Ausland
Kampf gegen Krebs: Coronapandemie hat katastrophale Auswirkungen
Donnerstag, 4. Februar 2021
Kopenhagen/Genf – Die Coronapandemie schlägt sich nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dramatisch auf die Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen in Europa nieder. Die Auswirkungen seien „nichts weniger als katastrophal“, erklärte der Direktor des WHO-Regionalbüros Europa, Hans Kluge, heute.
Während des Kampfes gegen COVID-19 sei es bisher überaus herausfordernd gewesen, den Fortbestand der Krebsbehandlung zu gewährleisten. „Durch die Pandemie braut sich eine Krise nichtübertragbarer Krankheiten, einschließlich Krebs, zusammen.“
Die WHO Europa hofft nach eigenen Angaben auf eine Zukunft, in der Krebs nicht länger eine lebensbedrohliche Krankheit ist. „Wir können Krebs nicht beseitigen“, erklärte Kluge. „Aber wir können darauf abzielen, Krebstodesfälle zu beseitigen.“
Auf dem Weg dorthin ruft die WHO Europa nun eine europaweite Krebsinitiative ins Leben, um Krebskontrolle und -vorbeugung auf dem Kontinent zu verbessern. In dem Rahmen ernennt das Regionalbüro mit dem schwedischen Abenteurer Aron Anderson auch einen expliziten Krebsbotschafter.
2020 wurde nach offiziellen Angaben bei 2,7 Millionen Menschen in der EU Krebs entdeckt. 1,3 Millionen Patienten starben an der in vielen Varianten auftretenden Krankheit. In der gesamten europäischen Region, zu der die WHO mehr als 50 Länder zählt, gibt es nach Angaben der Organisation in einem normalen Jahr fast 2,2 Millionen Krebstote – „eine viel zu hohe Zahl, wenn wir wissen, dass diese Todesfälle hätten verhindert werden können“, so Kluge.
Zu Beginn der Coronapandemie habe die WHO festgestellt, dass die Krebsdienste in jedem dritten Land der Region teils oder vollständig gestört worden seien, sagte Kluge. In den Niederlanden und Belgien sei die Zahl der diagnostizierten Krebserkrankungen während des ersten Lockdowns 2020 um 30 bis 40 Prozent gefallen, im nationalen Onkologiezentrum von Kirgisistan im April gar um 90 Prozent.
Verspätete Diagnosen und Behandlungen in Großbritannien dürften sich dort zudem in den nächsten fünf Jahren in einem Anstieg der Darm- und Brustkrebstoten um 15 beziehungsweise neun Prozent niederschlagen.
Schutz möglich
Trotz steigender Zahl der Krebsfälle können sich Menschen vor den Erkrankungen schützen. Das ist ebenfalls eine Botschaft der WHO zum heutigen Weltkrebstag. „Keinen Tabak konsumieren, regelmäßig Sport treiben, gesund essen, und zu viel Alkohol vermeiden“, sagte André Ilbawi von der WHO-Abteilung für nicht übertragbare Krankheiten vorgestern in Genf.
Auch beugten Impfungen gegen Hepatitis B und HPV Krebserkrankungen vor. Zu lange Aufenthalte in starkem Sonnenlicht sollten vermieden werden. Brustkrebs hat Lungenkrebs im vergangenen Jahr als häufigste Krebsart abgelöst, wie das Internationale Krebsforschungsinstitut (IARC) im Dezember berichtet hatte. 2020 erhielten weltweit 2,3 Millionen Frauen diese Diagnose.
Brustkrebs machte zwölf Prozent aller neuen Krebsdiagnosen aus. Die zweithäufigste Krebsart war Lungenkrebs, gefolgt von Darm- und von Prostatakrebs. Die Coronaviruspandemie dürfte negative Folgen haben, so die WHO. In vier von sechs Ländern weltweit seien Krebsbehandlungen im vergangenen Jahr zeitweise unterbrochen worden.
Die Zahl von knapp 20 Millionen Krebsdiagnosen 2020 werde bis 2040 wahrscheinlich um 47 Prozent steigen, so die WHO. Grund seien unter anderem das Bevölkerungswachstum, die höhere Lebenserwartung und bessere Diagnosemöglichkeiten. Es stiegen aber auch Risikofaktoren wie Übergewicht und Bewegungsmangel.
Krebs ist nach Angaben der WHO die zweithäufigste Todesursache weltweit, nach kardiovaskulären Erkrankungen. Jeder fünfte Mensch erkranke in seinem Leben an Krebs. Acht Prozent der Männer und elf Prozent der Frauen sterben nach Angaben der WHO daran.
Die EU-Kommission hatte erst gestern einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Krebserkrankungen vorgestellt. Angesichts der Datenlage scheint eine europaweite Aktion sinnvoll. Nach jüngsten Angaben der Statistikbehörde Eurostat sterben zum Beispiel in den neuen EU-Ländern im Osten der Gemeinschaft bedeutend mehr Menschen an Krebs.
2017 ist Ungarn trauriger Spitzenreiter mit über 340 Krebstoten pro 100.000 Einwohner. Es folgen Kroatien und die Slowakei. Die sieben EU-Länder mit den meisten Krebstoten relativ zur Bevölkerung liegen alle im Osten der Union.
Gut schneiden vor allem Länder in Südeuropa ab. Zypern verzeichnete demnach 212 Krebstote pro 100.000 Einwohner, Malta 225 und Spanien 228. Auch im Norden sterben weniger Menschen an Krebs: In Finnland lag die Todesrate bei 219, in Schweden bei 232. Deutschland liegt mit 248 Krebstoten pro 100.000 Einwohnern immerhin unter dem EU-Durchschnitt.
In allen EU-Ländern sterben bedeutend mehr Männer als Frauen an Krebs. Am größten ist der Unterschied in Schweden, wo die Todesrate bei Männern 74 Prozent über der von Frauen liegt. Am ähnlichsten sind sich die Geschlechterstatistiken in den baltischen Ländern. Aber auch dort liegen die Todesraten bei Männern 45 Prozent über denen von Frauen.
Die häufigste tödliche Krebserkrankung in der EU ist Lungenkrebs. Lungenkarzinome sind die Todesursache bei jedem vierten männlichen und fast jedem siebten weiblichen Krebstoten. Bei Frauen ist der Anteil der Todesopfer durch Brustkrebs mit 17 Prozent allerdings noch höher. Darmkrebs ist bei zwölf Prozent der Krebstoten beider Geschlechter die Todesursache.
Während die genauen Ursachen einer einzelnen Krebserkrankung kaum auszumachen sind, verweisen Experten für langfristige Strategien zur Bekämpfung der Krankheit häufig auf Punkte wie Tabakkonsum, Ernährung und körperliche Betätigung. Tatsächlich finden sich die drei EU-Länder mit den meisten Krebstoten (Ungarn, Kroatien, Slowakei) auch in der Top-10-Liste der Länder mit den meisten Rauchern. Zudem haben Länder mit mediterraner kulinarischer Tradition wie Spanien, Italien und Malta deutlich weniger Krebstote zu beklagen.
Gravierende Unterschiede zwischen den EU-Ländern gibt es bei Vorsorgeuntersuchungen. Etwa wurden in Finnland und Dänemark laut Eurostat-Daten von 2018 über 80 Prozent der Frauen im Alter zwischen 50 und 69 in den vorherigen zwei Jahren auf Brustkrebs untersucht. In der Slowakei durchlief im gleiche Zeitraum weniger als jede dritte Frau dieser Altersgruppe eine Mammografie, in Bulgarien sogar nur jede fünfte.
Ähnlich sieht es bei Darmkrebs aus. In Bulgarien, dem EU-Land mit den relativ zur Bevölkerung meisten Darmkrebserkrankungen, wurde nur jeder zehnte der 50- bis 74-Jährigen darauf voruntersucht. In Deutschland hingegen lag diese Quote bei über 80 Prozent. Die Daten von Eurostat stammen zwar aus dem Jahr 2014, nach Angaben der EU-Kommission bestehen aber weiterhin gravierende Unterschiede. © dpa/afp/aerzteblatt.de

Nachrichten zum Thema

Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.