Medizin
SARS-CoV-2: Was tun bei Verdacht auf VITT nach Impfung mit Vaxzevria?
Montag, 12. April 2021
Greifswald und Oslo – Für die seltene Impfkomplikation, die nach der Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff AZD1222 (Vaxzevria) aufgetreten ist, schlagen 2 Forschergruppen im New England Journal of Medicine (2021; DOI: 10.1056/NEJMoa2104840 und NEJMoa2104882) die Bezeichnung impfstoffinduzierte immune thrombotische Thrombzytopenie (VITT) vor.
Eine Diagnose ist durch den Nachweis von Antikörpern gegen PF4/Heparinkomplexe möglich. In der Behandlung haben die Mediziner gute Erfahrungen mit der Gabe von intravenösen Immunglobulinen gemacht.
Noch ist unklar, warum in seltenen Fällen vorher meist kerngesunde jüngere Menschen 5 bis 20 Tage nach einer Impfung mit AZD1222 an ungewöhnlichen venösen Thrombosen erkranken. Die Tatsache, dass es bei den Patienten gleichzeitig zu einem Abfall der Thrombozyten kommt, hat den Verdacht auf eine heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) gelenkt – nur dass die Patienten in der Regel vorher kein Heparin erhalten hatten.
Heparin ist allerdings nicht der einzige Auslöser einer HIT. In den letzten Jahren wurden weitere „Trigger“ entdeckt, die eine prothrombotische Störung auslösen können, die die serologischen und klinischen Zeichen einer HIT aufweisen, schreiben Andreas Greinacher von der Universität Greifswald und Mitarbeiter in ihrem Beitrag. Dazu gehören bestimmte Arzneimittel wie Pentosanpolysulfat oder hypersulfatiertes Chondroitinsulfat. Diese Wirkstoffe sind ebenso wie Heparin polyanionisch, also stark negativ geladen. Aber auch virale und bakterielle Infektionen oder die Implantation eines Kniegelenks seien als Auslöser einer „spontanen“ HIT beschrieben worden.
Nach Einschätzung der Arzneimittelbehörden (EMA und MHRA) kann in seltenen Fällen auch der Impfstoff AZD1222 eine thrombotische Thrombozytopenie auslösen. Bei AZD1222 ist das Gen für das Spikeprotein von SARS-CoV-2 in einem Adenovirus von Schimpansen verpackt. Nach der Gabe der beiden mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna ist diese Komplikation bisher nicht beschrieben worden.
Bei diesen Impfstoffen sind die Gene in Lipidnanopartikeln enthalten. Es liegt deshalb nahe, die Adenoviren als Verursacher für die offensichtliche Immunreaktion zu vermuten. Es sei zwar bekannt, dass Adenoviren an Thrombozyten binden und diese aktivieren können, schreiben die Forscher. Die geringe Menge der Viren und der zeitliche Abstand der Komplikation, die 1 bis 2 Wochen nach der Impfung auftritt, würden eine Auslösung der Reaktion durch die Adenoviren jedoch unwahrscheinlich machen. Die Experten vermuten, dass möglicherweise freie DNA aus dem Impfstoff der Trigger ist. Das ist allerdings nur eine Hypothese.
Fest steht, dass bei allen Patienten, bei denen danach gesucht wurde, Antikörper gegen PF4/Heparinkomplexe gefunden wurden. Die Komplexe aus dem Plättchenfaktor 4 (PF4) und dem Antikoagulans Heparin sind der Auslöser der HIT. Das Immunsystem erkennt sie als fremd und greift sie mit Antikörpern an. Die Immunreaktion ist für die Thrombosen bei gleichzeitigem Zerfall der Thrombozyten verantwortlich.
Die Forscher raten deshalb den Ärzten in klinischen Verdachtsfällen, einen ELISA-Test zum Nachweis von Antikörpern gegen PF4/Heparinkomplexe durchzuführen. Diese Tests würden auch zur Diagnose der HIT eingesetzt und seien deshalb breit verfügbar. Zur Bestätigung könnten spezielle Tests durchgeführt werden, in denen geprüft wird, ob die Antikörper tatsächlich in der Lage sind, die Thrombozyten zu aktivieren.
Zur Behandlung empfiehlt das Team um Greinacher die hochdosierte intravenöse Gabe von Immunglobulinen mit dem Ziel die Thrombozytenaktivierung zu hemmen. Diese Behandlung habe sich in der HIT bewährt, wo es zu einem raschen Anstieg der Thrombozytenzahl kommen kann. Eine weitere Option ist eine Antikoagulation, die häufig auch bei der HIT eingesetzt würde.
Bei der Gabe von Thrombozytenkonzentration raten die Experten wegen eines theoretischen prothrombotischen Risikos zur Zurückhaltung. Die Behandlung sollte auf Patienten beschränkt werden, bei denen es bereits zu Blutungen gekommen ist. Vitamin K-Antagonisten seien bei einer akuten Thrombozytopenie und einer disseminierten intravaskulären Koagulation kontraindiziert.
Über gute Erfahrungen mit hochdosiertem intravenösen Immunglobulinen berichtet auch ein Team Pål Holme vom Rikshospitalet in Oslo. In Norwegen wird AZD1222 vor allem beim Gesundheitspersonal eingesetzt. Bis zum 20. März waren unter 132.686 Personen, die eine 1. Dosis erhalten hatten, 5 Fälle einer VITT aufgetreten. Wie in Deutschland wurden bei allen Patienten mit VITT Antikörper gegen PF4-Polyanionkomplexe in größerer Menge nachgewiesen, so dass auch Holme von einer HIT-ähnlichen Pathogenese ausgeht. Ab dem 2. Patienten wurden alle mit intravenösem Immunglobulin behandelt.
Atypische Gerinnungsstörungen nach COVID-19-Impfung: Vorgehen bei Hirnvenenthrombose
Wenn sich derzeit vermehrt Patienten mit Angst vor Sinusvenenthrombosen und unspezifischen Symptomen vorstellen, geht es nicht zuletzt darum, unnötige Überdiagnostik zu vermeiden. Die in zeitlichem Zusammenhang mit einer COVID-19-Impfung aufgetretenen Hirnvenenthrombosen mit systemischen Gerinnungsstörungen haben viele Menschen erheblich verunsichert. Während in anderen Ländern die
Bei diesen 4 Patienten kam es nach der Behandlung zu einem raschen Anstieg der Thrombozyten, der aber für 2 der 4 Patienten zu spät kam. Sie starben an den Folgen der schweren Hirnschädigung. Die anderen beiden Patienten erholten sich von den schweren Thrombosen, die sich unter der gleichzeitigen Behandlung mit niedermolekularem Heparin (in einer reduzierten Dosis) zurückbildeten. Die Patienten wurden außerdem niedrigdosiert mit Steroiden behandelt.
Laut dem Paul-Ehrlich-Institut sind bis zum 2. April nach 2.945.125 Impfungen mit AZD1222 (Vaxzevria) 42 Fälle einer zentralen Venen-/Sinusvenenthrombose gemeldet worden. Eine Thrombozytopenie wurde in 23 Fällen berichtet (in einem weiteren Fall war kein Laborbefund vorhanden, da die Sinusvenenthrombose erst postmortal festgestellt wurde). © rme/aerzteblatt.de

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