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Politik

„Nutzen und Schaden wurden sorgfältig abgewogen“

Sonntag, 14. Februar 2021

Berlin – Wenn die Schulen wieder schrittweise öffnen, liegt jetzt erstmals eine S3-Leitlinie für „Maßnah­men zur Prävention und Kontrolle einer SARS-CoV-2-Übertragung an Schulen“ vor, die Schulen eine wis­senschaft­lich fundierte und evidenzbasierte Handlungsempfehlung zur Verfügung stellt. Erarbeitet wur­de sie von Experten aus 36 Fachverbänden der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell­schaften (AWMF) gemeinsam mit Vertretern des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie Eltern-, Schüler- und Lehrervertre­tern.

Gefördert wurde das Vorhaben vom Bundesforschungsministerium im Rahmen seiner Förderung des Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin zu COVID-19. Federführend bei der Erstellung der Leitlinie waren die vier Fachgesellschaften für Epidemiologie, für Public Health, für Kinder- und Jugendmedizin und für pädiatrische Infektiologie.

Das Deutsche Ärzteblatt sprach mit einer der Koordinatorinnen der S3-Leitlinie, Eva Rehfuess, Lehrstuhl­inhaberin für Public Health und Versorgungsforschung an der Pettenkofer School of Public Health der LMU München.

5 Fragen an Eva Rehfuess, Koordinatorin der S3-Leitlinie zu Schulöffnungen in der Pandemie

DÄ: Frau Professorin Rehfuess, haben Sie mit Ihrer S3-Leitlinie jetzt die Voraussetzung für eine Schulöffnung geschaffen?
Eva Rehfuess: Wenn die Schulen schrittweise öffnen, bieten die Empfehlungen eine gute Grundlage. Zum einen können sie helfen, klarere Regeln vor Ort aufzustellen – Leitlinien sind da immer auch Organisations- und Argumentationshilfen. Zum anderen las­sen sie die notwendige Freiheit, die Maßnahmen an die lokalen Gegebenheiten anzupassen.

Wie jede AWMF-Leitlinie liefert auch diese Handlungskorridore, keine starren Vorgaben. Die Leitlinie sollte aber nicht auf die Szenarien von Schulschließung oder -öffnung reduziert werden. Viel wichtiger ist, dass die Maßnahmen einen möglichst kontinu­ierlichen, sicheren und geregelten Schulbetrieb ermög­lichen sollen, sofern das allgemeine Infektionsgeschehen das irgend zulässt.

DÄ: Sie plädieren für eine nur schrittweise Öffnung der Schulen. Einige Schüler werden also aus Gründen des Infektionsschutzes noch im Distanzunterricht bleiben. Haben Sie die psychosozialen Belastungen und eingeschränkten Bildungschancen dagegen abgewogen?
Rehfuess: Ja, das haben wir. Bei der Erarbeitung der Empfehlungen hat die Leitliniengruppe neben den gesundheitlichen Wirkungen jeder Maßnahme auch die Kriterien Akzeptanz, gesundheitliche Chancen­gleichheit, soziale und ökologische Folgen, finanzielle und wirtschaftliche Folgen und Machbarkeit bewertet, ebenso mögliche Einschränkungen der Grundrechte.

Nutzen und Schaden wurden dadurch sorgfältig abgewogen. Bei fehlender oder nicht ausreichender Evi­denz wurde in der Leitlinie jeweils Konsens angestrebt. Die vielfältigen Perspektiven der Mitglieder un­serer Leitliniengruppe – neben wissenschaftlichen Akteuren auch Schüler, Lehrer, Schulleiter, Eltern, Entscheidungsträger in Schulämtern, Akteure des Öffentlichen Gesund­heits­dienstes – waren dabei besonders wichtig.

DÄ: Das gestufte Vorgehen soll sich Ihrer Leitlinie zufolge am lokalen Infektionsgeschehen orientieren. An welchen Markern sollen das die Kommunen konkret festmachen?
Rehfuess: Wir hatten uns bewusst an die Einteilung des Robert-Koch-Instituts (RKI) angelehnt, um keine anderen, gegebenenfalls widersprüchlichen Stufen einzuführen. Wir haben damit aber ebenso bewusst darauf verzichtet, die Stufen an festen Grenzwerten und einzelnen Parametern festzumachen.

Das RKI berücksichtigt für die Risikobewertung Kriterien wie Fallzahlen, Übertragbarkeit und Belastung des Gesundheitswesens. Diese komplexere Bewertung der Situation ist angemessener als die Reduktion auf beispielsweise 7-Tage-Inzidenzwerte, die unter anderen den Einfluss neuer Virusvarianten, aber auch regionaler Hotspots nur unzureichend widerspiegeln. Das RKI bewertet auf Bundesebene, für den Umgang mit Schulen muss die Einstufung regional erfolgen.

DÄ: Für die Erstellung der Leitlinie haben 36 medizinische Fachgesellschaften zusammengearbeitet – noch dazu in Rekordzeit. Wie schwierig hat sich der Prozess gestaltet?
Rehfuess: Kurzgefasst: immer konstruktiv, strikt sach- und lösungsorientiert, ungewöhnlich engagiert. Natürlich gab es eine Vielzahl unterschiedlicher Erfahrungen, Interessen und Perspektiven.

Auf dem Weg zur Konsensfindung – was ja eine Besonderheit des Leitlinienprozesses allgemein ist – mussten immer wieder Kompromisse geschlossen werden. Aber insgesamt war der Prozess von der allgemeinen Einstellung geprägt, möglichst schnell den Schulen helfen zu wollen, Einzelinteressen hintanzustellen und eine gemeinsame Lösung zu finden.

DÄ: Es handelt sich um eine lebende Leitlinie. Wann muss sie nach Ihrer Ansicht voraussichtlich ange­passt werden?
Rehfuess: Dass wir sie anpassen und ergänzen müssen ist klar, wie bei allen COVID-Leitlinien zwingen uns allein die ständig neuen Entwicklungen im Verlauf der Pandemie dazu, beispielsweise das Auftreten von Mutationen. Zudem werden zum Beispiel Berufsschulen oder Förderschulen nicht behandelt, aber auch das Vorgehen bei Abschlussklassen fehlt noch.

Auch das Thema Testen und Teststrategien hatten wir zunächst ausgeklammert, da hier dem vom Netzwerk der Universitätsmedizin geförderten Projekt B-Fast an Erkenntnissen und Empfehlungen gearbeitet wird. Das bedeutet, dass es einen klaren Bedarf für ein schnelles Update gibt, am besten im Frühsommer. Wir müssen jetzt aber überlegen, wie das umgesetzt werden kann und wir brauchen Fördermittel, die die schnelle, ressourcenintensive Weiterarbeit ermöglichen. © ER/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #659995
Claus Günther
am Montag, 15. Februar 2021, 11:37

Totaler Infektionsschutz Teil 2

Geben wir den übertragbaren Krankheiten keine Chance, lernen und arbeiten wir ab jetzt zu Hause, kaufen und unterhalten wir uns im Internet, drehen wir einsam im Wald unsere Runden! Das RKI, die Politik, weite Teile der Lehrerschaft, wohl auch der Ärzteschaft, sie alle haben sehr großes Verständnis dafür, dass uns die Umstellung erst einmal schwerfällt. Es wird leichter, wenn wir tief verinnerlicht haben, dass jeder Mitmensch eine potenziell tödliche Gefahr darstellt. Und für das Klima ist es auch das absolut Richtige! Vielen, vielen Dank, ihr tapferen Eremiten, ihr wisst, was Freiheit ist und Stärke, wie Henrik Ibsen: „Der stärkste Mann der Welt ist der, der ganz allein steht.“
Übrigens geht das Gerücht, dass ein hochgefährliches Virus schon gar nicht mehr ernst genommen wird, dabei gibt es nach mittlerweile 40 Jahren nicht einmal effektiven Impfschutz. Gesundheitsminister Spahn wird es sicher richten. Wenn noch ein paar Werbemilliönchen von der Corona-Schutzimpfung über sind, werden wir es überall lesen: „Zero-HIV“. Die Novelle des Infektionsschutzgesetzes mit strafbewehrten Kontaktverboten insbesondere der Risikogruppen ist schon in Arbeit.
Avatar #659995
Claus Günther
am Montag, 15. Februar 2021, 11:35

Totaler Infektionsschutz Teil 1

Der oberste Wächter des Robert-Koch-Institutes (RKI) hat in der Pressekonferenz am 12.02.2021 weit ausgegriffen, indem er AHA+L als wirksame Maßnahmen deklariert und fortfährt: „Sie wirken gegen Covid-19 und sie wirken auch gegen viele andere ansteckenden Krankheiten. Geben wir diesen Krankheiten weiterhin keine Chance.“
Über die Wirksamkeit der einzelnen Komponenten von AHA+L lässt sich trefflich streiten,. Ich halte die Kontaktvermeidung, die Unterlassung direkter menschlicher Kontakte außerhalb der Kernfamilien und Wohngemeinschaften, für die entscheidende und in der Tat außerordentlich wirksame Maßnahme gegen die Verbreitung von übertragbaren Krankheiten.
Übertragbare Krankheiten fordern jährlich einen hohen Preis, den wir bisher schicksalsergeben zahlten. Erst 2019 sind wir aufgewacht und haben festgestellt, dass der Preis zu hoch ist.
In der Berliner Morgenpost wurde am 11.07.2018 der damals noch schlafenden Öffentlichkeit ein Artikel von Laura Rethy präsentiert, sein Titel: „Lungenentzündung: 30.000 Tote jedes Jahr in Deutschland“. „Seit 70 Jahren unverändert“ würden in Deutschland jährlich etwa 750.000 Menschen an einer Lungenentzündung erkranken, 300.000 müssten deswegen in einem Krankenhaus stationär behandelt werden und – wie betitelt – 30.000 Menschen würden daran versterben. Die Letalität beträgt demnach 4% bezüglich aller ambulant erworbenen (englisch: „community acquired – in der Sozialgemeinschaft erworbenen) Pneumonien und sogar 10% der schwereren Fälle, die einer stationären Behandlung bedürfen. Für die Unhaltbarkeit dieser Zustandes hätten die Weckrufe von Herrn Wieler 2018 noch kein Gehör gefunden.
In den ersten 12 Monaten wird Covid-19 in Deutschland diese Schreckenszahlen mit ungefähr 80.000 Patienten, die einer intensivmedizinischen Behandlung unterzogen werden mussten, und fast 70.000 Todesopfern noch weit übertrumpfen.
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