Politik
Impfverordnung: Änderungen für Jüngere und chronisch Kranke
Montag, 1. Februar 2021
Berlin – Es gibt Änderungen an der Impfverordnung in Deutschland. Die Neuerungen betreffen vor allem Menschen unter 65 Jahren und manche schwer sowie chronisch Kranke. Das geht aus einem Referentenentwurf der Verordnung hervor, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
Die 18- bis 64-Jährigen in Deutschland sollen demnach künftig zunächst prioritär mit dem Vakzin von Astrazeneca gegen SARS-CoV-2 geimpft werden. Ein andere Impfstoff soll nur dann verwendet werden, wenn der Astrazeneca-Impfstoff nicht zur Verfügung steht. Das gilt zunächst für diese Altersgruppe in den bislang festgelegten Priorisierungsgruppen mit „höchster“ und „hoher“ Priorität.
In der der höchsten Priorisierungsgruppe gilt dies demnach zum Beispiel sowohl für zu Pflegende als auch das Pflegepersonal. Auch wer jünger als 65 Jahre ist und in medizinischen Einrichtungen einem sehr hohen Expositionsrisiko ausgesetzt ist, soll den Vektorimpfstoff von Astrazeneca bekommen.
Das betrifft etwa Mitarbeiter auf Intensivstationen, in Notaufnahmen, in Rettungsdiensten, in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, in den Impfzentren sowie in Bereichen, in denen für eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 relevante aerosolgenerierende Tätigkeiten durchgeführt werden.
Unter 65-Jährige, die in medizinischen Einrichtungen regelmäßig Menschen behandeln, betreuen oder pflegen, bei denen ein sehr hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht – insbesondere in der Onkologie oder Transplantationsmedizin – gehören weiter in die höchste Priorisierungsgruppe und sollen mit dem Astrazeneca-Vakzin versorgt werden.
Die Empfehlung gilt auch für die Unter-65-Jährigen der Priorisierungsgruppe mit „hoher Priorität“. Ab der Gruppe mit „erhöhter“ Priorität (Gruppe III), wird der Astrazeneca-Impfstoff nicht mehr explizit erwähnt. Grund dürfte sein, dass diese Gruppe ohnehin erst später am Zuge sein wird. Die Politik hofft, dass dann ausreichend Impfstofff bereitsteht.
Hintergrund für die jetzige Verordnungsänderung aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ist unter anderem die neue Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) in Bezug auf die Zulassung des Astrazeneca-Vakzins. Am vergangenen Freitag hatte die STIKO den Astrazeneca-Impfstoff nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren empfohlen.
Zur Beurteilung der Impfeffektivität ab 65 Jahren lägen bisher keine ausreichenden Daten vor, hieß es. Zuvor hatte die EU-Arzneimittelagentur (EMA) Grünes Licht für die europaweite Zulassung des Impfstoffs gegeben – und zwar für Erwachsene ab 18 Jahren ohne eine Altersbegrenzung.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte bereits vorgestern eine Überarbeitung der Impfverordnung angekündigt. Man werde generell an einer Priorisierung festhalten, aber die „Alterskomponente“ für den Astrazeneca-Impfstoff aufgreifen, sagte Spahn am Wochenende bei einem digitalen „Townhall“ zu den Coronaimpfungen für Pflegekräfte.
STIKO-Chef Thomas Mertens hatte die Empfehlungen verteidigt. Für eine Beurteilung der Wirksamkeit des Präparats bei den Älteren gebe es noch nicht genügend Daten. Die Beschränkung auf die Jüngeren sei „kein Qualitätsurteil über den Impfstoff“. Mertens warnte indes vor einer „willkürlichen Änderung“ bei der Impfreihenfolge, die nicht durch wissenschaftliche Daten begründbar sei. Dies könne dann „endlose Diskussionen“ über Gerechtigkeit zur Folge haben.
Änderungen in den Priorisierungsgruppen bei Krankheitsbildern
Änderungen gibt es im Verordnungsentwurf auch bei den Empfehlungen für einzelne Krankheitsbilder. Diese seien aufgrund neuer wissenschaftlicher Daten angepasst worden, heißt es. Sie wurden neu sortiert und teilweise in der Priosierung nach verschoben.
Zur Gruppe II mit „hoher Priorität“ gehören laut Verordnung künftig auch Menschen mit malignen hämatologischen Erkrankungen, nicht in Remission befindlichen Krebserkrankungen oder Krebserkrankungen vor oder während einer Krebsbehandlung oder einer onkologischen Anschlussrehabilitation, Personen mit interstitieller Lungenerkrankung, COPD oder anderer, ähnlich schwerer chronischer Lungenerkrankung oder Personen mit Diabetes mellitus (mit HbA1c ≥58 mmol/mol bzw. ≥7,5 Prozent).
Ebenso in die Gruppe II, in der sich auch Menschen ab 70 Jahren befinden, fallen Personen mit Leberzirrhose und anderer chronischer Lebererkrankung, mit chronischer Nierenerkrankung, mit Adipositas (Personen mit Body-Mass-Index über 30 sowie Menschen, bei denen nach ärztlicher Beurteilung ebenfalls „ein sehr hohes oder hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht“. Chronische Nieren und Lebererkrankungen sind damit beispielsweise eine Priorisierungsstufe nach vorne gerutscht.
Zur Gruppe III mit „erhöhter“ Priorität, in die auch die Menschen ab dem 60. Lebensjahr gehören, gehören laut BMG-Entwurf Personen mit behandlungsfreien in Remission befindlichen Krebserkrankungen, mit Immundefizienz oder mit HIV-Infektion, Autoimmunerkrankungen oder rheumatologische Erkrankungen oder mit einer Herzinsuffizienz, Arrhythmie, einem Vorhofflimmern, einer koronaren Herzkrankheit oder arterieller Hypertonie.
Ebenso in diese Gruppe fallen Menschen mit zerebrovaskulären Erkrankungen oder Apoplex und anderer chronischer neurologischer Erkrankung, mit Asthma bronchiale, mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung (CED), mit Diabetes mellitus (mit HbA1c <58 mmol/mol bzw. <7,5 Prozent) sowie Personen, bei denen nach ärztlicher Beurteilung ebenfalls ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf vorliegt.
Zu den Lieferungen der Impfstoffe sagte Spahn, bis zum 22. Februar hätten die Unternehmen die Lieferung von insgesamt fünf Millionen Dosen mit Lieferdaten angekündigt. Bislang seien 3,5 Millionen Dosen ausgeliefert worden, mehr als zwei Millionen davon seien bereits verimpft worden. Er rechne noch bis zu drei Monate mit der Notwendigkeit einer starken Priorisierung bei den Impfungen, fügte Spahn hinzu.
Spahn erörterte nach eigenen Angaben vorgestern mit seinen Kollegen aus den Ländern die Schwierigkeiten bei den Impfungen. Es gebe großen Abstimmungsbedarf, und zwar innerhalb der Bundesrepublik als auch auf europäischer Ebene, sagte Spahn weiter. Heute wollen Bund und Länder auf einem Impfgipfel über die Probleme beraten.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) forderte den Bund auf, verlässliche Lieferangaben für Impfstoffe zu machen. „Die Menschen brauchen Klarheit, wann sie geimpft werden können, und die Länder brauchen Planungssicherheit durch verlässliche Lieferangaben des Bundes, um Impftermine anbieten zu können“, sagte Dreyer der Rheinischen Post von vorgestern.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) forderte Aufklärung darüber, ob die Europäische Union die Impfstoffe zu spät bestellt hat. „Diese Frage ist aus meiner Sicht noch nicht zweifelsfrei geklärt“, sagte er der Augsburger Allgemeinen.
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) wandte sich gegen Zwangslizenzen oder die Weitergabe der bisherigen Lizenzen. Mit einer Auslizenzierung zu anderen Herstellern würde es ungeachtet der rechtlichen Implikationen mindestens zwölf Monate dauern, „bis aus dieser Fertigung Impfstoff zur Verfügung steht“, sagte Verbandschef Hans-Georg Feldmeier der Düsseldorfer Rheinischen Post.
Impfstoff-Lieferungen sollen im 2. und 3. Quartal deutlich anziehen
Die Lieferungen von Coronaimpfstoff für Deutschland sollen im Laufe des Jahres deutlich anziehen, wie eine neue Übersicht des Bundesgesundheitsministeriums zeigt. Nach 18,3 Millionen Impfdosen im laufenden ersten Quartal könnten demnach laut einer aktuellen Schätzung im zweiten Quartal voraussichtlich 77,1 Millionen Dosen und im dritten Quartal 126,6 Millionen Dosen verschiedener Hersteller folgen. Im vierten Quartal könnten es dann weitere 100,2 Millionen Dosen sein.
Die Schätzung bezieht sich auf geschlossene Verträge und geplante Vereinbarungen sowie voraussichtliche Zulassungstermine einiger Impfstoffe. Wie betont wird, hängen konkrete Termine und Liefermengen von zahlreichen Faktoren ab - besonders von klinischen Prüfungen, den Zulassungsverfahren, Produktionsprozessen, Lieferketten für Ausgangsstoffe und Qualitätskontrollen. Solche Prognosen seien immer mit Unsicherheiten behaftet, Änderungen seien nicht ungewöhnlich.
Im letzten Quartal 2020 waren der Übersicht zufolge 1,3 Millionen Dosen des ersten zugelassenen Impfstoffes der Hersteller Biontech und Pfizer geliefert worden. © may/dpa/afp/aerzteblatt.de

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