Politik
Coronakrise: Bundeskabinett beschließt Notbremse und Testpflicht in Betrieben
Dienstag, 13. April 2021
Berlin – Das Bundeskabinett hat heute die mit den Ländern besprochenen Machtverschiebungen in der Coronakrise angeschoben. Die Bundesregierung beschloss, Änderungen des Infektionsschutzgesetzes auf den Weg zu bringen. Nun sind Bundestag und Bundesrat gefragt. Schon kurz nach dem Beschluss wurde erste Kritik laut. Die Parteien im Bundestag dürften auf Änderungen drängen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte heute, es sei notwendig auf die Hilferufe der Intensivmediziner zu hören. Die Lage sei weiterhin ernst. Man dürfe Ärzte und Pflegekräfte „nicht alleine lassen mit der Herkulesaufgabe“, so die Kanzlerin. Man müsse Ärzten und Pflegepesonal helfen. Dafür sei eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes notwendig.
Ziel der Reform des Infektionsschutzgesetzes ist eine bessere Eindämmung der Coronapandemie. Vorgesehen sind unter anderem Ausgangsbeschränkungen. So soll von 21 bis 5 Uhr der Aufenthalt außerhalb einer Wohnung oder eines dazugehörigen Gartens im Grundsatz nicht erlaubt sein.
Dies soll nicht gelten, wenn der Aufenthalt etwa der Versorgung von Tieren oder der Berufsausübung dient. Gelten sollen diese und andere Beschränkungen, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die 7-Tage-Inzidenz über 100 liegt. Das bedeutet, dass binnen einer Woche mehr als 100 Neuinfizierte auf 100.000 Einwohner kommen.
Dieser Punkt ist allerdings umstritten. „Im weiteren Verfahren werden wir nochmal intensiv prüfen, dass neben dem Inzidenzwert weitere Kriterien herangezogen werden“, kündigte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese an. Auch die FDP hat Bedenken. „Das Gesetz soll an die nackte Inzidenzzahl als Tatbestand geknüpft sein. Die aber ist unzuverlässig und bildet die Lage vor Ort nicht ausreichend klar ab“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann der Welt.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte, die geplanten Ausgangsbeschränkungen nicht aufzuweichen. Ausgangssperren hätten in Portugal, England und Frankreich eine wichtige Rolle bei der Pandemiebekämpfung gespielt, sagte er der Augsburger Allgemeinen. Studien hätten auch eine klare Wirksamkeit erwiesen.
In einem neuen Paragrafen 28b des Infektionsschutzgesetzes soll ferner festgelegt werden, dass private Zusammenkünfte im öffentlichen oder privaten Raum dann nur gestattet sind, wenn an ihnen höchstens die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person einschließlich dazugehörender Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres teilnehmen. Bei Todesfällen sollen bis zu 15 Personen zusammenkommen dürfen.
Unter anderem dürfen bei einer höheren Inzidenz zudem die meisten Läden und die Freizeit- und Kultureinrichtungen sowie die Gastronomie nicht öffnen. Ausgenommen werden sollen der Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte. Hier sollen Abstand- und Hygienekonzepte gelten.
Die Ausübung von Sport soll nur in Form von kontaktloser Ausübung von Individualsportarten erlaubt sein. Sie sollen allein, zu zweit oder mit den Angehörigen des eigenen Hausstands ausgeübt werden dürfen. Ausnahmen gibt es auch weiter für den Wettkampf- und Trainingsbetrieb der Berufssportler und der Leistungssportler der Bundes- und Landeskader, aber weiter nur ohne Zuschauer.
Geöffnet werden dürfen demnach Speisesäle in medizinischen oder pflegerischen Einrichtungen, gastronomische Angebote in Beherbergungsbetrieben, die ausschließlich der Bewirtung zulässig beherbergter Personen dienen, Angebote für obdachlose Menschen, die Bewirtung von Fernbus- sowie Fernfahrern und nicht öffentliche Kantinen. Auch die Auslieferung von Speisen und Getränken sowie deren Verkauf zum Mitnehmen soll weiter erlaubt sein.
Übernachtungsangeboten zu touristischen Zwecken sollen bei entsprechenden Inzidenzen in einer Region aber untersagt sein. Geöffnet werden dürften laut dem Beschluss Dienstleistungen, die medizinischen, therapeutischen, pflegerischen oder seelsorgerischen Zwecken dienen sowie Friseurbetriebe – jeweils mit Maske.
An Schulen soll Präsenzunterricht nur mit zwei Coronatests pro Woche gestattet werden. Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die 7-Tage-Inzidenz 200, soll Präsenzunterricht untersagt werden. Vorgesehen ist zudem, dass der Bund über eigene Verordnungen die Coronamaßnahmen vor Ort steuern kann – dazu bräuchte es aber jeweils die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.
Dieser Zustimmungsvorbehalt des Bundestags sei ein entscheidender Punkt, sagt SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, der das Gesetz mit ausgehandelt hat. „Hier haben wir als SPD-Fraktion bereits jetzt einen wichtigen Punkt verankert.“
Die FDP sieht das deutlich kritischer. Die Einbindung des Parlaments bleibe vage, kritisierte Buschmann. Die Frist sei zu kurz. „So wird vermutlich in der Praxis jedes Mal die Zustimmung des Parlaments fingiert sein, wenn eine solche Verordnung kurz nach einer regulären Sitzungswoche erlassen wird, ohne dass parlamentarische Beratungen zu der Rechtsverordnung stattgefunden haben.“
Stundenlang war unter Hochdruck über die Regelungen verhandelt worden. In der Vorlage sollen Wünsche von Fraktionen und Ländern in wichtigen Punkten berücksichtigt worden sein. Nach dem Kabinettsbeschluss soll das Gesetz möglichst in einem beschleunigten Verfahren vom Bundestag beschlossen werden und den Bundesrat passieren.
Merkel (CDU) setzte sich heute für eine schnelle Umsetzung ein. „Ich kann aus meiner Perspektive nur sagen: Je schneller es geht, umso besser das natürlich ist – sowohl im Bundestag als auch dann im Bundesrat“.
Neben der Novelle des Infektionsschutzgesetzes hat das Kabinett auch eine Pflicht für Angebote von Coronatests in Unternehmen auf den Weg gebracht. Unternehmen müssen demnach ihren Beschäftigten ab der kommenden Woche Coronatests anbieten.
Für alle Beschäftigten, die nicht im Homeoffice arbeiten oder arbeiten können, müsse es einmal pro Woche ein Testangebot geben, für Beschäftigte in Berufen mit hohem Infektionsrisiko zweimal die Woche, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) heute in Berlin. Geregelt wird die Testangebotspflicht per Ministerverordnung. Die Arbeitgeber können laut Heil Schnelltests, PCR-Tests oder auch Selbsttests anbieten.
„Wir machen das unbürokratisch, wir zählen alle Tests mit“, sagte Heil. Die Kosten trage der Arbeitgeber, Arbeitsschutz sei seine Aufgabe im Rahmen seiner Fürsorgepflicht. Die Bundesregierung gehe von Kosten in Höhe von 130 Euro pro Beschäftigtem bis Ende Juni aus. Diese Kosten seien auch steuerlich absetzbar.
Heil sagte, er habe die Ministerverordnung bereits unterzeichnet, sie trete fünf Tage nach der Veröffentlichung in Kraft – „also nächste Woche“. Das Bundeskabinett habe dies zustimmend zur Kenntnis genommen. Die Verordnung gelte zunächst bis Ende Juli.
Der Minister betonte, die „dritte Welle rollt über das Land“, Deutschland müsse „das Ruder herumreißen“. Es gelte, das Infektionsrisiko bei der Arbeit zu minimieren und die Gesundheit von Beschäftigten zu schützen. Millionen von Menschen könnten nicht im Homeoffice arbeiten und hielten „das Land am Laufen“ – sie müssten sich darauf verlassen können, dass es am Arbeitsplatz keine unnötigen Risiken gebe.
Etwa zwei Drittel der Betriebe bieten laut einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aktuell ihren Beschäftigen Coronatests an oder planen dies zu tun. Die Angaben stammen aus dem Zeitraum vom 22. März bis 8. April. © dpa/afp/may/aerzteblatt.de

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