Politik
Impfverordnung: Es gelten neue Priorisierungen
Montag, 8. Februar 2021
Berlin – Seit heute gelten neue Priorisierungen bei Impfungen gegen SARS-CoV-2. Die jetzt in Kraft getretene neue Impfverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) sieht einige Änderungen bei der Einstufung der Bevölkerung in die vorrangig zu impfenden Gruppen vor – und lässt Spielraum für Einzelfallentscheidungen etwa bei seltenen Erkrankungen oder in besonderen Situationen.
Die Öffnung für Einzelfallentscheidungen solle nur dann greifen, wenn dies über die Impfverordnung nicht abgedeckt sei, erläuterte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) heute vor Journalisten in Berlin. Die Länder sollen Anlaufstellen schaffen, die über die Einzelfälle entscheiden. Wenn jetzt aber mehrer Millionen Bürger wegen Einzelfallentscheidungen anfragen würden, könnten das die neuen Stellen nicht leisten, appelliert Spahn an die Bürger, sich zurückzuhalten.
Grundsätzlich bleibt es in der neuen Verordnung zumeist bei den bisherigen Eingruppierung. So sollen etwa die meisten Vertragsärzte im Grundsatz erst in Gruppe zwei (hohe Priorität) zum Zug kommen und Lehrkräfte und Erzieher in Gruppe drei (erhöhte Priorität). Vertreter dieser Berufe hatten schnellere Impfungen gefordert. Spahn zeigte Verständnis für den Wunsch. Es gehe aber auch darum, das Risiko der Sterblichkeit einzusortieren und den knappen Impfstoff zu berücksichtigen.
Zudem kann neuerdings mit der Verordnung von der Reihenfolge künftig in Einzelfällen abgewichen werden, etwa wenn dies „zur kurzfristigen Vermeidung des Verwurfs von Impfstoffen notwendig ist“, wie es in der Verordnung heißt. Bereits bisher hatte Spahn gesagt, dass etwa Impfdosen aus angebrochenen Fläschchen zum Beispiel an Gesundheitspersonal verimpft werden sollen, statt es wegzuwerfen. Auch dürfen die Bundesländer einzelne Jahrgänge nun zeitversetzt einladen. Somit könnten sie die Impfungen flexibler organisieren.
Mit der Verordnung reagiert das Ministerium auch auf den in der Europäischen Union (EU) neu zugelassenen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 des britisch-schwedischen Hersellers Astrazeneca. In Deutschland ist er von der Ständigen Impkommission (STIKO) beim Robert-Koch-Institut (RKI) für Menschen bis 65 Jahre empfohlen worden. Das setzt das BMG nun um und passt die Verordnung an neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf bestimmt Krankheitsbilder an.
„Mit der Impfverordnung folgen wir den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission“, sagte Spahn. Man reagiere auf erste Erfahrungen mit der Impfkampagne in der Praxis. Der Minister betonte, durch die Zulassung des Astrazeneca-Impfstoffs könnten nun Jüngere geimpft werden, was mehr Impfstoff für Ältere zur Folge habe.
Astrazeneca für unter 65-Jährige
Die Festlegung, dass Menschen zwischen 18 Jahren und unter 65 Jahren den Vektorimpfstoff von Astrazeneca bekommen sollen, ist in der Verordnung zunächst nur für die Gruppe mit der höchsten Priorität festgelegt. Im Verordnungsentwurf galt es auch noch für die Gruppe mit „hoher Priorität“.
Nun ist das bis auf Gruppe I in allen anderen Gruppen nicht mehr explizit erwähnt. Bis die anderen Gruppen an der Reihe sind, könnte die Verordnung aber wieder geändert werden – oder es steht bis dahin mehr Impfstoff bereit.
In die Gruppe mit der höchsten Priorität gehören weiterhin alle Menschen über 80 Jahren. In folgenden Gruppen sollen die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna an Menschen ab 65 Jahren sowie das Vakzin von Astrazeneca an die jüngeren verabreicht werden: Pfleger in stationären Einrichtungen und ambulanten Pflegediensten sowie Mitarbeiter in medizinischen Einrichtungen, in denen ein sehr hohes Expositionsrisiko besteht.
Dazu gehören Intensivstationen, Notaufnahmen, Rettungsdienste, und Impfzentren. Auch wer Menschen behandelt oder pflegt, bei denen ein sehr hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion besteht, gehört in diese Gruppe. Dies gilt insbesondere für die Onkologie oder Transplantationsmedizin.
In der Gruppe mit hoher Priorität werden an zweiter Stelle Menschen über 70 Jahren geimpft. Dazu gehören auch Menschen mit Trisomie 21, Patienten nach einer Organtransplantation, Menschen mit Demenz oder geistiger Behinderung, mit psychiatrischer Erkrankung wie bipolare Störung, Schizophrenie und schwere Depression sowie Menschen mit bestimmten Blutkrankheiten.
Personen mit malignen hämatologischen Erkrankungen oder behandlungsbedürftigen soliden Tumorerkrankungen, die nicht in Remission sind oder deren Remissionsdauer weniger als fünf Jahre beträgt, fallen ebenfalls in die Gruppe II. An dieser Stelle wurde in der Verordnung noch eine Grenze für die fünf Jahre neu eingezogen.
Schließlich gehören in die zweite Gruppe Menschen mit einer schweren chronischer Lungenerkrankung, Diabetes (mit HbA1c ≥ 58 mmol/mol oder ≥ 7,5%), chronische Leber- und Nierenerkrankung oder Adipositas (BMI über 40).
Bei Schwangeren und bei nicht in einer Einrichtung lebenden pflegebedürftigen Personen dürfen zwei enge Kontaktpersonen geimpft werden. Zudem gehören Betreuer geistig oder psychisch behinderter Menschen sowie Ärzte und Personal mit regelmäßigem unmittelbaren Patientenkontakt in diese Gruppe. Auch bei Polizei- und Ordnungskräften, die etwa wegen des Einsatzes bei Demonstrationen, einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind, besteht ein Impfanspruch mit hoher Priorität.
In die dritte Gruppe mit erhöhter Priorität gehören alle Menschen ab 60 Jahren. Ansonsten sind in dieser Gruppe Menschen mit Immundefizienz oder HIV-Infektion, Autoimmunerkrankungen oder Rheuma, Patienten mit einer Herzinsuffizienz, Arrhythmie, Vorhofflimmern, koronaren Herzkrankheit oder Bluthochdruck erfasst.
Zur Gruppe gehören auch Menschen mit behandlungsfreien in Remission befindlichen Krebserkrankungen, wenn die Remission mehr als fünf Jahre beträgt. Auch wer an einer chronischen neurologischen Erkrankung oder Asthma leidet, gehört dazu. Schließlich sind entzündliche Darmerkrankung und Fälle von Diabetes mellitus (mit HbA1c <58 mmol/mol bzw. <7,5 Prozent) sowie Menschen mit Adipositas (BMI über 30) in diese Gruppe einsortiert.
In die dritte Gruppe gehören auch Mitarbeiter staatlicher Einrichtungen wie Bundestag, Regierungen und Verwaltungen, bei den Streitkräften, bei der Polizei, beim Zoll, bei der Feuerwehr, beim Katastrophenschutz einschließlich Technisches Hilfswerk und in der Justiz.
Auch wer in einer Apotheke, in der Pharma- oder Ernährungswirtschaft, der Wasser- und Energieversorgung, der Abfallwirtschaft, oder im Transport- und Verkehrswesen tätig ist, gehört in diese Gruppe. Schließlich sind Mitarbeiter des Lebensmitteleinzelhandels, Erzieher und Lehrer erfasst – sowie Menschen mit prekären Arbeits- oder Lebensbedingungen. © may/afp/dpa/aerzteblatt.de

Impfstoffbeschaffung

Wo bleibt die Kritik? Warum sind wir so still...

Nachrichten zum Thema


Leserkommentare
Um Artikel, Nachrichten oder Blogs kommentieren zu können, müssen Sie registriert sein. Sind sie bereits für den Newsletter oder den Stellenmarkt registriert, können Sie sich hier direkt anmelden.