Politik
Coronaimpfstoffe: Bundesregierung lehnt Patentfreigabe ab
Freitag, 7. Mai 2021
Berlin – Die Bundesregierung steht einer Freigabe von Impfstoffpatenten skeptisch gegenüber. Hauptthema sei nicht die Frage von Patenten, sondern von Produktionskapazitäten, erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) heute in der Bundespressekonferenz. Erst gestern hatte die Regierungskoalition einen Antrag der Linkenfraktion zur Freigabe von Impfstoffpatenten im Bundestag abgelehnt.
„Der Schutz von geistigem Eigentum ist Quelle von Innovation und muss es auch in Zukunft bleiben“, sagte eine Regierungssprecherin der Süddeutschen Zeitung. Die Bundesregierung arbeite in vielerlei Hinsicht daran, „wie wir innerhalb Deutschlands und innerhalb der Europäischen Union, aber auch weltweit die Kapazitäten für die Produktion verbessern können und dies tun auch die betroffenen Unternehmen“, so die Sprecherin.
Die US-Regierung hatte gestern bekannt gegeben, sich einem bereits im vergangenen Jahr von Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation WTO eingereichten Antrag auf zeitweise Patentfreigabe bei Coronaimpfstoffen, nicht weiter blockieren und darüber ins Gespräch kommen zu wollen. Hersteller in aller Welt könnten dann die Impfstoffe produzieren, ohne Lizenzgebühren an die Unternehmen zu zahlen, die die Mittel entwickelt haben.
Die Pharmaunternehmen lehnen den Vorschlag ab. Auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) kritisierte den Vorstoß aus Washington. „Nur ein Patent freizugeben, sorgt noch für keine einzige zusätzliche Impfdose“, sagte er dem Spiegel. „Das Patent allein reicht nicht. Man muss auch wissen, wie produziert werden soll.“
Grüne befürworten Vorstoß der USA
Auch FDP-Chef Christian Lindner erklärte: „Das beseitigt die weltweite Knappheit an Impfstoff nicht – und schon gar nicht kurzfristig“. Eher gelte es, alle Kraft in die Produktion zu stecken, denn es fehle an Rohstoffen, Fachpersonal, Produktionsstätten.
Die Grünen hingegen begrüßten den Vorstoß. „Joe Biden hat den Anfang gemacht, jetzt müssen sich die Bundesregierung und die EU-Kommission auf der nächsten Sitzung der Welthandelsorganisation hinter die Schwellen- und Entwicklungsländer stellen und die Patente für Diagnostika, Medikamente und weitere COVID-19-Technologie aussetzen“, sagte die stellvertretende Grünen-Bundesvorsitzende, Jamila Schäfer, der Augsburger Allgemeinen.
Auch die stellvertretenden Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Bärbel Bas, sagte, eine befristete Lockerung des Patentrechts biete die Chance, die Produktionskapazitäten weltweit schnell auszubauen. „Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich, dass die USA und Europa ihren Widerstand gegen den Antrag Indiens und Südafrikas, den sogenannten TRIPS-Waiver, aufgegeben haben oder sich zumindest gesprächsbereit zeigen“, so Bas in einer Mitteilung.
Den Antrag der Linken im Bundestag unterstützte die SPD-Fraktion nicht und lehnte ihn gemeinsam mit den Stimmen der Unionsfraktionen sowie der FDP und der AFD ab.
Kritisch zeigte sich der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA). „Die Folgen für den Innovationszyklus wären gravierend“, sagte VFA-Präsident Han Steutel dem Handelsblatt. Sein Vorwurf: „Corona soll instrumentalisiert werden, um den Patentschutz für Impfstoffe zu schleifen.“
Allein die Hersteller von mRNA-Impfstoffen hätten über zehn Jahre Vorarbeiten erbracht, um jetzt der Welt helfen zu können, sagte der Verbandspräsident. „Hier wurde über Jahre privates Geld investiert, ohne dass klar war, ob die Technologie ein Erfolg würde“, so Steutel.
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Zur Überwindung der Pandemie würden Patentfreigaben nichts bringen, sagte Steutel. Niemand könne eine Produktion in weniger als sechs Monaten hochziehen. Und im nächsten Jahr würden die jetzigen Hersteller schon nach heutigem Planungsstand mehr Impfstoff-Dosen produzieren, als die Weltbevölkerung benötigt. Die Patentfreigabe wäre deswegen „reine Symbolpolitik statt Hilfe in der Not“, so der Verbandschef.
Die deutsche Ärzteschaft würde die temporäre Freigabe von Patenten hingegen begrüßen. Im Rahmen des in dieser Woche abgehaltenen 124. Deutschen Ärztetags riefen die Teilnehmer den Bundestag und das Europäische Parlament dazu auf, „Impfstoffpatente unter fairer Vergütung des geistigen Eigentums der Patentinhaber zumindest temporär freizugeben“.
Der bisherige Verlauf der Pandemie sowie die Entwicklung besorgniserregender Virusvarianten in Bevölkerungen mit unvollständiger oder nachlassender Immunität habe gezeigt, wie wichtig es sei, weltweit und unabhängig von der Wirtschaftskraft eines Landes möglichst schnell eine möglichst hohe Impfrate zu erreichen, so die Abgeordneten des Ärztetages. © alir/dpa/afp/aerzteblatt.de

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