Medizin
Lautäußerungen von Babys sind hochkomplex
Freitag, 30. April 2021
Würzburg – In den ersten Lebensmonaten schreien, lallen und brabbeln Babys bekanntlich viel. Wissenschaftler um Kathleen Wermke vom Universitätsklinikum Würzburg zeigen jetzt, dass die Komplexität dieser vorsprachlichen Lautäußerungen in den ersten Lebensmonaten rasch zunimmt. Ihre Arbeit ist in der Fachzeitschrift Scientific Reports erschienen (2021; DOI: 10.1038/s41598-021-83564-8).
„Jede Sprache ist durch spezifische musikalische Elemente charakterisiert, die wir als Prosodie bezeichnen“, erläutert Wermke. Sie ist Professorin an der Poliklinik für Kieferorthopädie und leitet dort das Zentrum für vorsprachliche Entwicklung und Entwicklungsstörungen.
Frühere Studien habe laut den Wissenschaftlern gezeigt, dass schon Neugeborene dazu in der Lage sind, verschiedene Sprachen zu unterscheiden, insbesondere anhand der Sprachmelodie.
Gemeinsam mit Wissenschaftlern aus den USA und aus Neuseeland hat Wermke für die Studie die Lautäußerungen von 277 Säuglingen während der ersten 6 Lebensmonate genauer untersucht. Insgesamt hat das Team dabei mehr als 67.500 Schreilaute – das sogenannte Hungerweinen, Gurr- und Brabbellaute analysiert. Sie unterschieden dabei 2 Arten von Lautäußerungen bei Babys: sogenannte Schrei- und Nicht-Schrei-Vokalisationen. Erstere resultieren aus einem Unwohlsein wie Hunger, Letztere sind Laute, die ein Baby von sich gibt, wenn es sich wohlfühlt und lautlich interagiert.
Die Auswertung zeigte, dass die Melodien spontaner Schreie während der ersten 180 Lebenstage immer komplexer werden, die Grundlage für den Variantenreichtum späterer Intonationsmuster in der Sprache also bereits im Weinen gelegt wird. Vergleichbar war die Entwicklung bei Lautäußerungen, die unter die Kategorie der „Komfortvokalisationen“ fallen. Auch bei ihnen nahm der Grad an Komplexität zu, allerdings mit einem zeitweiligen Rückgang im Alter von etwa 140 Tagen.
Dafür haben die Wissenschaftler eine Erklärung: „In dieser Zeit erweitern Säuglinge ihr Repertoire an Lautäußerungen um neue Bestandteile, die mit der gesamten melodischen Kontur interagieren, nämlich vokal- und konsonantenähnliche Elemente“, so Wermke. Gleichzeitig veränderten sich Kehlkopf und Stimmtrakt, was eine Reihe von Anpassungsprozessen bei der Lautproduktion nach sich ziehe. Darüber hinaus begännen Babys in dieser Phase damit, erste Silbenkombinationen beim Lallen und Brabbeln zu produzieren.
„Diese neue Entwicklungsperiode bewirkt offenbar eine vorübergehende Regression in der Melodieentwicklung, um die vokale Entwicklung auf einer höheren Hierarchieebene zu etablieren“, heißt es dazu in der Studie. Im Anschluss daran beginnt der Säugling, Intonationsmuster der ihn umgebenden Sprache – oder Sprachen – in Konsonant-Vokal-Silbenfolgen beim Lallen zu imitieren.
„Das Wissen über diesen Entwicklungsprozess wird es uns ermöglichen, klinisch robuste Risikomarker für Sprachentwicklungsstörungen zu identifizieren“, zieht Werke ein Fazit. © hil/aerzteblatt.de
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