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Politik

Ärztinnen befürworten gesetzlich verankerte Long-COVID-­Kompetenzzentren

Montag, 7. Juni 2021

Multidisziplinäre Ambulanz für Long-COVID-Patienten der Klinik Moncucco in Lugano / picture alliance, Keystone, Alessandro Crinari

Berlin – Vor allem junge Menschen zwischen 25 und 50 ohne Vorerkrankungen und mehrheitlich Frauen leiden unter Long COVID. Darauf deuten die bisher nur wenigen Studien hin. Nach einem mildem Akut­verlauf von COVID-19 treten bei diesen Patientinnen bis zu sieben Monate später schwerwiegende Symp­to­me wie etwa Fatigue auf. Über die gesetzliche Verankerung von speziellen Behandlungszentren für Betroffene sowie die Anerkennung als Berufskrankheit diskutierte heute der Gesundheitsausschuss des Bundestages.

Ausgangspunkt waren Anträge der FDP und der Linken. Die FDP-Fraktion fordert, Long-COVID- Behand­lungszentren im Fünften Sozialgesetzbuch festzuschreiben und Ärztinnen und Ärzten, Krankenhäusern und Rehaeinrichtungen die Möglichkeit zu geben, entsprechende Leistungen abzurechnen. Zudem sollten nach Ansicht der FDP-Fraktion Forschungsgelder für Studien zu Long COVID bereitgestellt und mit den Ländern ein Register erstellt werden, in dem die Fälle erfasst und analysiert werden.

Die Forderung der Linken-Fraktion geht in eine ähnliche Richtung: Zusätzliche Kapazitäten sowie Pro­gramme zur Erfassung, Analyse und Therapie von Long COVID unter Einschluss von Patienten, die unter Myalgischer Enzephalomyelitis /Chronischem Fatigue Syndrom (ME/CFS) leiden. Darüber hinaus schla­gen die Abgeordneten vor, arbeitsbezogene Coronaerkrankungen sowie deren Langzeitfolgen für alle Berufsgruppen als Berufskrankheit anzuerkennen.

Medizinerinnen sprechen sich für interdisziplinäre Kompetenzzentren aus

Die als Sachverständige geladenen Medizinerinnen und Mediziner sprachen sich übereinstimmend für eine gesetzliche Verankerung von speziellen Long-COVID-Behandlungszentren sowie eine Erfassung und Analyse der Fälle und mehr Forschung aus. Es sei dringend notwendig, ein interdisziplinäres Netzwerk aufzubauen, in dem eine enge Verzahnung von niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern und Rehazen­tren möglich sei, erklärte Clara Lehmann, Leiterin des Infektionsschutzzentrums (ISZ) und der Infektions­ambulanz Innere Medizin I am Uniklinik Köln.

„Die Anamnese ist hochkomplex und erfordert bis zu einer Stunde Gespräch. Das ist im Vergütungs­system nicht abgebildet“, so Lehmann. Wenn davon ausgegangen werde, dass bis zu 25 Prozent der Patienten mit milden COVID-Verläufen sieben bis acht Monate später Beschwerden entwickeln, die mit Long COVID assoziiert werden, müsse man von mehreren hunderttausend Betroffenen ausgehen.

Wie häufig Long COVID auftritt, lasse sich derzeit jedoch nicht mit Sicherheit beziffern, da sich die bisher verfügbaren Studien untereinander nicht gut vergleichen ließen und noch unklar sei, wie lange die Beschwerden der Patienten andauern oder mit wie viel zeitlichem Verzug sie auftreten können. Zudem gebe es bisher noch keine gezielte Therapie, es werden vorwiegend symptomorientiert behandelt.

Bestehende Strukturen aus ärztlicher Sicht nicht ausreichend

„Die Folgen sind sehr vielfältig, weil das Virus nahezu jedes Organ befallen kann. Wir haben es also mit sehr vielen Patienten zu tun, die teilweise schwere und komplexe Beschwerden haben. Diese lassen sich nicht einfach in die bestehenden Strukturen einbinden“, bestätigte Carmen Scheibenbogen, stellvertre­tende Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie an der Berliner Charité und Leiterin der Immundefektambulanz.

Schon für Patienten, die vor der Pandemie unter dem CFS gelitten hätten, gebe es bislang keine guten Versorgungsstrukturen. Scheibenbogen führte als Positivbeispiel eine Millioneninvestition Großbritan­niens an, wo derzeit mehrere COVID-Zentren und spezialisierte Ambulanzen staatlich finanziert würden. „Etwas vergleichbares gibt es hier derzeit nicht. Das vorhandene Netzwerk deckt bisher nur schwere Fälle von COVID-19 mit Akutversorgung ab“, so Scheibenbogen.

Jördis Frommhold, Chefärztin der Abteilung für Atemwegserkrankungen und Allergien an der Median Klinik Heiligendamm wies auf die wichtige Unterscheidung verschiedener Patientengruppen hin. Neben nicht symptomatischen, wieder vollständig Genesenen sowie Patienten mit schwerem Verlauf, die auch im Nachgang an schweren Post-COVID-Symptomen wie etwa Leistungsminderung und ausgeprägter Falschatmung litten, aber gut von Rehabilitationsmaßnahmen profitierten, gebe es noch die dritte Gruppe der Long-COVID-Betroffenen. „Diese Gruppe macht mir am meisten Sorgen“, so Frommhold.

Viele Betroffene nicht mehr arbeitsfähig

Übereinstimmend mit ihren ärztlichen Kolleginnen erklärte sie, dass es sich bei dieser Gruppe häufig um Patienten zwischen 20 und 50 Jahren mit mildem bis moderatem Erkrankungsverlauf handele, die mit mehrmonatigem Abstand zu der Erkrankung mit Latenz erneute Symptome entwickelten. Die Haupt­beschwerden seien Geruchs- und Geschmacksveränderung, Fatigue, Luftnot sowie auch neurologische und kognitive Einschränkungen wie Wortfindungsstörungen. Frauen seien doppelt so häufig betroffen wie Männer.

„Diese Gruppe fällt oft durchs Raster, weil sie nicht hospitalisiert waren, für die ist es schwierig, über­haupt eine Anlaufstelle zu finden“. so Frommbold. Daher seien interdisziplinäre Kompetenzzentren sowie eine stärkere Vernetzung von Akut- und Rehamedizin wichtig.

Problematisch sei für viele vor allem die schwere Belastungsintoleranz durch die Fatigue. sagte Dirk Schöning, der stellvertretend für die Betroffeneninitiative „Long COVID Deutschland” und die Online-Selbsthilfegruppe „Leben mit COVID-19” als Sachverständiger geladen war. Viele Betroffene seien durch Long COVID Symptome nicht mehr arbeitsfähig. Die Betroffenen hätten vor der Pandemie mehrheitlich in Bildungs- und Gesundheitswesen gearbeitet, wo ohnehin Personalknappheit herrsche.

„Bislang gibt es kein einheitliches Informationsangebot", so Schöning. Betroffene erlebten häufig fehlen­de Anerkennung und Verharmlosung der Symptome, bei niedergelassenen Ärzten fehle häufig das ent­sprechende Wissen.

GKV sieht Wissenslücken als Hindernis

Das mangelnde Wissen um Long COVID erschwere aber auch eine zeitnaher Etablierung von neuen Versorgungsstrukturen, erklärte Bernhard Egger vom GKV-Spitzenverband. In den bisher veröffentlichten Publikationen gebe es starke Schwankungen, eigene Zahlen lägen aufgrund des immer verzögerten Ein­gangs von Abrechnungsdaten noch nicht vor, Auswertungen seien daher erst ab dem dritten Quartal dieses Jahres möglich.

Die vorgesehene gesetzliche Verankerung würde sich an die Regelung für schwer therapierbare kom­plexe Erkrankungen, die spezielle interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert, anlehnen. „Meiner Mei­nung nach sind die Voraussetzungen so etwas für Long COVID zu etablieren, derzeit noch nicht gege­ben", so Egger. Man wisse noch nicht genug über die Erkrankung, um spezielle Zentren einzurichten.

Die Empfehlung der GKV laute daher, die Versorgung in den vorhandenen Strukturen beizubehalten, die weitere Entwicklung zu beobachten und dann auf Basis einer besseren Wissenslage Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Ähnliches gelte für die Einrichtung eines bundesweiten Registers.

Auch Bernd Metzinger, Geschäftsführer des Dezernats für Personal und Krankenhausorganisation der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) erklärte, die in dem FDP-Antrag vorgesehene gesetzliche Ver­ankerung sei insgesamt nicht zielführend. Dies dauere verhältnismäßig lange, bis zu einer Finalisierung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) könnten noch bis zu zwei Jahren vergehen. Eine G-BA-Richtlinie würde das Behandlungsspektrum zudem nicht erweitern sondern nur einschränken.

In Bezug auf den Linken-Antrag kommentierte Stephan Brandenburg, der für die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV) als Sachverständiger geladen war, dass der Bereich „Infektionskrank­heiten“ den Anwendungsbereich für berufliche COVID-19-Erkrankungen sowie deren Langzeitfolgen bereits abdecke und eine Erweiterung daher nicht nötig sei. © alir/aerzteblatt.de

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