Ausland
Datenpanne: EU-Kommission veröffentlicht Vertrag mit Astrazeneca
Freitag, 29. Januar 2021
Brüssel – Die EU-Kommission hat eine redigierte Fassung des Impfstoff-Liefervertrages mit dem britisch-schwedischen Unternehmen Astrazeneca veröffentlicht. Die Brüsseler Behörde stellte das 41 Seiten lange Dokument heute auf ihrer Webseite bereit. Große Teile des Vertrages unter anderem zu vereinbarten Preisen und Liefermengen wurden allerdings geschwärzt – nach Angaben der Kommission auf Verlangen Astrazenecas.
Brüssel hofft so, im Streit mit dem Hersteller um ausbleibende Impfstofflieferungen dessen Fehlverhalten zu belegen. Astrazeneca hatte vergangene Woche angekündigt, der EU zunächst deutlich weniger Impfstoff zu liefern als vorgesehen. Nach EU-Angaben sollen die Mitgliedstaaten im ersten Quartal nur 31 Millionen statt 80 Millionen Impfstoffdosen erhalten, während Drittstaaten wie etwa Großbritannien offenbar weiterhin die vollen Liefermengen erhalten sollen.
Aufgrund einer technischen Panne waren allerdings einige der geschwärzten Stellen dennoch lesbar – mithilfe der Lesezeichenfunktion in verschiedenen PDF-Programmen. Der Warenwert liegt demnach bei 870 Millionen Euro, darin enthalten auch alle Unkosten des Unternehmens bei Entwicklung und Produktion.
Zu erkennen ist auch, dass bestimmte Liefermengen in festen zeitlichen Abständen vereinbart waren. Sollte die EU die Option auf 100 Millionen weitere Dosen abrufen, sollten diese laut Vertrag ursprünglich bis zum 1. Juli 2021 geliefert werden.
Hintergrund der Veröffentlichung war aber eigentlich ein anderer. Geschäftsführer Pascal Soriot hatte sich auf eine „Best-Effort“-Regelung im Vertrag berufen. Nach seiner Auslegung verpflichte diese nicht zu bestimmten Liefermengen, sondern nur dazu, was nach bestem Bemühen möglich ist.
Tatsächlich finden sich dazu einige Passagen in dem Papier. Dort heißt es „Astrazeneca hat den Ausbau seiner Produktionskapazitäten beschleunigt (…), um eine größtmögliche Verfügbarkeit des Impfstoffs so schnell wie möglich herzustellen“, und weiter „im Rahmen dieses Ausbaus hat Astrazeneca sich verpflichtet, nach bestem vernünftigen Bemühen die Kapazitäten für die Produktion von 300 Millionen Impfdosen zu schaffen (…)“.
Sinngemäß werden die „besten vernünftigen Bemühungen“ in dem Vertrag definiert mit den Anstrengungen, die eine mit Astrazeneca in Größe, Infrastruktur und Ressourcen vergleichbare Firma auf dem relevanten Stand der Impfstoffentwicklung vor dem Hintergrund einer globalen Pandemie und der damit verbundenen Dringlichkeit unternehmen würde.
Astrazeneca lege den Begriff der „besten vernünftigen Bemühung“ falsch aus, erklärte ein EU-Vertreter. Dieses rechtliche Konzept werde demnach üblicherweise in Kaufverträgen über Güter verwendet, deren Verfügbarkeit nicht vollständig in der Macht des Unternehmens steht. „Aber jetzt die Produktionskapazitäten hochzufahren, steht voll und ganz in (Astrazenecas) Macht.“ Allerdings könne auch die EU sich „der Tatsache nicht verweigern, dass es hier Elemente gibt (...), die letztendlich von einem Richter zu entscheiden wären“.
Das von Astrazeneca angeführte Argument von Produktionsproblemen in den EU-Werken lässt sich mithilfe des Vertrags hingegen eindeutig ausräumen: Großbritannien zählt demnach ebenfalls zu den Produktionsstandorten für die EU-Lieferungen und hier läuft die Produktion nach bisherigem Stand problemlos. Auch diese Werke müssten für den EU-Auftrag eingesetzt werden, forderte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides.
Dass die Briten ihren Vertrag mit Astrazeneca drei Monate früher abschlossen, ließ sie als Gegenargument nicht gelten. Astrazeneca hätte in diesem Fall eine Klausel im Vertrag vorschlagen müssen, die besagt, dass sie Lieferungen ins Vereinigte Königreich vorrangig behandeln würden, hieß es dazu aus Kommissionskreisen. Eine solche Kalusel gebe es aber nicht.
Im Vertrag heißt es dazu, dass Astrazeneca versichere, „keine vertraglichen oder anderweitigen Verpflichtungen“ eingegangen zu sein, „welche die vollständige Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dieser Vereinbarung behindern würden“. Auch für Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen schließt dies einen früheren Vertragsabschluss mit Großbritannien als Grund für Verzögerungen aus.
In Großbritannien ist man über die Sichtweise der EU wenig begeistert. Sollte Astrazeneca nun Impfstofflieferungen aus den britischen Werken in die EU umleiten, könnte dies das Versprechen des britischen Premierministers Boris Johnson gefährden, bis Mitte Februar 15 Millionen Briten impfen zu lassen. Astrazeneca habe sich zu zwei Millionen Dosen pro Woche in Großbritannien verpflichtet, sagte ein Regierungssprecher in London. „Und wir erwarten, dass Verträge eingehalten werden.“ © afp/alir/aerzteblatt.de

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