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EU-Medizinprodukte-­Verordnung in Kraft, weiter Kritik

Mittwoch, 26. Mai 2021

/Pixel-Shot, stock.adobe.com

Berlin – Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) hat pragmatische Lösungen für die Umsetzung der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) gefordert, die seit heute in der Europäischen Union (EU) gilt. Denn trotz der Verschiebung des Geltungsbeginns um ein Jahr sei das neue Regelwerk noch nicht praxis­tauglich.

„Die Verschiebung des MDR-Geltungsbeginns war wichtig“, betonte der Vorstandsvorsitzende des BVMed, Meinrad Lugan, heute auf der virtuellen MDR-Branchenkonferenz des Verbands. „Wenn auch nur als Sig­nal.“

Zugleich kritisierte er, dass die Behörden die gewonnene Zeit nicht hinreichend genutzt hätten, um das neue regulatorische System wirklich arbeitsfähig zu machen. So seien derzeit nur 20 der zuletzt beste­henden 52 Benannten Stellen, die für die Zulassung von Medizinprodukten zuständig sind, für die MDR notifiziert.

„26 Stellen stecken noch immer im Verfahren und dürfen nicht tätig werden. Das ist einfach zu langsam“, sagte Lugan. „Eine Benennung der Stellen dauert im Schnitt über 19 Monate. Ein signifikanter Anstieg von Benannten Stellen ist nicht in Sicht.“

Zwei Milliarden Euro für Rezertifizierungen

Die MDR bringe für Hersteller und Zulieferer von Medizinprodukten umfassende Veränderungen mit sich. Dazu gehörten die Neuzertifizierung aller Medizinprodukte durch die Hersteller, höhere Anforde­rungen bei der Generierung klinischer Daten, die Nachverfolgung des Medizinproduktes über dessen gesamten Lebenszyklus sowie erhöhte Aufwände auf allen Seiten.

So benötigten alle Benannten Stellen mehr Prüfzeit für die umfangreicheren Akten. Zudem seien die Stundensätze der Benannten Stellen erhöht worden. Der BVMed geht davon aus, dass die Branche einen zweistelligen Milliardenbetrag aufbringen müsse, nur um unveränderte Produkte weiterhin im Markt zu halten.

„Viele Regelungen der MDR sind unfassbar komplex, nicht eindeutig formuliert und nur mit erheblichem oder zum Teil sogar unverhältnismäßigem Aufwand umsetzbar“, kritisierte Lugan. „Manches davon ist im Übrigen sogar gar nicht umsetzbar, weil regulatorische Vorgaben sich entweder widersprechen oder nur auf wenige Produktekategorien konkret anwendbar sind.“

„Die schärfste Regulatorik der Welt“

„Mit der MDR bekommen wir die schärfste Regulatorik für Medizinprodukte in der Welt“, betonte Lugan, der auch Mitglied des Vorstands der B.Braun Melsungen AG ist. „Sie droht unsere innovative Branche auszubremsen – mit katastrophalen Folgen für die Patientenversorgung und für den MedTech-Standort in Deutschland und Europa.“

Dabei „dürfte jedem die Bedeutung der Medizintechnik gerade in diesen Zeiten der Pandemie klar ge­wor­den sein“. Denn es gebe keine Hygienestandards ohne persönliche Schutzausrüstung, keine Lebens­rettung ohne Beatmungsgeräte und kein Impfen ohne Spritze.

Zuspitzung der Lage im Jahr 2024

Lugan bekannte sich zum Ziel der MDR. „Wir wollen hohe Qualitätsstandards für unsere Produkte“, sagte er. „Wir wollen und wir werden unseren Beitrag leisten für die bestmögliche Versorgung für alle Patien­tinnen und Patienten.“ Die Qualitätsvorgaben müssten in einem Regelwerk definiert sein – sie müssten aber auch umsetzbar seien.

„Die aktuell wichtigste Frage ist: Wie kommen wir positiv durch die Übergangsperiode, die bis zum Mai 2024 läuft?“, fragte Lugan. Bis dahin müssten 20.000 Zertifikate für Medizinprodukte in die MDR über­führt werden. Mit dem bisherigen Tempo bei der Umsetzung sei das nicht machbar.

„Bereits heute wissen wir, dass sich die Lage im Mai 2024 dramatisch zuspitzen wird“, sagte Lugan. „Viele Medizinprodukte werden es nicht rechtzeitig in die MDR schaffen. Es drohen Versorgungseng­pässe, ins­besondere bei den so wichtigen seltenen Medizinprodukten, Innovationsstau und Wettbe­werbs­verzerr­ung.“

Deshalb seien die geringen Kapazitäten bei den Benannten Stellen nicht akzeptabel. „Wir müssen auf die aktuelle Situation reagieren und Lösungen finden“, forderte Lugan. „Ein Stillstand hat fatale Folgen für die Patientenversorgung und für den Medizintechnikstandort Deutschland.“

Erik Hansson, stellvertretender Leiter der Abteilung Bewertung von Medizinprodukten und Gesundheits­technologien in der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommi­ssion, räumte ein, dass durch den Brexit, die Verhandlungen mit den USA und die Coronapandemie viele Ressourcen innerhalb der EU auf andere Themen gelenkt gewesen seien, „so dass es keine volle Kon­zentra­tion auf die MDR-Umsetzung geben konnte“. Es sei nun eine große Herausforderung, dass das System auch funktioniere.

„Derzeit sind noch 26 Benannte Stellen in der Warteschleife“, sagte Hansson. „Wir müssen besser ver­stehen, warum das so ist und wo wir in dem System stehen. Wenn wir bis 2024 dann insgesamt 46 Be­nannte Stellen haben, sind wir nah an der bisherigen Zahl.“

„Eine weltweite Erfolgsgeschichte“

Zugleich erinnerte er daran, dass die Einführung der MDR ihren Ursprung in dem Brustimplantate­skandal hatte. „Eine erste Maßnahme nach dem Skandal war die europaweite Überprüfung aller Benannten Stellen, die dazu geführt hat, dass einige Organisationen bereits vom Markt verschwunden sind“, erklärte Hansson. „Die gestiegenen Anforderungen an die Benannten Stellen haben dazu geführt, dass es heute ein Übergangsproblem gibt.“

Die europäische CE-Kennzeichnung sei allerdings eine weltweite Erfolgsgeschichte. „Wichtig ist es, die Anforderungen an die Benannten Stellen und an die Zulassungen zu harmonisieren. Damit sind wir Vorbild für viele andere Länder und Regionen der Welt“, so Hansson. © fos/aerzteblatt.de

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