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Politik

Politik muss Einsamkeit stärker in den Fokus nehmen

Dienstag, 20. April 2021

/Tunatura, stock.adobe.com

Berlin – Das Thema Einsamkeit sollte grundlegend erforscht werden, es bedarf einer nationalen Anti-Stigmatisierungskampagne und einer interdisziplinär besetzten Fachkommission. Dies war das einhel­lige Votum von sieben Expertinnen in einer öffentlichen Anhörung des Familien­ausschusses gestern. Die Sachverständigen unterstützten damit einen FDP-Antrag, der die Grundlage für die Anhörung bildete.

Die Psychologin Susanne Bücker von der Ruhr-Universität Bochum wies darauf hin, dass Einsamkeit über die gesamte Lebensspanne auftreten könne. In Deutschland litten Millionen Menschen durch alle Alters­gruppen unter Einsamkeit. Allerdings seien vor allem junge Erwachsene und Menschen im hohen Le­bens­­alter besonders oft von Einsamkeit betroffen beziehungsweise gefährdet.

Ein weiteres Risiko für Einsamkeit stelle Armut dar. Und umgekehrt könne Einsamkeit ein höheres Ar­muts­risiko darstellen. Ein spezifischer Stadt-Land-Unterschied lasse sich nicht feststellen. Allerdings würden Menschen in Regionen, in denen es an niedrigschwelligen Freizeitangeboten mangele oder die durch eine starke Bevölkerungsfluktuation geprägt seien, sehr viel häufiger angeben, dass sie unter Ein­samkeit leiden.

Akteure sollten sich untereinander vernetzen

Neben den im FDP-Antrag vorgelegten Forderungen nach einer interdisziplinär besetzten wissenschaft­lichen Fachkommission, Informations- und Aufklärungskampagnen und mehr Forschungsförderung braucht es nach Meinung von Bücker „zusätzlich unmittelbare Lösungen“. „Es gibt viele ehrenamtliche Projekte zur Verringerung von Einsamkeit – die Akteure sollten sich untereinander vernetzen“, forderte die Psychologin.

Die FDP hat eine Vernetzungsplattform vorgeschlagen, damit sich Akteure aus der Wissenschaft, Zivil­gesellschaft, Politik und Wirtschaft rund um das Themenfeld Einsamkeit und Wohlbefinden aktiv mitein­ander austauschen können.

Maike Luhmann, ebenfalls Psychologin an der Ruhr-Universität, wies darauf hin, dass es in Deutschland an belastbaren Daten und Grundlagenforschung zum Thema Einsamkeit mangele. Zudem müsste die Ar­beit der wenigen Forscher auf diesem Gebiet besser vernetzt werden. Die Politik müsse sich des Themas verstärkt annehmen.

Einsamkeit stelle ein gesundheitliches Problem dar, dass auch wirtschaft­lichen Schaden hervorrufe. In Nordrhein-Westfalen habe der Landtag deshalb im vergangenen Jahr eine Enquetekommission zu der Problematik eingesetzt, der sie selbst angehöre, berichtete die Expertin.

Bei Jugendlichen hat sich das Problem verschärft

Die Sozialpädagogin Severine Thomas von der Universität Hildesheim betonte, dass sich bei Jugend­li­chen das Problem der Einsamkeit in der Coronapandemie deutlich verschärft habe. Auffällig sei, dass dies unabhängig von den Haushaltsformen sei, in denen die Jugendlichen leben.

Einsamkeit habe für Jugendliche sehr oft auch eine politische Dimension. Gerade in der Coronapandemie würden viele Jugendliche ihre Interessen in der Politik nicht vertreten sehen. Es mangele an Partizipa­tions­möglichkeiten, sagte Thomas.

Die Gesundheitspsychologin Sonia Lippke von der Jacobs University Bremen führte aus, dass während der Pandemie mitunter schon die Kommunikation der Behörden zu Kontaktbeschränkungen und Qua­ran­täne­maßnahmen das Problem vergrößern könne. So sei es falsch, vom „social distancing“ zu sprechen: „Es geht um körperliche, nicht um soziale Distanz“, sagte sie. Lippke wies weiter darauf hin, dass körper­liche Aktivität das Einsamkeitsgefühl verringern könne.

Ältere Menschen müssten direkt angesprochen werden

Elke Schilling vom Verein Silbernetz und Sabrina Odijk vom Malteser Hilfsdienst machten deutlich, dass ältere Menschen verstärkt direkt angesprochen werden müssten auf das Problem. Besonders gut gelinge dies durch die aufsuchende Hilfe von Ehrenamtlichen.

Ältere Menschen seien öfter gesundheitlich bedingt in ihrer Mobilität eingeschränkt oder könnten die digitalen Informations- und Hilfsangebote nicht wahrnehmen. „Viele alte Menschen wissen gar nicht, welche kommunalen Hilfsangebote es gibt“, sagte Schilling.

Marion von zur Gathen vom Paritätischen Gesamtverband forderte in diesem Zusammenhang, den Zu­gang für ältere Menschen zur digitalen Welt zu verbessern. Zugleich warnte sie davor, darin ein All­heil­mittel sehen zu wollen.

Digitalisierung könne das Problem von Einsamkeit auch verschärfen, wenn sich der Kontakt zu anderen Menschen auf den digitalen Raum begrenze. „Man kann ein Smartphone zwar umarmen, aber diese Um­armung wird eben nicht erwidert“, sagte sie.

Gesundheitliche Folgen von Einsamkeit

Die Expertin sprach sich indes dagegen aus, Einsamkeit „als Volkskrankheit“ zu bezeichnen. „Nicht im­mer bedeutet allein sein nämlich gleich einsam sein – allein sein kann auch ein Zeichen von Autonomie sein“, sagte von zur Gathen. Wenn aber das Gefühl von Einsamkeit vorherrsche, könne dies auch gesund­heitliche Folgen haben.

Die FDP weist in ihrem Antrag auf wissenschaftliche Studien hin, die zeigen, dass Einsamkeit das Risiko für chronischen Stress, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, Demenz, frühen Tod und Suizid er­höhen. Auch Pflegebedürftigkeit tritt demzufolge bei einsamen Menschen früher und häufiger auf.

Auch die CDU/CSU-Fraktion hatte in einem Positionspapier im Februar gefordert, mit einer „nationalen Strategie“ gegen die zunehmende Einsamkeit vieler Menschen anzugehen. Sie fordert darin unter ande­rem einen Regierungsbeauftragten, der sich um Einsamkeit und Einsamkeitsschäden in der Gesellschaft kümmern solle. © PB/aerzteblatt.de

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