Medizin
SARS-CoV-2: Längeres Dosierungsintervall verstärkt Antikörperreaktion auf Biontech-Impfstoff
Dienstag, 18. Mai 2021
Birmingham – Das Hinauszögern der zweiten Impfdosis des Biontech-Impfstoffs Comirnaty (BNT162b2), zu dem sich viele Länder infolge des Impfstoffmangels entschieden haben, könnte für die Geimpften ohne nachteilige Folgen bleiben.
In einer in medRxiv (2021; DOI: 10.1101/2021.05.15.21257017) vorveröffentlichten Kohortenstudie an Senioren fiel die Antikörperreaktion nach der 2. Dosis sogar deutlich stärker aus als nach dem vorgesehenen Intervall zwischen den beiden Dosierungen von 3 Wochen. Die Auswirkung auf die zelluläre Immunität war dagegen nicht eindeutig positiv.
Der Impfstoff BNT162b2 erzielte in den klinischen Studien trotz eines für Impfungen kurzen Dosierungsintervalls von nur 3 Wochen eine sehr gute Schutzwirkung. Die Zahl der COVID-19-Erkrankungen wurde um 95 % gesenkt.
Die Verlängerung des Intervalls, zu der sich viele Länder gezwungen sahen, wurde deshalb von Immunologen kritisch gesehen. Eine zu späte 2. Dosis, so eine Befürchtung, könnte den Anstieg der Antikörper-Titer vermindern. Der erhoffte Booster für das Immunsystem könnte vielleicht sogar ganz ausbleiben.
Eine Untersuchung, die das „UK Coronavirus Immunology Consortium“ an 172 Personen im Alter von über 80 Jahren durchgeführt hat, könnte diese Bedenken jetzt zerstreuen.
Alle Senioren waren mit BNT162b2 geimpft worden: 99 Teilnehmer hatten die 2. Dosis wie vorgesehen 3 Wochen nach der 1. Dosis erhalten. Bei den anderen 73 Teilnehmern erfolgte die 2. Impfung erst 11 bis 12 Wochen nach der ersten.
In beiden Gruppen wurden 2 Blutproben entnommen. Die 1. Entnahme erfolgte 5 bis 6 Wochen nach der ersten Impfung. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Teilnehmer der ersten Gruppe bereits ihre 2. Dosis erhalten. Sie lag für sie etwa 2 Wochen zurück. Das ist häufig der Zeitpunkt der stärksten Antikörper-Antwort.
Die zweite Blutentnahme erfolgte in beiden Gruppen nach 13 bis 14 Wochen. Zu diesem Zeitpunkt lag die 2. Dosis in der Gruppe mit der Regelimpfung bereits 10 bis 11 Wochen zurück. In der Gruppe mit der verzögerten Impfung lag die 2. Dosis etwa 2 Wochen zurück.
Das Team um Helen Parry von der Universität Birmingham konnte deshalb die Immunantwort auf die 2. Impfdosis zwischen den beiden Gruppen vergleichen. Bei den Teilnehmern mit dem längeren Dosierungsintervall stieg der Antikörper-Titer nach der 2. Impfung auf 4.030 U/ml an. Er war damit um den Faktor 3,5 höher als in der Gruppe, die die 2. Dosis wie vorgesehen 3 Wochen nach der 1. Dosis erhalten hatte. Hier betrug der mittlere Antikörper-Titer nur 1.138 U/ml.
Der stärkere Booster nach der verzögerten 2. Dosis könnte nach Einschätzung von Parry die Dauer der Schutzwirkung verlängern: Bei den Teilnehmern der ersten Gruppe war es 10 bis 11 Wochen nach der 2. Dosis (dem Zeitpunkt der 2. Blutentnahme) bereits wieder zu einem deutlichen Rückgang der Antikörper-Titer um den Faktor 2,6 gekommen.
Für die Teilnehmer mit der verzögerten 2. Impfung haben die Forscher keinen entsprechenden Wert bestimmt. Aufgrund des höheren Titers nach der 2. Dosis kann jedoch eine längere Schutzdauer angenommen werden.
Ein Nachteil des verlängerten Intervalls ist, dass der volle Impfschutz erst relativ spät einsetzt. Bei der ersten Blutentnahme, die 5 bis 6 Wochen nach der 1. Dosis erfolgte, waren die Antikörper-Titer mit 17 U/ml noch gering. Dass sie die Senioren vor einer Erkrankung geschützt hätte, muss bezweifelt werden.
Auch die T-Zell-Antwort fiel vor der verzögerten 2. Dosis schwach aus. Die Forscher bestimmten die T-Zell-Antwort mit dem ELISpot-Assay. Er misst die Freisetzung von Interferon gamma nach Zugabe von Spike-Proteinen von SARS-CoV-2 in die Zellkulturen.
In der Gruppe mit dem verlängerten Intervall kam es zu diesem Zeitpunkt nur bei 8 % der Senioren zu einer Reaktion im ELISpot-Assay. In der Regelgruppe, die bereits die zweite Dosis erhalten hatte, zeigten zu diesem Zeitpunkt bereits 60 % eine Reaktion.
Bei den Teilnehmern mit der verzögerten Impfung stieg der Anteil mit einer Reaktion der T-Zellen im ELISpot-Assay nach der 2. Impfung auf 31 % an. Er blieb damit deutlich hinter der Reaktion zurück, die nach der Regelimpfung in den ersten Wochen nach der 2. Dosis erreicht wurde. Andererseits kam es nach der Regelimpfung auch bei der T-Zell-Antwort in den folgenden 10 bis 11 Wochen wieder zu einem Rückgang.
Die Ergebnisse entsprechen denen, die Forscher der Universität Oxford im Februar für die verzögerte Impfung von Astrazeneca gezeigt hatten. Auch dort waren die Antikörperreaktionen deutlich stärker ausgefallen, wenn die Auffrischung erst nach 12 Wochen erfolgte.
Die klinische Aussagekraft der Studien ist allerdings beschränkt. Wie viele Antikörper ein Patient benötigt, um eine Infektion mit SARS-CoV-2 abzuwehren oder eine Erkrankung an COVID-19 zu vermeiden, ist nicht bekannt. Das gleiche gilt für den ELISpot-Assay. Er kann die Fähigkeit der T-Zellen, infizierte Zellen abzutöten und die Antikörper-Bildung zu unterstützen, vermutlich nur ungenau anzeigen.
Entscheidend für die Klinik sind die epidemiologischen Untersuchungen, die derzeit keine Hinweise auf eine abgeschwächte Impfstoffwirkung durch ein Hinauszögern der 2. Dosis gezeigt haben.
Im Gegenteil: England gehört durch die Impfkampagne zu den ersten Ländern, die die 2. Welle gebrochen haben, und wo die Beschränkungen der Freizügigkeit weitgehend aufgehoben werden konnten. Die rasche Abschwächung der Impfstoffwirkung in der Laborstudie dürfte jedoch eine Warnung sein, dass die Gefahr durch SARS-CoV-2 keinesfalls überwunden ist. © rme/aerzteblatt.de

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