Ausland
„Impfnachweise auf Papier sind völlig veraltet“
Mittwoch, 24. Februar 2021
Berlin – Fluglinien, Hotels oder Restaurants steht es frei, eine Impfung gegen COVID-19 zur Zutrittsvoraussetzung zu machen. Mit der wachsenden Zahl an Geimpften stellt sich zunehmen die Frage, wie der Nachweis über die Impfung möglichst fälschungssicher aber ohne großen logistischen Aufwand erbracht werden kann.
Das Bundesgesundheitsministerium hat für Deutschland nun einen digitalen Impfnachweis angekündigt, der gegen Ende des zweiten Quartals zur Verfügung stehen soll – als freiwillige Ergänzung zum gelben Impfpass aus Papier. Welche Daten der Nachweis genau enthalten soll, ist noch unklar. Eine zentrale Erfassung, wer schon geimpft wurde, ist nicht geplant.
Eine ganz andere Herangehensweise, die komplett ohne personalisierte Daten auskommt, haben die britischen Unternehmen iProov und Mvine gewählt. Die Experten für Gesichtsverifikation und Identitätsmanagementlösungen haben von der Regierung eine Förderung von umgerechnet 87000 Euro erhalten, um einen digitalen Impfnachweis zu entwickeln.
Andrew Bud, Gründer und CEO, hat dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) erklärt, wie das System funktioniert und warum es in Deutschland wahrscheinlich keine Anwendung finden würde.
5 Fragen an Andrew Bud, Gründer und CEO von iProov
DÄ: Welche Informationen muss ein Impfnachweis Ihrer Meinung nach enthalten?
Andrew Bud: Zunächst ist es wichtig, zwischen einem Impfpass und einem Impfzertifikat zu unterscheiden. Ein Impfpass enthält zahlreiche Informationen wie Namen, Geburtsdatum, Personalausweisnummer. Ein Impfzertifikat kann sehr viel privater gehalten werden. Es muss nur belegen, dass eine Person eine bestimmte Impfung erhalten hat, alle anderen zusätzlichen Informationen sind irrelevant. Unsere Version enthält nur zwei Komponenten, ein validiertes Zertifikat, das kann ein QR-Code sein oder auch nur eine Zahlenabfolge, und ein biometrisches Bild für eine anonyme Gesichtsverifikation. Sonst nichts. Dieses hohe Maß an Privatsphäre reduziert die Sorgen um die Sicherheit von Daten.
DÄ: Wie genau soll das funktionieren?
Bud: Jeder der gegen COVID-19 geimpft wird, erhält einen QR-Code oder eine Zahlenabfolge, die mit einem biometrischen Bild des Geimpften verknüpft werden. Die Codes liegen in einer Cloud, also einem Datenspeicher im Internet, auf den jeder mit einem mobilen Gerät über eine App zugreifen kann. Die anonymen biometrischen Bilder liegen getrennt davon auf unseren Servern, da wir die Technologie beisteuern, die die tatsächliche Anwesenheit der Person feststellt.
Wenn nun ein Geimpfter ein Restaurant besuchen möchte, das einen Impfnachweis verlangt, kann er oder sie den QR-Code scannen lassen oder den Zahlencode angeben. Das Restaurant wiederum kann dann über die App mit jedem beliebigen Smartphone den Code eingeben und wird dann aufgefordert, mit der Kamera des Telefons das Gesicht der Geimpften zu scannen. Die Bilderverifikationssoftware bestätigt dann, dass das Zertifikat zu dem Gesicht gehört und der Impfnachweis ist erbracht.
DÄ: Die meisten Länder arbeiten derzeit immer noch mit Impfnachweisen auf Papier. Befürworter argumentieren, dass diese Lösung schneller umzusetzen und einfacher zu handhaben ist, zum Beispiel für ältere Menschen. Sind digitale Impfzertifikate also wirklich für alle Bürger die beste Lösung?
Bud: Wir leben im 21. Jahrhundert, Papierlösungen sind völlig veraltet, da sie völlig ungeschützt und leicht zu fälschen sind, was in einigen Ländern gerade auch schon passiert.
Ältere Menschen können sich die Zahlencodes beispielsweise in einem Notizbuch aufschreiben, man braucht dafür kein Smartphone. Mit digitalen Lösungen, die technische Geräte voraussetzen oder nur auf den neuesten Modellen funktionieren, kreiert man eine Zweiklassengesellschaft. Das wollten wir vermeiden.
Die Implementierung in ein Gesundheitssystem ist der schwerste Teil der Entwicklung, nicht die Technik selbst. Für uns ist nun der nächste Schritt, zu testen, ob unser Produkt dem bürokratischen System standhält. Dabei muss sich etwa zeigen, ob die Anwendung allen juristischen Vorgaben entspricht, sich mit den Gesundheitsdaten vereinbaren lässt oder nicht diskriminierend ist.
Dafür arbeiten wir mit mehreren Organisationen zusammen, die das Zertifikat in der Praxis testen werden, zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr. Wir haben im Januar mit unserer Testphase begonnen und werden voraussichtlich Ende März den entscheidenden Punkt erreichen, an dem theoretisch jederzeit ein nationaler Start möglich wäre.
Bisher hat die Regierung in Großbritannien aber noch nicht entschieden, ob ein nationales digitales Impfzertifikat eingeführt wird und ob die Menschen dadurch bestimmte Freiheiten erhalten. Wir können nur die Technik liefern, über die ethischen und sozialen Aspekte entscheidet letztlich die Gesellschaft.
DÄ: Würden digitale Impfzertifikate denn überhaupt in jedem Land funktionieren?
Bud: Nein. Es ist absolut entscheidend, auf welchem Weg die Gesundheitsinformationen zugänglich sind. In Großbritannien werden beispielsweise alle wichtigen Informationen vom National Health Service (NHS) zentral gespeichert. Die persönlichen Gesundheitsdaten jedes Nutzers sind auch über eine App mit Gesichtsverifikation zugänglich. Die dort hinterlegten Bilder könnten auch für das Impfzertifikat genutzt werden.
In Großbritannien sind zudem bereits jetzt über 20 Millionen Menschen geimpft worden. Die Information wird vom NHS zentral erfasst. Sollte Großbritannien sich für das digitale Impfzertifikat entscheiden, könnten die erforderlichen Codes von dort an diejenigen ausgespielt werden, die bereits geimpft wurden.
aerzteblatt.de
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Eine andere Lösung wäre, dass sich bereits Geimpfte den Code bei ihrem Arzt abholen, der ebenfalls digital einsehen kann, wer bereits eine Impfung erhalten hat. In Gesundheitssystemen, in denen die wichtigen Informationen bislang nur auf Papier vorliegen, würde all das nicht funktionieren.
DÄ: In Europa sind nur die wenigsten Gesundheitssysteme digital so weit fortgeschritten. Muss letztendlich jedes Land ein individuelles System entwickeln, das zum eigenen Gesundheitssystem passt?
Bud: Das wäre fatal. Impfzertifikate müssen auch grenzübergreifend funktionieren. Wenn nun alle Länder untereinander jeweils bilaterale Absprachen entwickeln, entsteht ein völliges Chaos. Auch die Europäische Union hat zunächst in diese Richtung gearbeitet. Ich hoffe, dass hier noch eingelenkt wird.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO arbeitet derzeit an einem internationalen Standard für eine digitale Version des Impfpasses. Dieser Standard soll noch in der ersten Hälfte dieses Jahres fertig sein. Jedes Land der Welt kann dann Unternehmen damit beauftragen, nationale Anwendungen auf Basis dieses Standards zu entwickeln, damit die Zertifikate weltweit abgerufen werden können. © alir/aerzteblatt.de

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