NewsMedizinSARS-CoV-2: Rasche Ausbreitung in Manaus deutet auf hohe Aggressivität der Linie P.1 hin
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...

Medizin

SARS-CoV-2: Rasche Ausbreitung in Manaus deutet auf hohe Aggressivität der Linie P.1 hin

Freitag, 5. März 2021

/Happyphotons, stock.adobe.com

São Paulo – Die brasilianische Linie P.1, die in der Stadt Manaus im Amazonas innerhalb weniger Wo­chen eine erneute schwere Epidemie ausgelöst hat und mittlerweile in 18 weiteren Ländern nachge­wie­sen wurde, könnte die bisher gefährlichste Variante von SARS-CoV-2 sein.

Britische und brasilianische Forscher schätzen in einer auf Github vorveröffentlichten Studie, dass die P.1-Linie deutlich anstec­k­ender ist, sich häufiger einer Immunität entzieht und möglicherweise auch zu tödlicheren Verläufen von COVID-19 führt.

Die zweite Welle von COVID-19 in Manaus hat die Epidemiologen überrascht. Eine Seroprävalenzstudie an Blutspendern hatte im Sommer ergeben, dass mehr als 2/3 der Bevölkerung Antikörper gegen SARS-CoV-2 haben, was einen weiteren Ausbruch wenn nicht verhindern, so doch deutlich abschwächen sollte. Dennoch kam es ab Dezember erneut zu einer schweren Epidemie, die die Stadt noch härter traf als die erste Epidemie im Frühjahr 2020.

Die Ursache blieb zunächst unklar, weil von den mehr als eine halbe Million in GISAID gesam­mel­ten Genomsequenzen von SARS-CoV-2 gerade einmal 7 aus Manaus kamen. Ein Team um Ester Sabino von der Universität São Paulo hat deshalb zusammen mit britischen Forschern weitere 184 Genome teil­weise oder komplett sequenziert, um sich ein genaueres Bild über die Herkunft und die Ausbreitung von P.1 zu verschaffen.

Die Forscher haben außerdem die Ergebnisse von Abstrichen aus Manaus ausgewertet. Die Zahl der PCR-Zyklen bis zu einem Nachweis der Virusgene liefert indirekte Hinweise auf die Viruslast der Infizierten. Je geringer der Ct-Wert, desto mehr Viren sind im Abstrich und deshalb vermutlich auch in Nasopharyn­gealraum der Infizierten vorhanden.

Die Genomanalysen bestätigen, dass P.1 ein genetisch stark verändertes Virus ist. Die Abweichungen zu der nächst verwandten Variante in GISAID betreffen 17 Aminosäuren (davon allein 10 im Spikeprotein), 3 Deletionen, 4 synonyme Mutationen (ohne Veränderung der Aminosäuren, also harmlos) und eine Inser­tion von 4-Nukleotiden.

Eine Stammbaumanalyse ergab, dass P.1 (zusammen mit einer weiteren Variante P.2) vermutlich aus dem Stamm B.1.1.28 entstanden ist, der im März 2020 zuerst in Brasilien nachgewiesen wurde. Das „Geburts­datum“ von P.1 schätzen die Forscher etwa auf den 6. November. In nur 7 Wochen stieg der Anteil von P.1 an allen in Manaus isolierten SARS-CoV-2 von 0 auf 87 %.

Gleichzeitig kam es zu einem Rückgang der Ct-Werte um den Faktor 1,43 und 1,91 für die beiden im PCR-Test gesuchten Genabschnitte. Die 95-%-Konfidenzintervalle sind hier relativ weit (0,17-2,60 und 0,49-3,23), so dass vorerst nur von einem Trend gesprochen werden kann. Derzeit ist nicht sicher, ob eine P.1-Infektion mit einer erhöhten Viruslast oder einer längeren Infektionsdauer einhergehe, schrei­ben die Autoren. Dass P.1 für den raschen Anstieg der Infektionen in Manaus verantwortlich ist, steht für Sabino und Mitarbeiter jedoch außer Zweifel.

Die Forscher schätzen, dass P.1 in Manaus zwischen 1,4- und 2,2-fach leichter übertragen wird als ande­re Varianten und sich zu 25 % bis 61 % einer früheren Immunität entzieht. Dies würde die schnelle Aus­breitung in einer beinahe herdenimmunen Bevölkerung erklären. Einen natürlichen Rückgang der Immu­ni­tät als alternative Erklärung für die zweite Welle schließen die Forscher aus.

Auch die Zahl der täglichen Todesfälle ist in Manaus rasch gestiegen. Nach den Berechnungen von Sa­bino könnte die Sterblichkeit bei einer Infektion mit P.1. 1,1- bis 1,8-fach höher sein als normalerweise bei COVID-19. Zu bedenken ist hierbei, dass das Gesundheitssystem in Manaus in der zweiten Welle er­neut zusammengebrochen ist. Es ist deshalb unklar, ob das erhöhte Mortalitätsrisiko auf P.1 oder auf die Belastung des Gesundheitssystems durch die zweite Welle zurückzuführen ist.

Die Forscher führen die erhöhte Aggressivität von P.1. auf 3 der 10 Mutationen im Spikegen zurück: Zwei Mutationen, N501Y und K417T, befinden sich an der Stelle, die direkt mit dem ACE2-Rezeptor intera­giert. Veränderungen hier können den Viren den Eintritt in die Zellen erleichtern und damit die Infektio­si­tät erhöhen. Die 3. Mutation, E484K, verändert die Spitze des Spikeproteins, der ein häufiger Angriffs­punkt von neutralisierenden Antikörpern ist. Die Veränderungen könnten deshalb für das „Immun-Es­cape“ verantwortlich sein.

Bemerkenswerterweise sind alle 3 Mutationen auch in der südafrikanischen B.1.351-Variante vorhanden, N501Y ist auch in der britischen Variante B.1.1.7 vorhanden. Dies spricht gegen eine stärkere Aggres­sivität von P.1 gegenüber den beiden anderen „Variants of Concern“. Entscheidend dürfte die weitere Aus­breitung der Linie P.1. sein, die bereits in 19 Ländern (aber bisher nicht in Deutschland) aufgetreten ist mit bisher 429 registrierten Fällen. © rme/aerzteblatt.de

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.
Avatar #703466
agnes.schneider
am Freitag, 5. März 2021, 18:50

P.1. ist in Deutschland bereits aufgetreten

Laut RKI bereicht „VOC“ vom 03.03.2021 ist die Variante bereits in Deutschland nachgewiesen worden:
„ Durch Genomanalysen konnte in Deutschland der Nachweis für sämtliche international bekannten Virusvarianten von SARS-CoV-2 geführt werden, u.a. auch für die VOC B.1.351 (n=53), sowie für die VOC P.1 (n=3)“

Quelle: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/DESH/Bericht_VOC_2021-03-03.pdf?__blob=publicationFile
LNS
VG WortLNS LNS

Fachgebiet

Stellenangebote

    Weitere...

    Aktuelle Kommentare

    Archiv

    NEWSLETTER