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Medizin

US-Kardiologen: Thromboserisiko durch COVID-19 deutlich höher als durch Impfung

Freitag, 30. April 2021

/Tatiana Shepeleva, stock.adobe.com

Providence/Rhode Island – Nachdem der Impfstoff von Johnson & Johnson in den USA nach einer kurzen Pause wieder eingesetzt werden darf, hat die American Heart Association in Stroke (2021: DOI: 10.1161/STROKEAHA.121.035564) eine Empfehlung zur Diagnose und Behandlung der seltenen impf­stoffi­nduzierten immunen thrombotischen Thrombozytopenie (VITT) veröffentlicht.

Wie berichtet war es in den USA im Anschluss an die Impfungen mit der Vakzine von Johnson & Johnson vereinzelt zu zerebralen Venen- und Sinusthrombosen (CVST) gekommen. Die FDA hatte den Einsatz des Impfstoffs deshalb vorübergehend gestoppt, inzwischen aber wieder freigegeben. Vorher war die mutmaßliche Komplikation in Europa nach der Gabe der Astrazeneca-Vakzine beobachtet worden.

Beide Impfstoffe verwenden Adenoviren, um die Gene für das S-Protein von SARS-CoV-2 in die Zellen zu transportieren (wo dann der eigentliche Impfstoff hergestellt wird). Nach Impfungen mit den mRNA-Impfstoffen von Moderna und Biontech/Pfizer ist die Komplikation bisher nicht aufgetreten (abgesehen von 3 Fällen nach der Gabe der Moderna-Vakzine, die allerdings nicht von einer Thrombozytopenie begleitet und damit nicht als VITT gewertet wurden).

Da mRNA-Impfstoffe, die die Gene mit Liposomen in die Zellen transportieren, bisher nicht mit einer VITT in Verbindung gebracht wurden, liegt es nahe, einen Zusammenhang mit den Adenoviren zu vermuten. Vorstellbar wäre, dass die Adenoviren vorzeitig DNA „verlieren“, die dann am Thrombozyten­faktor 4 (PF4) bindet. Der Komplex von PF4 mit der DNA könnte dann die Produktion von Autoantikör­pern stimulieren, so wie dies bei der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) der Fall ist. Dort sind Komplexe aus Heparin und PF4 für die autoimmune Reaktion verantwortlich.

Das von der American Heart Association beauftragte Expertenteam um Karen Furie von der Brown University in Providence/Rhode Island weist darauf hin, dass eine CVST auch im Rahmen einer Erkran­kung an COVID-19 auftreten kann. Das Risiko sei sogar 8 bis 10 Mal höher als nach Erhalt eines COVID-19-Impfstoffs.

Die US-Kardiologen beziehen sich auf eine Untersuchung der Universität Oxford. Maxime Taquet und Mitarbeiter hatten die Daten von 59 Krankenversicherern überwiegend aus den USA ausgewertet. Von 537.913 Patienten mit bestätigter COVID-19 waren 23 in den ersten beiden Krankheitswochen an einer CVST erkrankt. Dies ergab eine Inzidenz von 42,8/1 Mio oder 35,3/1 Mio, wenn nur Erstdiagnosen berück­sichtigt wurden. Die Inzidenz wäre damit deutlich höher als in der Normalbevölkerung, die auf 0,5 bis 0,77/1 Mio in einem beliebigen 2-Wochen-Zeitraum geschätzt wird.

Aus diesem Grund sind Ärzte gut beraten, auch bei Patienten mit COVID-19 an die Möglichkeit einer CVST zu denken. Eine CVST tritt am häufigsten bei jungen Erwachsenen auf (Durchschnittsalter 35 bis 40 Jahre) und hier vorwiegend bei Frauen. Die Risikofaktoren für die CVST ähneln denen für venöse Throm­bo­embolien im Allgemeinen.

Über 80 % der Patienten mit CVST haben laut Furie mindestens einen identifizierbaren Risikofaktor für Thrombosen, und die Hälfte habe gleich mehrere prädisponierende Faktoren. Dazu gehören Schwanger­schaft und Wochenbett, bestimmte Arzneimittel (orale Kontrazeptiva, Chemotherapie) und in seltenen Fällen auch Infektionen des Zentralnervensystems oder in „parameningealen“ Bereichen (Mittelohr, Nebenhöhlen, Mund, Gesicht und Hals).

Auch Grunderkrankungen wie erbliche oder erworbene Thrombophilien, Autoimmunerkrankungen und Krebs prädisponieren nach einer früheren Übersicht der American Heart Association in Stroke (2011; DOI: 10.1161/STR.0b013e31820a8364) zu einer CVST.

Ein Verdacht besteht laut den neuen Empfehlungen bei Patienten mit starken Kopfschmerzen, vor allem wenn sie von neurologischen Ausfällen oder Krampfanfällen begleitet werden. Im Unterschied zu Schlag­anfällen, die eine häufigere Komplikation von COVID-19 sind, treten die neurologischen Ausfälle bei einer CVST häufig auf beiden Körperhälften auf.

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist (aufgrund der venösen Genese) die langsame Zunahme der Symptome. Beim Schlaganfall (einem in der Regel arteriellen Ereignis) kommt es sofort zu starken Symp­tomen, die im weiteren Verlauf nicht mehr zunehmen.

Zur diagnostischen Abklärung empfehlen die US-Kardiologen entweder eine Magnetresonanztomografie oder eine Computertomografie jeweils mit Venogramm. Ein herkömmliches Angiogramm sei selten erfor­derlich, schreiben die US-Experten.

Zu den Laboruntersuchungen sollte neben einem vollständigen Blutbild auch die Bestimmung der Gerin­nungswerte (Prothrombinzeit, partielle Thromboplastinzeit, Fibrinogen und D-Dimer) sowie ein PF4-Antikörper-ELISA gehören. Der Nachweis der PF4-Antikörper bestätigt den Verdacht einer VITT.

Zur Behandlung einer VITT wird analog zur HIT die Gabe von intravenösen Immunglobulinen empfohlen – sofern der Labortest PF4-Antikörper nachgewiesen hat. Einige Experten raten auch zu Steroiden.

Bei der notwendigen antikoagulativen Behandlung sollte laut Furie unbedingt auf Heparinprodukte verzich­tet werden, um die Krankheit nicht weiter anzuheizen (aus dem gleichen Grund sollte auch auf die Gabe von Thrombozyten verzichtet werden, die PF4 freisetzen).

Geeignete Antikoagulanzien sind aus Sicht der US-Kardiologen Argatroban, Bivalirudin, Danaparoid, Fonda­parinux oder ein direktes orales Antikoagulans (DOAC) in therapeutischer Dosierung. © rme/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #830245
Hortensie
am Sonntag, 2. Mai 2021, 13:22

Womit werden Menschen, die bereits Hirnvenen- und andere Thrombosen hatten, denn SICHER geimpft?

Es wird in vielen Berichten immer nur vom Risiko auf Gerinnungsstörungen berichtet, dass die Impfstoffe bei bisher noch nicht davon Betroffenen machen könnten.
Menschen, die aber durch verschiedene Risikofaktoren ein erhöhtes Thromboserisiko haben, haben oftmals schon Thrombosen oder Embolien gehabt. Etliche dieser Menschen haben diese sogar überlebt und wollen aber nicht durch eine Impfung nochmals derartiges erleiden.
Welcher Impfstoff ist für diese Menschen dann sicher?
Denn das Risiko dieser Menschen ist gegenüber dem Risiko der Normalbevölkerung nicht 0,0000x Prozent, sondern vielleicht 50 oder 70 %.
Es gibt sicher viele Menschen, die bereits Thrombosen oder Embolien hatten. Sollen die alle ungeimpft bleiben?

Wie wäre es, wenn man andere Impfstoffarten wie Totimpfstoffe mit inaktivierten Viren, wie Peptidimpfstoffe etc. auch in Deutschland anbietet?
Der chinesische Impfstoff Vero ist ein Totimpfstoff mit inaktivierten Viren. Er wird in Ungarn, Serbien und der Türkei eingesetzt.
Könnte dieser nicht das Problem lösen?

Avatar #854357
Astklar
am Samstag, 1. Mai 2021, 16:28

Impf-Priorisierung

wenn ich diesen Artikel richtig verstehe, sollte dann umgekehrt eine Faktor V Leiden-Mutation oder auch eine Parodontitis dazu führen, Patientinnen, die noch nicht in der Menopause sind, zur Priorisierungsgruppe III für eine COVID-Impfung zu rechnen.
Mf u. kG Dr. Asta Klarner, ÄfA, Calden
Avatar #106067
dr.med.thomas.g.schaetzler
am Samstag, 1. Mai 2021, 14:07

So geht das nicht weiter, DÄ-Redaktion!

Erneut wird mit "US-Kardiologen: Thromboserisiko durch COVID-19 deutlich höher als durch Impfung" zu einem Artikel von "©rme/aerzteblatt.de" eine sinnenstellende Überschrift formuliert.

Aus der englischen Überschrift "Diagnosis and Management of Cerebral Venous Sinus Thrombosis with Vaccine-Induced Thrombotic Thrombocytopenia"
on Behalf of the American Heart Association/American Stroke Association/Stroke Council Leadership vom 29.04.2021 https://doi.org/10.1161/STROKEAHA.121.035564
ist sofort erkennbar, dass es sich mitnichten um ein allgemeines Thromboserisiko, sondern um z.T. lebensbedrohliche cerebrale Sinusvenenthrombosen (cSVT) bzw. andere intrazerebrale Thrombosen handelt. In den USA im Anschluss an Impfungen mit Johnson & Johnson-Vakzine beschriebene zerebrale Venen- und Sinusthrombosen (CVST) stehen mit impf­stoffi­nduzierten immunen thrombotischen Thrombozytopenien (VITT) in Verbindung. Studien der Universität Greifswald detektierten dies.

Wenn CVSTen genderspezifisch bei jungen Frauen (Durchschnittsalter 35 bis 40 Jahre) auftreten bzw. Risikofaktoren für CVST in diese Altersgruppe denen für venöse Throm­bo­embolien im Allgemeinen ähneln, müssen auch US-amerikanische Kardiologen nur für diese Altersgruppe impfbezogene und spontane Risiken vergleichend herausrechnen. Das gilt im Übrigen auch für die frauenspezifischen cSVT-Risiken bei AstraZeneca-Vakzine. Über 80 % der Patientinnen mit CVST haben mindestens 1 identifizierbaren Risikofaktor für Thrombosen, und 50% habe gleich mehrere prädisponierende Faktoren wie Schwanger­schaft/Wochenbett/bestimmte Arzneimittel (orale Kontrazeptiva, Chemotherapie) und selten auch Infektionen des Zentralnervensystems bzw. im „parameningealen“ Bereich (Mittelohr/Nebenhöhlen/Mund/Gesicht/Hals);
erbliche/erworbene Thrombophilien/Autoimmunerkrankungen/Krebs können prädisponieren.

Mf+kG, Ihr Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund
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