Politik
Pflege: Weg zur berufspolitischen Selbstbestimmung bleibt lang
Dienstag, 23. Februar 2021
Berlin – Der Fachkräftemangel in der Pflege wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter vergrößern. Er bleibt das zentrale Thema. Darauf hat gestern die Bundespflegekammer (BPK) vor Journalisten in Berlin hingewiesen.
„In den nächsten zehn bis zwölf Jahren werden etwa 500.000 Pflegefachpersonen in Deutschland das Renteneintrittsalter erreichen. Das sind 40 Prozent der Berufsangehörigen“, erklärte Franz Wagner, Mitglied des BPK-Präsidiums und Präsident des Deutschen Pflegerates (DPR). Hinzu komme, dass man infolge des demografischen Wandels künftig noch mehr Pflegefachpersonen brauchen werden als heute.
Markus Mai, Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz und ebenfalls Mitglied im BPK-Präsidium, lobte, dass die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode einiges auf den Weg gebracht habe, um die Situation in der Pflege zu verbessern. „Es wird aber noch viel Zeit brauchen, bis diese Maßnahmen Früchte tragen“, sagte Mai.
Mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz hat die Bundesregierung zum Beispiel die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den DRGs beschlossen. Und in der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) sind zahlreiche Maßnahmen vorgesehen, von der Erhöhung der Ausbildungsplätze um zehn Prozent bis zur Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags für die Pflege. An vielen Stellen gehe es derzeit aber nicht beziehungsweise nicht konsequent genug weiter, bemängelte Wagner.
Viele Pflegefachpersonen erreicht man nicht online
„Es wird ein langer Weg sein, den wir gehen müssen, um die Probleme in der Pflege und den Pflegemangel zu beheben“, sagte Mai. „Aber wir müssen diesen Weg gehen.“ Und dafür sei eine Bundespflegekammer unerlässlich. Die BPK wurde 2019 gegründet. Mitglieder sind die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, die Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein, die Pflegekammer Niedersachsen sowie der DPR.
Sowohl in Niedersachsen als auch in Schleswig-Holstein gab es nach der Gründung der Pflegekammern Diskussionen unter den Mitgliedern über die erhobenen Pflichtbeiträge. In Niedersachsen hat die Landesregierung daraufhin im vergangenen Jahr eine Online-Umfrage unter den Mitgliedern der Pflegekammer Niedersachsen durchgeführt.
Dabei sprachen sich 70,6 Prozent gegen deren Fortbestand aus und 22,6 Prozent dafür. Deshalb hat die Landesregierung die Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen beschlossen. Allerdings lag die Wahlbeteiligung bei der Umfrage bei 19 Prozent.
„Die meisten Pflegefachpersonen erreicht man online nicht“, erklärte Mai. „Wenn wir wichtige Unterlagen an unsere Mitglieder versenden, schicken wir sie mit der Post.“ Nur etwa 30 Prozent der Mitglieder könnten in Rheinland-Pfalz online erreicht werden.
Abstimmung in Schleswig-Holstein
Auch in Schleswig-Holstein läuft derzeit eine Abstimmung über den Fortbestand der Pflegeberufekammer unter deren Mitgliedern. „Ursprünglich gab es in Schleswig-Holstein einen Landtagsbeschluss zur Errichtung der Pflegeberufekammer, der deren Notwendigkeit nicht infrage stellte“, erklärte die Präsidentin der Kammer, Patricia Drube.
Infolge der Diskussion über die verpflichtenden Kammerbeiträge habe sich die – nach der Wahl 2019 neu zusammengesetzte – Landesregierung dazu entschlossen, eine nachträgliche Anschubfinanzierung zu bewilligen. „Diese hat sie aber mit einer Abstimmung über die Zukunft der Kammer verknüpft“, so Drube.
„Die Mitglieder der Kammer können sich dabei zwischen zwei Alternativen entscheiden: Entweder sie wollen den Fortbestand der Kammer inklusive Pflichtmitgliedschaft oder sie wollen keine Pflegeberufekammer.“ Bis zum 1. März können die Kammermitglieder noch ihre Stimme abgeben. Drube geht davon aus, dass am 25. März das Umfrageergebnis vorliegen wird.
Drube erklärte auch, weshalb die Pflegekammern von manchen Akteuren im Gesundheitswesen abgelehnt würden. „Insbesondere Verdi hat die Sorge, dass die Pflegefachpersonen, die bei ihnen Mitglieder sind, aus der Gewerkschaft austreten, wenn sie Pflichtmitglieder in einer Pflegekammer werden“, sagte sie.
Darüber hinaus hätten natürlich auch Arbeitgeberverbände in der Altenhilfe ein Interesse daran, dass sich Pflegefachpersonen nicht in Kammern organisieren, da sie ihre Interessen verfolgten, dass die Pflege nicht zu teuer werde.
Einstiegsgehalt von 4.000 Euro
Der Gewerkschaft Verdi sei es bislang allerdings nicht gelungen, angemessene Gehälter für Pflegekräfte in Tarifverträgen zu verhandeln, so Drube. „Natürlich ist das nicht einfach, weil eine Gewerkschaft verschiedene Berufsgruppen in einer Einrichtung vertritt. Dazu kommt, dass eine Gewerkschaft nur hohe Tarife verhandeln kann, wenn es in der Gesellschaft ein Klima der Wertschätzung für diese Berufsgruppe gibt.“
Dennoch seien die Gehälter in dem Tarifvertrag, den Verdi im vergangenen Jahr mit der neu gegründeten Arbeitgebervertretung Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) verhandelt hat, nicht ausreichend, so Drube.
Die Mindestentgelte für Pflegefachpersonen liegen dem Tarifvertrag zufolge bei 16,10 Euro. Sie sollen bis zum 1. Juni 2023 auf 18,75 Euro ansteigen. Damit kämen Pflegefachpersonen bei einer 39-Stunden-Woche auf ein Gehalt von 3.180 Euro.
Drube forderte hingegen ein Einstiegsgehalt von mindestens 4.000 Euro. Zudem sei es mit dem Vertrag nicht gelungen, den Gehaltsunterschied zwischen Kranken- und Altenpflege auszugleichen.
„Das ist in Zeiten einer generalistischen Ausbildung nicht nachvollziehbar“, sagte Drube. Sie verwies auf die Pflegegewerkschaft Bochumer Bund, die sich im vergangenen Jahr gegründet hat und der es als Berufsgewerkschaft eher gelingen könne, berufsspezifische Tarifverträge zu verhandeln.
Mai betonte, dass er sich künftig einen Dreiklang aus Pflegekammern, Fachgesellschaften und Gewerkschaften in der Pflege wünsche. „Die müssen nicht alle immer derselben Meinung sein. Sie müssen aber alle das Ziel vertreten, die Gesamtsituation in der Pflege zu verbessern“, sagte er.
Pflegekammer Nordrhein-Westfalen kommt
Wagner betonte, dass es im Gegensatz zu manchen Bundesländern in der Bundespolitik überhaupt keine Legitimationsprobleme für die Pflegekammern gebe. „Die Bundespolitik hat die Bundespflegekammer sofort positiv aufgenommen“, erklärte er. Zu den Aufgaben der BPK zählte er unter anderem die Harmonisierung von Berufsordnungen, Weiter- und Fortbildungen.
Wagner erklärte, dass das Ausscheiden der Pflegekammer Niedersachsen die Arbeit der Bundespflegekammer nicht verändern werde. Zudem komme im nächsten Jahr mit der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen (NRW) ein neues Mitglied der BPK hinzu.
„In NRW hat der Errichtungsausschuss der Pflegekammer bis 2022 Zeit, um die Mitglieder zu registrieren und die Wahl der Kammerversammlung vorzubereiten“, sagte Wagner. „Hier gibt es von Anfang an eine Anschubfinanzierung des Landes und auch eine tatkräftige Unterstützung der Landespolitik.“ Zudem befindet sich derzeit in Baden-Württemberg eine Landespflegekammer in der Phase der Errichtung.
„Wir wünschen uns, dass wir in dieser Dekade dahin kommen, dass es in möglichst allen Bundesländern eine Pflegekammer geben wird“, erklärte Mai. © fos/aerzteblatt.de

Ein altes Sprichwort....

Nachrichten zum Thema



Leserkommentare
Um Artikel, Nachrichten oder Blogs kommentieren zu können, müssen Sie registriert sein. Sind sie bereits für den Newsletter oder den Stellenmarkt registriert, können Sie sich hier direkt anmelden.