts“, sagte Frankreichs EU-Staatssekretär Clément Beaune.
Der EU-Kommission wird seit längerem vorgeworfen, sich nicht rechtzeitig genug ausreichend Impfstoff gesichert zu haben. Die Brüsseler Kommission argumentiert hingegen, dass zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen noch gar nicht klar gewesen sei, welche Impfstoffe am Ende überhaupt zugelassen werden können. Deswegen sei es richtig gewesen, auf unterschiedliche Anbieter und Konzepte zu setzen.
Nach eigenen Angaben hat die Kommission bislang sechs Verträge über 2,3 Milliarden Dosen künftiger Impfstoffe genehmigt. So gibt es beispielsweise mit Biontech/Pfizer Abmachungen über 600 Millionen Dosen und mit Astrazeneca über bis zu 400 Millionen Dosen.
Bereits in einigen Monaten werde man in Europa mehr Impfstoffe haben als man brauche, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuletzt. Allein mit den bereits zugelassenen Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna werde man 380 Millionen EU-Bürger impfen können. Dies seien 85 Prozent der EU-Bevölkerung. © dpa/afp/aerzteblatt.de

Unethisches und EU-feindliches Verhalten von Astra-Zeneca?

Nachrichten zum Thema



Leserkommentare
Um Artikel, Nachrichten oder Blogs kommentieren zu können, müssen Sie registriert sein. Sind sie bereits für den Newsletter oder den Stellenmarkt registriert, können Sie sich hier direkt anmelden.