Ärzteschaft
Generationsübergreifende epigenetische Vererbung befeuert Diabetesepidemie
Freitag, 14. Mai 2021
Lübeck – Übergewicht und Typ-2-Diabetes-Erkrankungen nehmen seit Jahrzehnten zu. Oft wird dafür vor allem ein ungesunder Lebensstil verantwortlich gemacht. Allerdings befinden wir uns „in den letzten 50 bis 100 Jahren in einem epigenetischen Teufelskreis“, der die beiden Epidemien immer weiter befeuert, wie die Humangenetikerin Henriette Kirchner beim diesjährigen, rein virtuell stattfindenden Diabetes Kongress verdeutlichte.
Die genetische Prädisposition macht beim Typ-2-Diabetes 30 bis 50 Prozent aus. Doch da die Gene der Menschen sich in den vergangenen 100 Jahren nicht stark geändert haben, werden üblicherweise ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel für die steigenden Diabeteszahlen verantwortlich gemacht.
Kirchner sieht allerdings eine weitere Erklärung für die global zunehmende Diabetesinzidenz, die generationsübergreifende epigenetische Vererbung. Denn mit der Epigenetik verfügt die Evolution über einen im Vergleich zur Genetik sehr viel schnelleren Mechanismus, um Lebewesen an eine veränderte Umwelt anzupassen.
„Das kann bei den Eltern passieren, epigenetische Muster werden sowohl über die Mutter aber auch über den Vater vererbt“, berichtet die Leiterin der Gruppe „Epigenetik und Metabolismus“ am Center of Brain, Behavior and Metabolism/Institut für Humangenetik der Universität zu Lübeck. Man könne aber auch im Laufe des Lebens selbst seine Epigenetik beeinflussen, in dem man einen schlechten oder guten Lebensstil pflege.
Hungersnöte starteten epigenetischen Teufelskreis
„Wir stecken in letzten 50 bis 100 Jahren in einem Teufelskreis“, so die Humangenetikerin weiter. Durch Hungersnöte, etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, und speziell eine Proteinmangelernährung sei die Epigenetik der damaligen Generation verändert worden. Deren Nachkommen hatten in der Folge ein erhöhtes Risiko für Übergewicht, Typ-2-Diabetes und auch koronarer Herzkrankheit.
„Das war die zweite Generation, die es schlecht getroffen hatte, die aber keiner Hungersnot mehr ausgesetzt war“, sagte Kirchner. „Diese Generation hatte viel zu Essen und bewegte sich zu wenig, wodurch sich ihre Epigenetik noch einmal zum Schlechten veränderte, was wiederum an die nächste Generation weitergegeben wurde.“
„So haben wir eine Kontinuierung der schlechten Epigenetik, die dazu beiträgt, dass wir Epidemien an Typ-2-Diabetes und Übergewicht haben, obwohl unsere Gene sich in den letzten 50 bis 100 Jahren nicht verändert haben“, so Kirchner.
Die Lübecker Humangenetikerin zufolge lassen sich aus den Erkenntnissen der epigenetischen Forschung zum Typ-2-Diabetes zwei Lehren ziehen: Der eigene Lebensstil hat nicht nur Einfluss auf das eigene Leben, sondern auch auf die Nachfolgegeneration. Kinder können ein unvorteilhaftes epigenetisches Profil von ihren Eltern erben, können durch einen eigenen gesunden Lebensstil allerdings gegensteuern und ihre Risikoerhöhung zum Teil wieder rückgängig machen. © nec/aerzteblatt.de

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