Medizin
Sichelzellanämie: Leukämieverdacht durch Gentherapie hat sich nicht bestätigt
Freitag, 12. März 2021
Cambridge/Massachusetts – Die Gentherapeuten und ihre Patienten können aufatmen. Eine Leukämieerkrankung, die bei einem Patienten 5 Jahre nach der Gentherapie einer Sichelzellanämie aufgetreten war, ist nach einer genauen genetischen Analyse der Krebszellen nicht auf das in der Behandlung eingesetzte Lentivirus zurückzuführen. Auch bei einem 2. Patienten, der nach der Behandlung an einem myelodysplastischen Syndrom erkrankte, ist ein Zusammenhang unwahrscheinlich.
Die meisten Gentherapien nutzen Viren, um die intakte Version eines Gens in die Zellen zu schleusen. Monogenetische Erkrankungen, zu denen auch die Sichelzellanämie oder die Thalassämien gehören, lassen sich auf diese Weise heilen. Damit die Behandlung von dauerhafter Wirkung ist, werden Retroviren benutzt. Diese Viren integrieren ihre Gene in die Chromosomen der Zellen. Dadurch wird erreicht, dass die Gene lebenslang abgerufen werden.
Die Verwendung von Retroviren kann zu einem Risiko werden, wenn die Gene an einer „falschen“ Stelle in die DNA eingebaut werden und wenn dadurch Gene aktiviert werden, die ein unkontrolliertes Zellwachstum verursachen. Dies war vor 18 Jahren in einer Studie zur Behandlung der erblichen Immunschwächekrankheit SCID-X1 geschehen. Nachdem es zu mehreren Leukämien gekommen war, musste die Studie abgebrochen werden. Die Gentherapie wurde damals um Jahre zurückgeworfen.
Inzwischen werden bei den meisten Gentherapien Lentiviren verwendet. Sie werden als sicher eingestuft, und in der klinischen Anwendung ist es bisher nicht zu Leukämien gekommen. Auch die Gentherapie der Thalassämie, die im letzten Jahr (als Zynteglo) in Europa zugelassen wurde, verwendet ein Lentivirus. Der Hersteller Bluebird Bio aus Cambridge/Massachusetts testet derzeit in klinischen Studien eine weitere Gentherapie, die eine Sichelzellanämie kurieren soll.
Im Rahmen der klinischen Prüfung ist es innerhalb kurzer Zeit zu zwei Zwischenfällen gekommen. Zunächst war ein Studienteilnehmer, dessen Behandlung bereits 5 Jahre zurücklag, an einer akuten myeloischen Leukämie erkrankt. Dann wurde bekannt, dass ein anderer Patient ein akutes myelodysplastisches Syndrom entwickelt hatte, das eine Vorstufe der Leukämie ist.
Der Hersteller brach daraufhin die klinischen Studien zur Sichelzellanämie ab. Der Verkauf von Zynteglo in Europa wurde gestoppt. Bei den beiden Patienten wurden genetische Untersuchungen an den Krebszellen veranlasst, um die Stelle zu finden, an denen sich das Lentivirus BB305 ins Erbgut integriert hat.
Der Hersteller teilt jetzt mit, dass die Retrovirusgene in der Nähe des Gens VAMP4 gefunden wurden. VAMP4 enthält die Information für das „Vesicle-associated membrane protein 4“. Es ist ein Bestandteil von Synapsen im Gehirn. Ein Zusammenhang mit einer Leukämie lässt sich nicht herstellen. Die Leukämie war bei dem Patienten vermutlich durch Mutationen in den RUNX1- und PTPN11-Genen ausgelöst worden, die sich an anderen Stellen des Erbguts befinden.
Der Hersteller geht deshalb davon aus, dass die Krebserkrankung nicht in einem Zusammenhang mit der Gentherapie steht. Bluebird Bio hat deshalb bei der FDA die Fortsetzung der Studien zur Sichelzellanämie beantragt. Der Pharmakovigilanzausschuss der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) prüft dieser Tage, ob der Vertrieb von Zynteglo wieder aufgenommen werden kann.
Auch die 2. Erkrankung scheint nicht mit der Gentherapie in Verbindung zu stehen. Die Diagnose war wegen einer längeren Anämie gestellt worden in Verbindung mit einer Trisomie 8 in einem kleinen Prozentsatz der Knochenmarkzellen des Patienten. Bei einer Überprüfung wurden jedoch keine Blasten oder dysplastischen Zellen gefunden, die zum Ausgangspunkt einer Leukämie werden könnten.
Die Trisomie 8 ist zwar mit myeloischen Malignitäten assoziiert, der isolierte Befund reicht allerdings für die Diagnose eines myelodysplastischen Syndroms nicht aus. Die Firma geht deshalb davon aus, dass es sich bei dem 2. Patienten um einen Fehlalarm gehandelt hat. © rme/aerzteblatt.de
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