Politik
Antikörpertests reichen für digitales COVID-19-Zertifikat vorerst nicht aus – aber das könnte sich ändern
Freitag, 2. Juli 2021
Berlin – Tests auf Antikörper gegen SARS-CoV-2 reichen für das am 1. Juli in Kraft getretene digitale COVID-19-Zertifikat der EU bislang nicht als Genesungs- oder Testnachweis aus. Eine durchaus umstrittene Entscheidung, wie Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP im Europäischen Parlament und Mitkonstrukteur des Zertifikats, gestern berichtete.
„Das Europäische Parlament hat sich für den Einbezug der Antikörperdiagnostik eingesetzt, dies ist aber unter anderem am Widerstand der EU-Kommission und der deutschen Regierung gescheitert“, sagte Liese.
Antikörpertests spielen im deutschen Pandemiemanagement bislang keine Rolle, in anderen europäischen Ländern werden sie dagegen schon eingesetzt. Wichtigster Kritikpunkt an den Tests unterschiedlicher Hersteller ist, dass es keine einheitlichen Standards gibt. Es fehlt außerdem weiterhin an einem serologischen Korrelat für Immunität gegen eine Infektion mit SARS-CoV-2.
Insbesondere das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) und das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) verwehren sich gegen den Einbezug von Antikörpertests in nationale Teststrategien und das europäische COVID-19-Zertifikat.
„Ein Kompromiss kann darin bestehen, Antikörpertests, die zu dem inzwischen von der WHO gesetzten Standard referenzieren, als Genesungs- und Testnachweis zuzulassen“, sagte Liese bei einer Pressekonferenz des Verbands der Diagnostica-Industrie (VDGH). Die Kommission könne dies in den nächsten Monaten durch einen delegierten Rechtsakt festlegen.
Liese: Antikörpertests nützlich für Risikogruppen und vor Impfung
Der Europaabgeordnete unterstrich zudem, dass er als Arzt Tests neutralisierende Antikörper für bestimmte Risikogruppen und zur Abklärung einer durchgemachten unerkannten Infektion vor Impfung für unverzichtbar halte.
Tatsächlich gäbe es für zuverlässige Antikörpertests eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten. Der VDGH hat ein Positionspapier veröffentlicht, in dem dargelegt wird, wie die Antikörpertestung effiziente Impfstrategien gegen COVID-19 fördern könnte.
Thorsten Hilbich, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des VDGH wies zum Beispiel darauf hin, dass SARS-CoV-2-Antikörpertests eine individuelle Erfolgskontrolle der Impfung ermöglichten und somit Vertrauen schaffen könnten.
Bei einer bereits durchgemachten Infektion könnten Antikörpertests zudem Auskunft darüber geben zu, ob eine Impfung oder Zweitimpfung erforderlich ist. Für immunsupprimierte Personen oder Menschen mit schlechter Immunkompetenz könnten Antikörpertests entscheidende Hinweise liefern, ob ein geändertes Impfregime erforderlich wird.
VDGH plädiert für Antikörpertests in der nationalen Teststrategie
Auch wenn es noch kein serologisches Korrelat für einen Schutz vor einer Infektion gebe, die Diagnostika-Industrie habe seit Beginn der Pandemie wesentliche Weiterentwicklungen der Antikörpertests vorgenommen, so Hilbich. „Der VDGH plädiert deshalb dafür, Antikörpertests in die nationale Teststrategie einzubeziehen.
Als qualitativ hochwertig gelten Antikörpertests, die mit einer ausreichenden Zahl gesichert positiver und negativer Proben validiert wurden und außerdem gut mit den Ergebnissen von Neutralisationstests korrelieren.
Auch Andreas Ambrosch, Leitender Arzt des Zentrallabors und Krankenhaushygieniker am Institut für Labormedizin, Mikrobiologie und Krankenhaushygiene des Krankenhauses Barmherzige Brüder Regensburg sprach sich für den gezielten Einsatz von Antikörpertests vor oder auch nach einer Impfung aus.
„Wir führen in unserem Krankenhaus immer eine Bestimmung des Antikörperstatus vor einer Impfung durch“, so Ambrosch, denn „eine Impfung ist nie banal“. Kandidaten mit stumm verlaufenen Infektionen zeigen häufig eine starke Impfreaktion. Vielen Menschen könnten so starke Impfnebenwirkungen erspart bleiben, wenn ein Antikörpertest auf eine ausreichende Immunität hindeute.
„Bei 80 Prozent aller Menschen ist eine Infektion stumm verlaufen und es liegen keine PCR-Befunde vor. Für diese Menschen reicht eine Impfung aus“, erläuterte Ambrosch.
Unverzichtbar ist es für den Laborarzt, ein besonderes Augenmerk auf ältere Menschen zu richten und auf Risikopatienten, zum Beispiel Organtransplantierte oder hämatologische Patienten. „Bei diesen Gruppen ist die Bestimmung der Impfantwort zwingend erforderlich für das weitere Impfmanagement.“
Auskunft über Dauer der Immunität möglich
Auch auf die Frage, wie lange die Immunität nach Infektion anhält, können Antikörpertests Antworten geben. Der Laborarzt verwies auf Studienergebnisse, die durch Ermittlung des Antikörpertiters und seiner Dynamik unterschiedliche „Immunresponse-Typen“ klassifizieren. Demnach hält die Immunität nach einer SARS-CoV-2-Infektion je nach Immunresponse-Typ zwischen 96 und 536 Tage an. © nec/aerzteblatt.de

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